BVB-Trainer Jürgen Klopp:Fleischgewordenes Fragezeichen

Bayer 04 Leverkusen v Borussia Dortmund - Bundesliga

Ratlos: BVB-Trainer Jürgen Klopp

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Platz 18! Dem BVB-Trainer Jürgen Klopp gehen die Erklärungen für das schlechte Abschneiden seines Team aus.
  • Das Duell gegen Freiburg am Samstag könnte schicksalhaft sein.

Von Ulrich Hartmann, Dortmund

Man kennt Jürgen Klopp als eloquenten Entertainer. Der Trainer von Borussia Dortmund ist normalerweise um kein Wort verlegen und findet spontan gewitzte Metaphern, die sich ein versierter Autor am Schreibtisch erst akribisch ausdenken müsste. "Man könnte ihn von jetzt auf gleich in einen Raum mit 500 Leuten stecken, und er würde alle bestens unterhalten", hat der Fußballer Nuri Sahin früher über seinen Trainer gesagt.

Jürgen Klopp hat an der Sporthochschule Köln einmal vor 500 Studierenden über sein Leben und den Fußball geplaudert. Zu Beginn hat er sich vor sein Publikum gestellt, die Arme ausgebreitet, sein breitestes Lächeln aufgesetzt und im Duktus eines Gurus gesagt: "Hier steht die fleischgewordene Zuversicht." Damals, im Juli 2012, war Klopp mit Borussia Dortmund gerade zum zweiten Mal deutscher Meister geworden.

Am Mittwochabend saß Jürgen Klopp zerknirscht im Presseraum des Dortmunder Stadions und suchte nach Worten. Seine Mannschaft hatte 0:1 gegen den FC Augsburg verloren. Sie bleibt damit Tabellenletzter und hat jetzt schon zwei Punkten Rückstand auf den Vorletzten Hertha BSC Berlin. 80 667 Zuschauer waren gekommen, um das geheimnisvolle und schwach flackernde Bundesliga-Schlusslicht zu sehen, viele pfiffen hernach aus Wut, Enttäuschung und Sorge. "Der eine oder andere Zuschauer hat Angst um die Zukunft des Vereins", sagte Klopp. Das war einer seiner klareren Sätze an diesem Abend. Als es um die Leistung seiner Mannschaft ging, um die vergebenen Torchancen, um die vielen kleinen falschen Entscheidungen seiner Fußballer im Fluss des schnellen Spiels, da stammelte Klopp ungewohnt und rang mühsam nach Formulierungen. Es schien, als habe er eigentlich keine Lust mehr, darüber zu sprechen, und als wisse er manchmal auch gar nicht richtig, was er noch Neues dazu sagen solle. "Der eine oder andere hier hat das so sicher schon mal von mir gehört im Laufe dieser Saison", sagte er beinahe entschuldigend. Dieser Jürgen Klopp ist ein fleischgewordenes Fragezeichen.

Borussia Dortmund wirkt seit Wochen wie ein Muskelprotz, der die Einkaufstüten nicht mehr hochbekommt. Die vielen talentierten Fußballer dieser Mannschaft rennen zielstrebig über den Platz und schießen sich oft präzise den Ball zu, aber in vielen Szenen und vor allem direkt vor dem gegnerischen Tor erinnert ihr Spiel bisweilen an Slapstick. Der Angreifer Pierre-Emerick Aubameyang zum Beispiel ist ungefähr so schnell wie das Sprintwunder Usain Bolt, aber er spielt momentan auch nur so gut Fußball wie Usain Bolt.

Marco Reus gilt als einer der besten Offensivspieler Europas, aber seine derzeitige Lethargie ist rätselhaft. Der italienische Mittelstürmer Ciro Immobile spielt zwar mit dem Feuereifer eines Bolzplatzkickers, aber wenn auf diesem Bolzplatz die Mannschaften gewählt würden, müsste der kleine Ciro wohl bis zum letzten Aufruf warten. Nicht einmal Mats Hummels, der sonst so souveräne Kapitän, kann der Mannschaft Stabilität geben. Wenn es hinten plötzlich ganz schnell gehen muss, wirkt er mitunter reaktionsschwach.

Wie ein Protz, der die Einkaufstüten nicht hochbekommt

Und es sind nicht nur diese vier Spieler. "Wir haben in den entscheidenden Momenten falsche Entscheidungen getroffen", sagte Klopp. Das große Rätsel des abgestürzten BVB ist, warum Spieler, die grundsätzlich in der Lage und teils schon jahrelang gewohnt sind, Klopps Fußball akribisch umzusetzen, an genau dieser Aufgabe seit Wochen scheitern. Selbst Weltmeister Hummels scheint über die Ursachen zu rätseln: "Ich habe in unserer Stadionzeitschrift gelesen, dass wir in dieser Saison 270:140 Torchancen hatten und trotzdem Letzter sind - ich bin mir ziemlich sicher, das hat es noch nie gegeben, und das wird es auch nie wieder geben."

Klopp hebt zwar immer wieder den körperlich und personell deutlich verbesserten Zustand seines Kaders im Vergleich zur Hinrunde hervor, wundert sich aber, "dass es uns offenbar trotzdem nicht möglich ist, alles aus der Hinrunde in Vergessenheit geraten zu lassen". Er hätte sich offenbar eine Art konstruktive Amnesie gewünscht, um die Rückrunde unbelastet und wiedererstarkt angehen zu können. Doch mit dem 0:0 in Leverkusen und dem 0:1 gegen Augsburg ist der Neustart misslungen. Trotzig aber vertraut Klopp auf seine rhetorischen und taktischen Fähigkeiten: "Ich bin derjenige, der die Mannschaft bis zum nächsten Spiel wieder in die Spur bringen muss - und ich werde sie in die Spur bringen."

Zunächst aber einige Wochen ohne das Mitwirken von Kevin Großkreutz. Laut Klopp hat sich der Weltmeister einen "kleinen Muskelbündelriss" zugezogen, ehe er am Mittwoch in der 60. Minute ausgewechselt werden musste. Ersatz für das Duell am Samstag in Freiburg könnte theoretisch Lukasz Piszczek sein, aber der klagt über Oberschenkelprobleme - Borussia geht buchstäblich am Stock.

Dieses Duell in Freiburg ist nicht nur angesichts der Dortmunder Serie von fünf sieglosen Spielen mit nur drei eigenen Toren erneut ein hochrelevantes, sondern erst recht deshalb, weil es zu einem Tabellennachbarn geht, der zuletzt beim 4:1 gegen Frankfurt und sogar beim 0:1 in Mönchengladbach einen aufgerüttelten und taktisch sehr soliden Eindruck hinterlassen hat. Dieses Aufrütteln hat Dortmund noch vor sich, weshalb Klopp beinahe flehentlich formuliert: "Wir müssen uns noch mehr wehren, müssen Mut aufbringen und in Freiburg eine Reaktion zeigen, um unseren negativen Lauf zu durchbrechen." Der sonst so eloquente Klopp schloss seine Ausführungen mit einem stockend formulierten Appell: "Wir müssen uns ... straffen ... und dann ... zurückschlagen ... endlich!"

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