Süddeutsche Zeitung

Dortmund unterliegt Leipzig:Aller Lärm ist vergebens

Zum ersten Mal seit Corona ist das Dortmunder Stadion mit 81 365 Zuschauern voll besetzt - und dann verliert die Borussia 1:4 gegen Leipzig. Wieder einmal zeigen sich die Schwächen des BVB gegen andere Spitzenteams.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Es gab Zeiten, da hatte man das Gefühl, die Dortmunder Zuschauer könnten den Ball zur Not mit der schieren Wucht ihrer Schallwellen ins gegnerische Tor pressen. Aber nach mehr als zwei Jahren Corona-Pause half dem BVB im Topspiel gegen RB Leipzig auch das erstmals wieder ausverkaufte Stadion nicht. Die Rauchschwaden der Bengalo-Feuer, die zum Anpfiff auf der Südtribüne aufstiegen, wollten einen besonders heißen Kampf heraufbeschwören. Doch schon zur Halbzeit schwante den 81 365 Zuschauern, dass kein Lärm der Welt dieses Spiel drehen würde.

0:2 zur Pause, 1:4 nach Abpfiff - heraus kam eine Klatsche gegen Leipzig, wie man sie in der laufenden BVB-Saison bei vollem Haus offenbar ebenso akzeptieren muss wie zuvor bei leeren Sitzschalen oder Minikulissen. Dortmunds Torhüter Gregor Kobel wollte nach dem nächsten deprimierenden Ergebnis sogar gespürt haben, dass die eigenen Fans die Mannschaft noch weiter verunsichert hätten: "Wir werden hektisch nach dem ersten Gegentor, dann wird das Publikum unruhig, und dann kommen wir in so eine Abwärtsspirale", analysierte Kobel. Für den Schweizer war es das erste Mal, dass er ein volles Dortmunder Stadion erlebte.

Tatsächlich ließ sich dieses 1:4 wohl leichter auf einen anderen Nenner bringen: Die eine Mannschaft spielte mit klarer Taktik, die andere - zumindest scheinbar - ohne. Die Mannschaft von Leipzig-Trainer Domenico Tedesco - im Ruhrpott noch aus seiner Zeit bei Schalke 04 und durch ein denkwürdiges 4:4 nach 0:4 beim BVB bekannt - ließ die Dortmunder bis zu Mittellinie weitgehend ungepresst und unbehelligt spielen - und griff erst tief im Mittelfeld, dort aber umso massierter zu. Die beinahe zwangsläufigen Balleroberungen münzte Leipzig regelmäßig in Highspeed-Konter um, die die BVB-Defensive überforderten. Dortmund dagegen wirkte die meiste Zeit des Spiels fast unbeholfen, sediert, ohne Überraschungsmomente und Esprit.

Wie es im Fußball aber so ist: Die ersten RB-Tore kamen ganz anders zustande, und der Torschütze war beide Male ausgerechnet Konrad Laimer, Leipzigs Mittelfeld-Abräumer aus Österreich, der bis dato nicht wirklich als Torjäger aufgefallen war, nicht mal seinem eigenen Trainer (Zitat Tedesco: "Ich nehme ihn manchmal auf den Arm, weil er sonst alles trifft - außer das Tor ...") . Bemerkenswert war vor allem das 0:1 (21.), als Laimer erst Emre Can den Ball abluchste und dann selbigem davon sprintete, um den Ball 30 Meter weiter selbst ins Tor zu löffeln -nach einem idealen Steilpass von Christopher Nkunku, Leipzigs Bestem der Saison, der auch in Dortmund neben Laimer bei RB herausragte. Beim 0:2 (30.) fälschte Can dann einen Schuss vom Laimer unglücklich ab.

Ja, Dortmund hatte in der Anfangsphase selbst zwei dicke Chancen, als die Fans noch laut waren und noch glauben konnten, das Spiel fände auf Augenhöhe statt. Einmal aber verdaddelte Marco Reus die Möglichkeit zur BVB-Führung allein vor Torwart Gulacsi, dann schoss Erling Haaland bei seiner einzigen Gelegenheit einen kurios durchgerutschten Ball neben das Tor. BVB-Abwehrchef Mats Hummels und sein Trainer Marco Rose wollten diese Chancen zu Beginn später als Indizien nehmen, dass das Spiel viel ausgeglichener gewesen sei, als es das klare Ergebnis ausdrückte. "Es war ein Sieg der Effektivität", meinte Hummels, "aber kein 4:1-Spiel." Rose befand ebenfalls, dass seine Mannschaft nur weniger konsequent beim Verteidigen und beim Angreifen gewesen sei.

Dortmund unterliegt in dieser Saison oft anderen Spitzenteams

Ob diese milde Interpretation den Dortmundern guttut, darf bezweifelt werden. Eher wiederholte sich gegen RB ein Muster, dass man schon in den Geisterspiel-Zeiten gegen starke Gegner erkennen konnte: Gegen den Ersten Bayern München (2:3), den Dritten Bayer Leverkusen (2:5) oder auch in der Champions League gegen Ajax Amsterdam (0:4 und 1:3) ging Roses BVB jeweils deutlich unter. Und was den nach wie vor sicheren zweiten Tabellenplatz angeht, können die Dortmunder nach den Eindrücken vom Samstagabend wohl froh sein, dass der direkte Konkurrent Leipzig in dieser Saison erst verspätet ins Rollen gekommen ist.

Als Tedesco, 36, im Dezember den glücklosen Kurzzeitcoach Jesse Marsch ablöste, war Leipzig in der Liga Elfter. Mit klarer, taktisch flexibler Handschrift brachte Tedesco das Team so zügig wieder in der Spur, dass RB aktuell die beste Elf der Rückrunde ist, zurück in den Champions-League-Rängen - und als einziger Bundesligist auch noch im Pokal und in Europa mit dabei. Tedesco machte trotzdem keine Freudentänze, er nahm das satte 4:1 eher nüchtern zur Kenntnis, er weiß: Es geht Schlag auf Schlag weiter, am Donnerstag zunächst in der Europa League gegen Bergamo. Und auf dem Weg zum erhofften ersten Titel der RB-Historie ist noch nichts gewonnen.

Noch zwei Titeloptionen, das hätten sie in Dortmund gerne, der BVB ist aus allen Pokalen raus. Dass die Position von Trainer Rose dennoch nach wie vor als sicher gilt, könnte viel damit zu tun haben, dass der qualitativ gut besetzte Kader sich in der Liga zuletzt viele Arbeitssiege erkämpft hat. Das zementiert Platz zwei, immer noch sechs Punkte vor Leverkusen, sogar neun vor Leipzig. Die für Dortmund lebenswichtige Champions-League-Qualifikation scheint ungefährdet zu sein. Der wahre Leistungsstand aber zeigte sich in Spielen wie gegen Leipzig - und beim kläglichen Scheitern in DFB-Pokal, Champions und Europa League. Und gegen diese Diagnose wirkt auch ein endlich ausverkauftes Stadion nicht.

Im Sommer soll das BVB-Team umgebaut werden

Nach Saisonende will Borussia Dortmund die Mannschaft so weit wie möglich umbauen, auf etlichen Positionen. Auch gegen Leipzig wirkte es mal wieder so, als könnte das Team mehrere Jude Bellinghams gut gebrauchen - der junge Engländer war so ziemlich der einzige Dortmunder, der dagegen halten konnte. Der BVB könnte zudem einen kernsoliden Sechser brauchen, einen wie Laimer, Leipzigs Mann des Abends, der auch noch per Hacke Nkunku das 3:0 auflegte. Donyell Malen verkürzte kurz vor Schluss für den BVB, Dani Olmo setzte noch das 4:1 drauf, mit einem Schlenzer unter die Latte.

Den neuen BVB soll zur kommenden Saison der Trainer Rose entstehen lassen, so lautet der Plan der Vereinsführung. Das Dortmunder Publikum dürfte dies überwiegend mit Skepsis sehen. Zu jung ist noch die Erinnerung an den vergangenen Sommer, als der BVB dieselben Leipziger, damals noch mit Trainer Julian Nagelsmann, im Pokalfinale in Berlin besiegte. Der BVB-Trainer war damals Edin Terzic. Der sah das 1:4 am Samstag von der Tribüne aus.

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