BVB-Profis im Euro-Trainingslager:Überflieger auf der Parkposition

Schmelzer, Hummels, Gündogan, Bender, Götze: Die Dortmunder Double-Gewinner bevölkern selbstbewusst das deutsche Nationalteam. Das ist irgendwie verständlich, denn der Löw-Fußball ist wie geschaffen für die hungrigen Klopp-Schüler - doch ob sie alle mit zur EM dürfen, hängt von verschiedensten Überlegungen des Bundestrainers ab.

Boris Herrmann, Tourrettes

Über die Frage, wie viele Dortmunder sich derzeit im DFB-Trainingscamp befinden, kann man streiten. Marco Reus bringt es bei seiner Zählung auf fünf Spieler, "Mats, Schmelle, Gündo, Mario und der Manni", womit selbstredend die Spieler Hummels, Schmelzer, Gündogan, Götze und Sven Bender gemeint sind. "Ich bin ja eigentlich noch bis 1. Juli bei Gladbach", sagt Reus.

Germany - Sardinia Training Camp - Day 5

Bitte recht freundlich: Die Dortmunder Marcel Schmelzer, Ilkay Gündogan, Mats Hummels, Mario Götze und Sven Bender beim DFB-Gruppenginsen. 

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Es gibt aber auch Menschen, die den Gesinnungsdortmunder Reus bereits zum BVB-Block zählen, schließlich hat er nicht nur eine schwarz-gelbe Zukunft, sondern auch eine schwarz-gelbe Vergangenheit. "Ich war früher öfter mal als Fan auf der Südtribüne", erzählt Reus. Nach der EM kehrt er dann auch als Spieler in seine Heimatstadt zurück.

Salomonisch gerechnet müsste man wohl sagen: Es sind fünfeinhalb Dortmunder in Tourrettes dabei.

Eine halbe Startelf eines schwer umjubelten Double-Gewinners bereitet sich also unter den Augen von Joachim Löw auf ihren Einsatz im Nationaltrikot vor. Man möchte meinen: Besser kann es ein Bundestrainer gar nicht erwischen. Im EM-Gastgeberland Polen etwa reichen schon drei BVB-Spaßfußballhelden, um verwegene Endspiel-Träume auszulösen. Deutschland indes steht vor einem höchst seltenen Sonderfall. Wenn es hart auf hart kommt, steht im ersten Gruppenspiel gegen Portugal kein einziger Dortmunder in der Startformation.

Das erscheint umso erstaunlicher, wenn man die Spielanlage beider Teams vergleicht: Pressing, Gegenpressing, schnelle Vorstöße. Die Grundzüge des Löw-Fußballs sind wie geschaffen für Klopp-Schüler. Trotzdem gelten zwei von ihnen (Gündogan und Bender) vor der Kaderverkleinerung am 29. Mai als Streichkandidaten. Die anderen dreieinhalb kämpfen um einen Stammplatz.

Sie alle haben weiterhin gute Chancen auf eine Haupt- oder eine Nebenrolle bei der EM. Aber bei allen scheinen diese Chancen von äußeren Einflüssen abhängig zu sein. Dazu gehört die große Frage, mit welchem Tempo sich in den Trauergesichtern aus München die Stimmung wandelt. Wenn es den Spielern des Triple-Zweiten FC Bayern bis zum Portugal-Spiel am 9. Juni wieder gut geht, dann dürften die meisten von ihnen spielen. Und die Dortmunder dann wohl zuschauen. Sie werden allseits als Überflieger geschätzt, aber sie haben in dieser Nationalmannschaft noch nicht ihre endgültige Parkposition gefunden. Ilkay Gündogan sagt: "Vielleicht sind wir Dortmunder noch in der Entwicklungsphase."

Große Konkurrenz

Gündogan, 21, ist da das beste Beispiel. Seine Entwicklung geht gerade so schnell voran, dass es große Mühe bereitet, ihr mit bloßem Auge zuzuschauen. Der Mittelfeldspieler war nach einer enttäuschenden Hinrunde eine der prägenden Figuren im Meisterschafts-Endspurt. Und er gilt gemeinhin als Gewinner der bisherigen EM-Vorbereitung. "Ich kann schon sagen, dass ich immer mehr reingewachsen bin und mich nicht mehr wie der Neue fühle", berichtet Gündogan in aller Bescheidenheit.

Es bleibt trotzdem im Bereich des Wahrscheinlichen, dass er in Urlaub geht, wenn die anderen ins EM-Quartier reisen. Die Konkurrenz auf seiner Position ist groß. Löw hat 13 Mittelfeldspieler in seinen vorläufigen Kader berufen. Der Abzählreim für den 29. Mai, wenn ein Torhüter und drei Feldspieler ausgemustert werden, ist daher auch für Gündogan denkbar einfach. "Kann sein, dass es den einen oder anderen Mittelfeldspieler trifft."

Dafür kommt auch Gündogans Vereinskollege Sven Bender infrage. Abhängig ist ihr Schicksal wohl nicht zuletzt von den Überlegungen Löws, den Bald-Dortmunder Reus zum Stürmer umzufunktionieren. Das würde den Verdrängungskampf im Mittelfeld ein wenig entspannen, das Schicksal von Reus dürfte aber wiederum von Kloses Achilles- sehne, Gomez' Gemütszustand sowie Cacaus Trainingseifer abhängen.

Nicht akut ausschlussgefährdet sind Mario Götze und Marcel Schmelzer. Götze allerdings wirkt nach seiner langwierigen Schambeinverletzung noch relativ matt, was es nicht einfacher macht, seinen unmittelbarem Stammplatzkonkurrenten, Bayerns Thomas Müller, zu verdrängen. Beim Linksverteidiger Schmelzer hängt alles davon ab, ob Phillip Lahm dem Münchner Beispiel folgend auf der rechten Seite verteidigt, oder ob er auf der Schmelzer-Seite bleibt.

Die besten Startplatzchancen aller Dortmunder rechnet sich zweifellos der Innenverteidiger Hummels aus, dessen Abhängigkeiten Mertesacker und Badstuber heißen. Ausgerechnet Hummels aber kann und soll seine Klopp-Kenntnisse nicht ungefiltert auf die Nationalmannschaft übertragen. Beim BVB ist er angehalten, das Spiel auch mal mit einen langen Pass zu eröffnen.

Bei Löw ist dies strengstens untersagt. "Es ist ein Prozess, zu verinnerlichen, aus dem Dortmunder Spiel herauszukommen", räumt Hummels ein. Anders ausgedrückt: Wenn Hummels rechtzeitig lernt, nicht mehr wie ein Meister zu spielen, dann ist im ersten EM-Spiel vielleicht doch ein Meister dabei.

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