BVB in der Champions League:Favres Rufe im tristen Betonbau

Borussia Dortmund - Zenit St. Petersburg

Dortmunds Trainer Lucien Favre musste diesmal viel nachjustieren.

(Foto: dpa)

Dortmunds Trainer muss seine Teenager beim äußerst zähen 2:0 gegen Sankt Petersburg mehrfach lautstark zurechtweisen - die Vereinsbosse beschäftigt eine Debatte um Marco Reus.

Von Felix Meininghaus, Dortmund

Irgendwie mutete das Szenario reichlich bizarr an: Über dem größten Stadion der Republik hatte der Himmel seine Schleusen geöffnet, in Dortmund schüttete es wie aus Kübeln. Auf dem Rasen mühten sich die Akteure in Schwarz-Gelb, im riesigen Betonbau hallten die Stimmen durch die Nacht. Wer sich am Samstag beim Revierderby angesichts von 300 Besuchern in der mehr als 80 000 Zuschauer fassenden Arena noch sehnsüchtig nach normalen Zeiten gesehnt hatte, der durfte nun erleben, dass es noch trister geht.

Erstmalig in seiner Geschichte musste der BVB eine Europapokalbegegnung als Geisterspiel austragen, es war kein Erlebnis, das bei Fußballromantikern erhabene Gefühle auslöste. Auch die 90 Minuten waren nicht dazu angetan, von einem Abend mit Erinnerungswert sprechen zu können. Es war das typische Drehbuch, das es seit Generationen bei torlosen Remis zu bestaunen gibt: Die eine Mannschaft mauert sich ein, die andere arbeitet sich erfolglos daran ab, das Bollwerk zu knacken.

Genau so wäre es gekommen, hätte sich Zenit Sankt Petersburg nicht in der 77. Minute dazu entschlossen, den Dortmundern ein wirklich großzügiges Gastgeschenk zu überreichen: Nach einer Flanke von Thomas Meunier riss Wjatscheslaw Karawajew den eingewechselten Thorgan Hazard so plump zu Boden, dass Schiedsrichter Björn Kuipers gar keine andere Möglichkeit blieb, als auf den Elfmeterpunkt zu zeigen. Es war eine unverhoffte Gelegenheit, die Geschicke doch noch in die richtige Richtung zu lenken, die sich Jadon Sancho nicht entgehen ließ.

Dass Erling Haaland in der Nachspielzeit noch sein zwölfter Treffer im zehnten Champions-League-Spiel gelang, ist kaum eine Erwähnung wert. Das Phänomen aus Norwegen trifft ja eigentlich immer. Das 2:0 (0:0) war ein Spiel, "das nicht in die Fußballgeschichte eingehen wird", wie Sportdirektor Michael Zorc treffend erkannte: "Aber die drei Punkte nehmen wir mit."

"Pflichtaufgabe erfüllt", so brachte Zorc die Geschehnisse an diesem ungemütlichen Herbstabend mit zwei Worten auf den Punkt. Tatsächlich ist die Borussia nach dem erschreckend blutleeren Auftritt zum Auftakt der Königsklasse in Rom wieder im Soll in einer Gruppe, in der ein Scheitern einer echten Blamage gleichkäme.

Warum es den Gastgebern so schwer fiel, den gegnerischen Abwehrriegel zu knacken, erläuterte Trainer Lucien Favre nach dem Spiel. "Unser Plan war es, viel über die Außen zu spielen", sagte der Schweizer, doch Sancho und Giovanni Reyna seien "zu viel nach innen gezogen". Immer wieder tauchte Favre an der Seitenlinie auf und rief "breiter, breiter" auf das Spielfeld.

Immerhin kann sich der 62-Jährige auf seine Abwehr verlassen. In einem mit so vielen offensiven Hochkarätern besetzten Kader liest sich die Bilanz der Defensive tatsächlich eindrucksvoll: Acht Pflichtspiele hat der BVB in dieser Saison bislang in drei Wettbewerben bestritten, sechs davon, ohne einen Gegentreffer zu kassieren. Wie schon vier Tage zuvor im Derby gegen Schalke ließ die Borussia keinen Schuss auf ihr Tor zu.

Hummels ist der Garant

Entsprechend lobend äußerte sich Favre: "Sie haben es sehr gut gemacht, die Tiefe antizipiert. Es kann immer ein Konter passieren, aber wir haben ihnen heute keine Gelegenheit gegeben." Der Garant für diese Konstanz ist Abwehrchef Mats Hummels. Die Debatten über die Rückkehr des Routiniers in die Nationalmannschaft gewinnen auch deshalb an Dringlichkeit, weil die DFB-Elf zuletzt mit erheblichen Stabilitätsproblemen zu kämpfen hatte.

Die zweite Personalie, die das Dortmunder Umfeld beschäftigt, betrifft Marco Reus. Zuletzt hatte der ehemalige Nationalspieler Dietmar Hamann in seiner Rolle als Experte beim Bezahlsender Sky sein Unverständnis darüber geäußert, dass der verletzungsanfällige Antreiber beim BVB als Kapitän fungiert. In Hummels verfüge der BVB über einen "brillanten Leader, der in der Vergangenheit gezeigt hat, dass er das Wort ergreifen, dass er Leute mitreißen kann". Die Debatte um den "Fußballer des Jahres 2019" wird auch woanders geführt, jüngst fragte der Spiegel: "Ist der Kapitän von Borussia Dortmund nicht mehr unantastbar?"

Beim börsenorientierten Fußballunternehmen mögen sie solche Exkurse nicht, der Konter von Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke ließ nicht lange auf sich warten: "Dietmar Hamann analysiert oft sehr zutreffend. Hier liegt er aber komplett falsch. Wie will er auch mannschaftsinterne Vorgänge beurteilen können? Marco ist ein guter Kapitän", gab der 61-Jährige zu Protokoll. Das sieht Zorc genauso: "Ich verstehe die ganze Diskussion nicht. Marco ist unser Kapitän", dass Reus nach mehr als einem halben Jahr Verletzungspause "nicht jedes Spiel über 90 Minuten machen kann, ist doch jedem klar".

Gegen Sankt Petersburg stand Reus unter besonderer Beobachtung, vermochte jedoch keine Glanzlichter zu setzen und wurde in der Schlussphase ausgewechselt. Vielleicht liegt Hamann mit seiner Ansicht ja doch gar nicht so falsch, und man tut dem brillanten Fußballer Reus den größten Gefallen, wenn man ihn einfach das machen lässt, was er am besten kann: brillant Fußball spielen.

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