Süddeutsche Zeitung

BVB verliert in Paris:Ruhe, Rot und raus

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Von Christof Kneer

Wenn man Profifußballer fragt, was sie an der Champions League so fasziniert, dann nennen sie meistens Namen wie Messi oder Ronaldo oder Neymar. Gegen solche Jungs zu spielen, sagen die Spieler dann, sei schon ziemlich cool, den Namen Tony Britten nennen sie allerdings nie. Dabei ist dieser Mister Britten ebenfalls ein Grund, warum so viele Spieler spezielle Gefühle für die Champions League entwickeln. Britten, ein englischer Komponist, hat im Jahr 1992 jene Hymne komponiert, die vor jedem Spiel in dieser heiligen Liga zur Aufführung kommt. Die Hymne basiert auf Georg Friedrich Händels "Zadok The Priest" aus den Coronation (nein, nicht Corona) Anthems, und man muss man sagen: Nicht mal an der Hymne ist die Corona-Krise spurlos vorbei gegangen. An diesem ersten Champions-League-Spieltag unter Corona-Einfluss hat man viel über die Hymne gelernt: nämlich, dass sie seltsam unvollständig klingt, wenn danach kein Applaus kommt. Sie verklang irgendwie, und dann ging das Spiel irgendwie unfeierlich los.

Entscheidend werde sein, "wer die Situation besser annimmt", sagte Borussia Dortmunds Manager Michael Zorc vor Anpfiff dieses Achtelfinal-Rückspiels bei Paris St. Germain. 90 Minuten später ließ sich sagen, dass dies für die Heim-Elf galt. 2:0 gewann die Elf des Trainers Thomas Tuchel, mit dem der BVB solide verfeindet ist - nach dem 1:2 vom Hinspiel reichte das den Franzosen, um endlich in das seit Jahren ersehnte Viertelfinale einzuziehen. Der BVB mühte sich nach schwacher erster Hälfte allmählich ins Spiel, war vor dem Tor aber viel zu ungefährlich, um sich wirklich für ein Weiterkommen aufzudrängen.

Es war nicht einfach für die Profis, unter Bedingungen zu spielen, die sie sonst nur aus der Saisonvorbereitung kennen, wenn Testkicks mal unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgetragen werden. "Merkwürdig" nannte Mats Hummels die Atmosphäre, "aber mit zunehmender Spieldauer ging es besser als erwartet." Wie heruntergedimmt wirkte das Spiel ohne Dynamik von den Rängen, und es trug zur Irritation bei, dass in den ersten Minuten monotone Fangesänge erklangen, obwohl keine Fans da waren. Draußen vor dem Stadion hatten sich einige Hundert PSG-Anhänger versammelt und sogar etwas Pyro-Spielzeug mitgebracht, aber der monotone Gesang kam vom Band - er wurde offenbar vom einheimischen PSG-TV eingespielt. Nach ein paar Minuten wurde es wieder still.

Nach zehn Minuten gab es schon die erste Auswechslung, der Ball musste raus, er hatte Luft verloren - das passte gut zum Vortrag der Dortmunder, die nicht sehr prall begannen. Es wurde nicht ganz klar, ob die übervorsichtigen Borussen damit einer Taktik von Trainer Lucien Favre folgten oder ob sich eine taktische Vorgabe womöglich zum Negativen verselbstständigte. Tatsächlich wirkten die Dortmunder wie eine Mannschaft, die Zuschauer und Stimmung braucht - es fiel ihnen schwer, eine angemessen straffe Haltung für dieses Spiel zu entwickeln. Die erste gefährliche Tor-Annäherung durfte sich der BVB aber immerhin gutschreiben lassen, Haaland rutschte an einer Hakimi-Flanke nur knapp vorbei (18.). Allerdings schien diese Szene eher PSG aufzuwecken, die Gastgeber spielten nun direkter und gefährlicher, obwohl Kylian Mbappé leicht erkrankt auf der Bank saß. Er hatte sich laut PSG-Aussagen einem Corona-Test unterzogen, Ergebnis glücklicherweise: negativ.

Wären Fans auf der Tribüne gesessen, sie hätten sich nun womöglich zugeflüstert: Ein Tor liegt in der Luft! Das Tor, das dann tatsächlich fiel, passte allerdings auf groteske Weise zum ganzen Szenario: So banale Tore fallen normalerweise wirklich nur in Sommertestkicks unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Neymar kam nach einem Eckball von dí María aus wenigen Metern frei zum Flugkopfball, Hakimi wirkte dabei so abwesend, als summe er gerade Tony Brittens Hymne vor sich hin.

Eine etwas bessere zweite Hälfte ist zu wenig für den BVB

Mit diesem Ergebnis wäre der BVB ausgeschieden, diese Erkenntnis nahmen die Dortmunder dann doch zum Anlass für etwas mehr Offensive, Sancho (38.) und Hazard (41.) kamen zu ordentlichen Chancen, die auf den Rängen vielleicht sogar für etwas Raunen gesorgt hätten. Immerhin blieb den Dortmundern das Stöhnen ihrer Fans erspart, als Paris in der Nachspielzeit der ersten Hälfte auf 2:0 erhöhte - durch Juan Bernat, jenen Spieler, dem Uli Hoeneß einst, grob zusammengefasst, die Champions-League-Hymnen-Tauglichkeit abgesprochen hatte. Bernat hatte den Ball im Mittelfeld erkämpft und auf eine Reise über mehrere Stationen geschickt, und am Ende der Reiseroute hielt er die Fußspitze in eine Hereingabe von Sarabia.

Mit diesem Ergebnis wären die Dortmunder erst recht ausgeschieden, mutiger starteten sie also in die zweite Hälfte, in deren Verlauf Favre weitere offensive Leute brachte (Brandt, Reyna, Götze). Der BVB entwickelte nun Druck, aber der Druck blieb nicht konstant, PSG konnte sich immer wieder befreien. Am Ende wurde die Partie hektisch, inklusive Rudelbildung, was Emre Can nach einem Schubser gegen Neymar noch einen Platzverweis einbrachte. Aber das Stadion blieb ruhig.

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SZ vom 12.03.2020
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