Süddeutsche Zeitung

Dortmund besiegt Paris:Mit der Urgewalt eines 19-Jährigen

  • Erling Haaland trifft beim 2:1-Sieg von Borussia Dortmund gegen Paris Saint-Germain doppelt.
  • Nach dem zwischenzeitlichen Ausgleich von Neymar knallt der 19-Jährige den Ball zum Siegtor ins Netz.
  • "Das sind die Momente, für die man Fußball spielt", sagt Haaland nach dem Spiel.

Von Ulrich Hartmann, Dortmund

Um 22.25 Uhr am Dienstagabend saß Erling Haaland auf dem Rasen des Dortmunder Stadions, im Lotussitz, mit geschlossenen Augen. Um ihn herum brach sich gerade die Euphorie Bahn. Es kann sehr, sehr laut werden im größten deutschen Fußballstadion, erst recht, wenn ein 19 Jahre junger Norweger Borussia Dortmund im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League mit 1:0 in Führung schießt. So war es geschehen in dieser 69. Minute. Haaland gab seinen Lotussitz alsbald wieder auf, denn es war fortan mit forcierter Gegenwehr zu rechnen durch die Gäste von Paris St. Germain. Sechs Minuten später glich Neymar für Paris tatsächlich auch aus, doch der unglaubliche Haaland hatte an diesem Abend derartige Power, dass er in der 77. Minute aus 16 Metern mit einem präzisen Gewaltschuss auch noch zum 2:1 (0:0)-Sieg traf.

"Ich habe nicht allzu viel nachgedacht, ich habe den Moment genossen", sagte Haaland später.

Mit seinem zehnten Treffer in dieser Champions-League-Saison brachte er den BVB in eine respektable Ausgangsposition für das Rückspiel. Die ersten acht Treffer hatte Haaland in der Gruppenphase für RB Salzburg erzielt. Paris-Trainer Thomas Tuchel kommentierte: "Er ist ein Tier, natürlich." BVB-Chef Hans-Joachim Watzke entschied sich dagegen für die Vokabel "Naturgewalt".

"Das sind die Momente, für die man Fußball spielt. Ich habe es sehr genossen", sagte Haaland nach Abpfiff am Dazn-Mikrofon seinen abermaligen Gala-Auftritt. Am Ziel sieht der Dortmunder Sensationseinkauf sein Team und sich noch längst nicht: "Wir wollen weiterkommen, aber wir müssen uns noch weiter steigern. Ich will in Endspiele." Sein Teamkollege Emre Can warnte ebenfalls vor verfrühter Euphorie: "Das war ein sehr, sehr gutes Spiel von uns. Aber es ist erst Halbzeit", sagte der Nationalspieler.

Emre Can zeigt im BVB-Mittelfeld erneut seine Qualität als Wellenbrecher

Vor drei Jahren waren die Dortmunder letztmals im Viertelfinale der Champions League, vier Jahre ist das schon bei den Parisern her. Aus diesem Grund wird dem Rückspiel am 11. März in Paris extrem viel Bedeutung beigemessen. In Frankreich sind Branchenexperten der Ansicht, die Zeit vom Trainer Thomas Tuchel laufe im Falle eines Misserfolgs zeitnah ab. In Dortmund ist man sich einig, dass ein frühes Ausscheiden einer Zukunft des Trainers Lucien Favre beim BVB zumindest nicht gerade zuträglich wäre.

"Pari!", brüllten die französischen Gästefans kurz vor dem Anpfiff, aber das bedeutete nicht, dass sie sich mit einem Unentschieden zufrieden geben wollten, sie skandierten vielmehr den Namen ihrer Stadt. Die Dortmunder Fans bildeten derweil aus allerhand schwarzen und goldenen Folien auf drei der vier Tribünenseiten ansehnliche Wappen und Schriftzüge. Kluge Fans behielten die Goldfolien und nutzten sie wie eine Wärmedecke aus dem Verbandskasten, denn es ließ durchaus ein bisschen frösteln, wie weit die Pariser ihre Gastgeber zunächst entweder per Ballbesitz oder per Pressing in die eigene Hälfte zwängten. Die Dortmunder wirkten anfangs extrem nervös. Ihre erste halbe Stunde war geprägt von Ballverlusten und missratenen Offensivaktionen.

Als lohnende Investition in die Verteidigung präsentierte sich einmal mehr Dortmunds Emre Can, der durch rustikales Engagement auffiel. Geschätzte 25 Millionen Euro bezahlen die Dortmunder an Juventus Turin dafür, dass der derzeit Ausgeliehene vom kommenden Sommer an fest und gemäß Vertrag für vier Jahre beim BVB spielt. Can ist seit Kurzem der Fels in der Brandung der Dortmunder Hintermannschaft. Als Wellenbrecher hatte der 26-Jährige am Dienstagabend einiges zu tun. Die beiden Angreifer Neymar und Kylian Mbappé bringen es beim Marktwert gemeinsam auf 350 Millionen Euro.

Nach einer halben Stunde fassten die Dortmunder mehr Selbstvertrauen. Nun ließ man freundlicherweise sogar den Gäste-Torwart Keylor Navas mitspielen, der zuvor eher zugeschaut hatte. Jadon Sancho und Erling Haaland wurden nun richtig gefährlich mit ihren Vorstößen.

In der letzten halben Stunde nimmt das Spiel erst richtig Fahrt auf

Ohne seine verletzten Kreativdirektoren Marco Reus und Julian Brandt mussten die Dortmunder wieder spielen. Dieses Defizit hatte sich beim vorangegangenen 4:0-Sieg in der Bundesliga gegen Eintracht Frankfurt noch nicht negativ ausgewirkt, gegen Paris jedoch, einen ernsthaften Anwärter auf den Titel, ergaben sich für die identische Dortmunder Startformation erheblich mehr Mühen. Dabei saßen bei den Gästen die namhaften Angreifer Mauro Icardi und Edinson Cavani sowie die deutschen Legionäre Julian Draxler und Thilo Kehrer ja bloß auf der Bank.

Die zweite Hälfte spielten die Dortmunder mit ihrer Südtribüne im Rücken, normalerweise spielen sie nach der Pause gerne auf diese gewaltige Tribüne zu. Sie traten jedoch den Beweis an, dass sie zweite Halbzeiten auch gen Norden ganz gut spielen können. Wie zwei Schwergewichtsboxer bearbeiteten sich die beiden großen Teams, jeder hoffte aus der abgesicherten Defensive heraus auf den Lucky Punch.

Doch es blieb bei keinem singulären Punch in den letzten 25 Minuten. Nun nahm ein großes Spiel erst richtig Fahrt auf. Nun erhielt dieses dramatische Duell mit drei Toren auch noch ein würdiges Finale. Haaland, der auch in der Bundesliga schon acht Mal binnen fünf Spielen getroffen hatte, macht das gelb-schwarze Publikum nun also auch in der Champions League glücklich - in diesem Fall mit der Urgewalt eines Teenagers. Paris verlor nach 23 Pflichtspielen ohne Niederlage erstmals wieder eine Partie. Daheim im Prinzenpark bleiben Thomas Tuchels Team in drei Wochen trotzdem alle Möglichkeiten.

Das weiß auch Lucien Favre. "Natürlich ist das ein gefährliches Ergebnis", sagte er, aber die Freude über einen gelungenen Abend wollte er sich nehmen lassen: "Wir haben offensiv und defensiv ein sehr gutes Spiel gemacht und gewonnen. Im Moment steht es 2:1 für uns." Wie wahr.

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Quelle:
SZ vom 19.02.2020/schm
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