Süddeutsche Zeitung

BVB-Niederlage in Mönchengladbach:Schnüre verknotet

Lesezeit: 3 min

Der BVB muss in Mönchengladbach erleben, wie sehr ihm das Fehlen von Haaland und Reus zusetzt - und wie Schiedsrichter Aytekin eine Respektsdebatte auslöst.

Von Ulrich Hartmann, Mönchengladbach

Der brüskierte Schiedsrichter Deniz Aytekin hätte die abfälligen Gesten der Dortmunder Fußballer Raphael Guerreiro und Mahmoud Dahoud vielleicht gar nicht persönlich nehmen müssen. Womöglich waren die beiden BVB-Männer einfach nur dadurch entnervt, dass sie am Samstagabend zum Fußballspielen im Mönchengladbacher Borussia-Park auf dem Feld standen und um sich herum weder Marco Reus noch Erling Haaland entdecken konnten.

So sehr sie ihre Köpfe auch drehten, ihr 32 Jahre alter Kapitän Reus war genauso wie ihr 21 Jahre alter Wirbelstürmer Haaland nirgendwo auszumachen. Für Dortmunder Fußballer ist das ungefähr so, als sei der Ball platt oder als seien die Schnüre beider Fußballschuhe miteinander verknotet. Mit anderen Worten: Es fühlt sich an wie ein Alptraum.

Der Alptraum hatte im Abschlusstraining am Freitag begonnen. Reus hat sich vertreten und musste am Samstag wegen einer Kapselreizung im Knie die Segel streichen. Haaland hat einen Schlag abbekommen und konnte tags darauf wegen muskulärer Probleme nicht mitspielen. Haaland mit sieben Treffern und vier Vorlagen sowie Reus mit einem Treffer und vier Vorlagen waren, weil sich ihre Aktionen natürlich teils überschnitten, an zwölf der 17 Dortmunder Bundesligatreffer beteiligt. Ohne die beiden hätte Dortmund nicht 5:2 gegen Frankfurt gewonnen, nicht 3:2 gegen Hoffenheim, nicht 4:3 in Leverkusen und auch nicht 4:2 gegen Union Berlin. Ohne die beiden verlor Dortmund 0:1 in Mönchengladbach. Und kaum jemanden hat das gewundert.

Aus überdrehten Gladbachern und verunsicherten Dortmundern wird ein ruppiges Schauspiel

Als sie die Kunde vom Ausfall ausgerechnet dieser beiden Gegenspieler erhielten, habe sie das zusätzlich motiviert, berichtete hinterher der Gladbacher Jonas Hofmann, der die erstbeste Gelegenheit nutzte und nach 50 Sekunden überraschend eine Rudelbildung anzettelte. Es war dies sozusagen auf dem Platz die Fortsetzung des Tribünen-Tumults, in dessen Rahmen die Gladbacher Fans ihren verflossenen Trainer Marco Rose mit unflätigem Vokabular diskreditierten. Die Fans waren unhöflich, und ihre Fußballer wollten es auch ein bisschen sein, weil sie in den vorangegangenen Spielen nämlich schmerzlich erfahren hatten, dass mit galantem Benehmen kein Blumentopf zu gewinnen ist.

Aus überdrehten Gladbachern und verunsicherten Dortmundern erwuchs ein ruppiges Schauspiel, das gleichermaßen auf dem Rasen wie bei Schiedsrichter Aytekin Spuren hinterließ. Nach branchentypisch wegwerfenden Handbewegungen erst vom ermahnten Guerreiro und dann von dem des Feldes verwiesenen Dahoud (40.) blieb eine Dortmunder Unterzahl übrig, die zusätzlich zu den Absenzen von Haaland und Reus fatale Wirkung entfaltete. Der noch um Anpassung kämpfende Neuzugang Donyell Malen und der erst 16 Jahre alte Youssoufa Moukoko konnten als Doppelspitze keine Gefahr erzeugen. Weil mit Giovanni Reyna und Julian Brandt zwei weitere Offensivspieler fehlten, war der sonst so bissige BVB diesmal bloß ein zahnloser Tiger. Deshalb nützte es auch nichts, dass er im sechsten Ligaspiel erstmals nur ein einziges Gegentor zuließ. Manchmal ist auch schon ein einziges zu viel.

Die Diskussionen um die Dortmunder Abhängigkeit von Haaland sowie um die Notwendigkeit des Dahoud'schen Platzverweises überdauerten die Nacht und wurden am Sonntagmittag rege in der Sport1-Talkshow diskutiert, in welcher der BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke trotzig argumentierte: "Wir haben auch ohne Erling schon Spiele gewonnen." Das stimmt. Am 8. Mai gab es ein 3:2 gegen Leipzig, dort haben allerdings Marco Reus und der inzwischen in Manchester spielende Jadon Sancho alle drei Tore geschossen. Am 5. Dezember gab es außerdem ein 2:1 in Bremen und am 31. Oktober ein 2:0 in Bielefeld. Trotzdem hat sich zuletzt der Eindruck erhärtet, dass Dortmund ohne Haaland nicht annähernd so leidenschaftlich und wuchtig ist - und wenn wie am Samstag auch noch Reus fehlt, wirkt der BVB noch harmloser. Das war auch schon vor der Unterzahl so.

Für den Platzverweis machte Watzke im TV-Studio den Schiedsrichter Aytekin mitverantwortlich, weil dieser durch sein theatralisches Gestikulieren für zusätzliche Hektik gesorgt habe. "Er ist ja wie ein Kapellmeister aufgetreten", schimpfte Watzke. Dahoud entschuldigte sich am Sonntag via Instagram für sein Verhalten - allerdings nur bei seiner Mannschaft und bei den Fans. Nicht bei Aytekin. Dieser hatte den Platzverweis am Samstag auch damit begründet, dass er sich "respektlos" behandelt fühle. Und vor dem Hintergrund, dass Dahouds direkt vorangegangenes Foul unstrittig gewesen sei, habe er die Reaktion des Spielers schon mal gar nicht verstehen können.

In Dortmund bangen sie ab sofort vor allem um die schnelle Genesung ihrer Spieler Haaland und Reus, weil sie schon am Dienstag zum zweiten Champions-League-Gruppenspiel Sporting Lissabon empfangen. Die Portugiesen haben ihr Auftaktspiel zwar mit 1:5 gegen Ajax Amsterdam verloren, könnten einen BVB ohne Reus und Haaland aber womöglich trotzdem in die Bredouille bringen. Trainer Rose hegt die Hoffnung, dass zur Champions League beide Spieler wieder fit sind. Doch die Dortmunder Ungewissheit richtet sich über die kommenden Wochen hinaus auch schon auf den nächsten Sommer, wenn Haaland den BVB womöglich verlässt. "Das ist noch längst nicht entschieden", sagt Watzke. Und falls doch, müsse sich niemand sorgen: "Dann finden wir schon einen Neuen."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5422045
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.