Borussia Dortmund:Wenn der Kader nicht zur Spielidee passt

Bundesliga: BVB-Angreifer Marco Rose im Spiel gegen Bayer Leverkusen

"Wir halten uns nicht an die Vorgaben", sagt BVB-Kapitän Marco Reus nach dem 2:5 gegen Bayer Leverkusen. Dabei stellt sich die Frage, ob die Vorgaben des Trainers überhaupt zum Dortmunder Kader passen.

(Foto: Christopher Neundorf/imago)

Der BVB kann beim 2:5-Debakel gegen Leverkusen die taktischen Vorgaben des Trainers abermals nicht umsetzen. Marco Rose hält jedoch stur an seinem Plan fest - das könnte ihn bald in Bedrängnis bringen.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Für die Pfiffe der paar tausend Zuschauer, die ein Ticket für das immer noch fast leere Stadion ergattert hatten, zeigte Marco Rose vollstes Verständnis. Irgendwie hatte man sogar den Eindruck, dass er gerne selbst mitgepfiffen hätte: "Die Leute kommen ins Stadion, um ihre Mannschaft nach vorne zu peitschen - und dann legen wir uns die Eier selber hinten rein," klagte Rose. Und auch sonst konnte Borussia Dortmunds Trainer schnell erklären, warum alles so ähnlich wie bei jeder BVB-Niederlage unter seiner Regie gelaufen war. Kurz zusammengefasst das Fazit: Die Spieler halten sich nicht an die Vorgaben des Trainers. Kein Wunder also, dass Dortmunds Künstlertruppe mit 2:5 gegen Bayer Leverkusen unterging.

Der Dauerregen in Dortmund legte einen Schleier über das Geschehen. Doch die wahren Gründe für die BVB-Gegentore 32 bis 36 in der laufenden Bundesliga-Saison ließen sich dann doch nicht so auf den einen alleinigen Faktor zuspitzen, wie es Rose am Sonntag wieder einmal tun wollte. Dortmund ist de facto mit dem Debakel gegen Leverkusen aus dem dritten Titel-Wettbewerb dieser Saison raus. Auch Meister wird der BVB nun nicht mehr (bei neun Punkten Rückstand auf die Bayern), genau so wenig wie er den DFB-Pokalsieg verteidigen kann (nach dem peinlichen 1:2 im Achtelfinale beim Zweitligisten St. Pauli), und aus der Champions League war Dortmund schon nach fünf Spielen der Gruppenphase raus - nach teilweise ähnlich verworrenen Aufführungen wie diesmal gegen Bayer 04.

Die Erklärung dafür ist in Dortmund gerade dazu verdammt, im Ungefähren zu bleiben: "Wir halten uns nicht an die Vorgaben", fasste Kapitän Marco Reus nach dem 2:5 zerknirscht zusammen. Nur gehört halt zu den Grunderkenntnissen des Fußballs: Wenn eine Mannschaft lange und häufig die Vorgaben des Trainers nicht umsetzen kann, dann muss man eventuell die Vorgaben anpassen. Denn der Kader einer Mannschaft ist innerhalb einer Saison kaum zu verändern.

Kluge Trainer scannen deshalb die Fähigkeiten, die ihre vorhandenen Spieler haben, und versuchen diese Erkenntnisse dann in eine brauchbare Taktik zu formatieren. Von Marco Rose wissen sie in Dortmund, dass er einen anderen Weg geht - den der ganz Großen der Branche, wie etwa Pep Guardiola, die wohlweislich nur bei Klubs anheuern, die finanziell alle Wünsche für einen Kader erfüllen, der genau zu ihrer Trainer-Spielidee passt.

Gegner wie Leverkusen, die in einem Affenzahn angreifen, legen den Konstruktionsfehler offen

Rose will in Dortmund seine Spielweise entwickeln, die ein bisschen so ist wie die von Leverkusen oder auch jene des Champions-League-Gegners Ajax Amsterdam, gegen den der BVB in zwei Spielen mit insgesamt 1:7 Toren baden ging. Der Dortmunder Chefcoach will hoch pressen lassen, den Gegner zum Ballverlust zwingen, die eigene Offensive praktisch ständig in Alarmbereitschaft halten, entweder in der Kreation eigener Chancen oder im Erzwingen undurchsichtiger Spielsituationen tief in der Hälfte des Gegners, aus denen man zügig profitieren kann. Und entwischt doch mal ein Gegner aus dem hohen Pressing, dann schnappt schon die zweite Mittelfeldreihe zu. Soweit das Modell von Rose. Es erinnert an Jürgen Klopps Philosophie, der einmal sagte: "Gegenpressing ist der beste Spielmacher." Und alles, wo Klopp draufsteht, kommt in Dortmund gut an.

Spätestens nach diesem 2:5 gegen Leverkusen, bei dem das Ergebnis noch schlimmer hätte ausfallen können, dämmert aber vielen beim BVB, dass die Vorgaben des Trainers vielleicht auch deshalb so oft nicht umgesetzt werden, weil sie eigentlich für einen ganz anderen Kader gedacht sind. Aber nicht für den real existierenden der Borussia, der erst im Sommer gezielt durch Bayern-Verteidiger Niklas Süle verstärkt wird.

Borussia Dortmund: Applaudiert den Fans, nicht aber dem Spiel der eigenen Mannschaft: BVB-Trainer Marco Rose (rechts).

Applaudiert den Fans, nicht aber dem Spiel der eigenen Mannschaft: BVB-Trainer Marco Rose (rechts).

(Foto: Ina Fassbender/AFP)

Dortmund kann zu Recht auf den zweiten Tabellenplatz in der Liga verweisen, immer noch mit solidem Polster nach hinten. Und genau das tut man auch, während die Felle im Strom dahin schwimmen. Platz zwei und die gute Punkteausbeute tauchen jede Zwischenbilanz dieser Saison bisher in ein mildes Licht, selbst bei Wolkenbruch. Zwar sind die Bayern schon wieder enteilt und so uneinholbar wie immer, aber Leverkusen liegt als Dritter immer noch fünf Punkte hinter dem BVB. Das einzig wahre Saisonziel der Dortmunder, das Erreichen der Champions League, scheint also kaum in Gefahr zu sein, trotz der häufigen Aussetzer. Das ändert aber nichts an der erkennbaren Unwucht beim BVB.

Rose hatte seine Spieler die Woche über auf die extrem schnellen Gegenstöße von Bayer vorbereitet, aber seine eigene Taktik offenbar nicht den Schwächen seines Kaders angepasst. So musste er nachher konstatieren, dass vier der fünf Gegentore letztlich auf genau solche Gegenstöße nach Dortmunder Ballverlusten zurückgingen. Rose beharrt aber auch gegen explosive Gegner wie Leverkusen, die in einem Affenzahn mit gefühlt höchstens zwei Vertikalpässen vom eigenen Strafraum zum gegnerischen Tor stoßen können, auf seiner Grundaufstellung.

Dazu gehört im Normalfall nur ein typischer Absicherungsspieler auf der sogenannten "Sechser"-Position im Zentrum. Und der heißt im System auch noch Mo Dahoud, der weder ein defensiv denkender Spieler ist, noch besonders robust oder besonders schnell. Dahoud scheint aber im Kader immer noch der aktuell beste Sechser zu sein. Und egal, wie oft dieses Modell von Gegnern wie Leverkusen oder Ajax ad absurdum geführt wird: Die Vorgaben bleiben dieselben.

Zur fehlerhaften taktischen Grundkonstruktion kommen individuelle Fehler hinzu

Gegen Gegner, die nicht die Mittel haben, um die offensive Selbstverliebtheit der Dortmunder zu bestrafen, geht das oft gut. Aber in den Sphären, die der BVB anstrebt, wimmelt es im modernen Fußball von Highspeed-Spielern, die in die kaum abgesicherten Räume vor dem Dortmunder Sechzehnmeter-Raum wie in Lichtgeschwindigkeit hineinfliegen. Nur das erste Leverkusener Tor hatte nichts mit diesem Konstruktionsfehler von Taktik und Kader der Dortmunder zu tun. Bei jenem 0:1 verdaddelte Verteidiger Dan-Axel Zagadou in Slapstick-Manier den Ball am eigenen Strafraum und spielte ihn einem Gegner mustergültig in den Lauf. Marco Rose wird nicht leid, diese "individuellen Fehler" zu beklagen - zu Recht. Selten hat man eine technisch so begabte Mannschaft so viele Konzentrationsfehler begehen sehen.

An den Defiziten bei der Besetzung der Verteidigung, vor allem der Außenverteidigung, ändert das nichts, am gänzlichen Mangel von wenigstens einem klassischen Sechser im Kader auch nicht, ebenso wenig wie an den Geschwindigkeitsdefiziten auf den Außenbahnen - und auch nicht am Fehlen eines Dribblers wie des nach Manchester gewechselten Jadon Sancho, der intelligent gestaffelte Defensivreihen wie jene von Leverkusen am Ende wie auf dem Bolzplatz im Alleingang knacken könnte. Seinen letzten Dribbler, den sehr jungen, sehr schnellen Ansgar Knauff, hat der BVB gerade nach Frankfurt verliehen.

Borussia Dortmund: Einer der schnellen Leverkusener Außenspieler, die der BVB nicht in den Griff bekam: Mousa Diaby (links) erzielt das zwischenzeitliche 5:1 für Bayer.

Einer der schnellen Leverkusener Außenspieler, die der BVB nicht in den Griff bekam: Mousa Diaby (links) erzielt das zwischenzeitliche 5:1 für Bayer.

(Foto: Christopher Neundorf/imago)

Trainer Marco Rose ist deshalb nicht in jeder Hinsicht zu beneiden. Elf Niederlagen und 57 Gegentore, alle Wettbewerbe zusammengenommen, und dann immer wieder dieselben Ansprachen danach, dasselbe Wechselbad - alles nicht einfach. Doch das größte Hindernis für Rose dürfte - im Vergleich zur eigenen bisherigen Ausbeute - die Bilanz seines Vorgängers Edin Terzic sein. Der gewann mit dieser launischen Mannschaft, deren Auf und Ab nun Rose verwaltet, immerhin den DFB-Pokal. Terzic schied nach engen Spielen erst im Viertelfinale gegen Manchester City aus der Champions League aus und stürmte mit sieben Siegen zum Abschluss der Saison noch in die fast schon verloren geglaubten Champions-League-Ränge, das gelobte Land des BVB-Geschäftsmodells.

Edin Terzic ist seit Sommer "Technischer Direktor" und schaut nun von der Tribüne aus zu. Allzu viele Male darf die Mannschaft die Vorgaben von Trainer Rose deshalb wohl nicht mehr untererfüllen.

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