Süddeutsche Zeitung

BVB vor der Champions League:Guter Zeitpunkt für ein Königsspiel

  • Die 1:3-Pleite bei Union Berlin hatte beim BVB alte Wunden wieder aufgerissen, scheint aber scharf analysiert worden zu sein.
  • Gegen Leverkusen gelingt ein 4:0-Sieg, der noch höher hätte ausfallen können.
  • In der Champions League dürfte Trainer Favre gegen Barcelona eine ähnliche Taktik wie gegen Leverkusen wählen.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Eine gute Nachricht des Tages kam nicht aus dem Stadion, sondern vom Sonnenplatz. Dort, einen guten Kilometer entfernt, am Rande des schicken Kreuzviertels, brüllte eine massive Übermacht von BVB-Anhängern in Schwarzgelb eine Demo von etwa 40 Neonazis nieder, die sich am Rande eines der wichtigsten Anmarschwege zum Stadion postiert hatten. Die Nazi-Gemeinde hatte dazu den BVB-Schlager "Am Borsigplatz gebor'n" aufgelegt, um sich bei den Fans anzubiedern - und erntete Häme. Kaum mehr als eine Randnotiz, aber doch ein Zeichen.

Der 4:0-Triumph der Dortmunder Profis verbreitete nach diesem Vorspiel allerdings das wahre Wohlgefühl im BVB-Anhang. Souverän herausgespielt, mit Einsatz, Geduld, Spielfreude und einigen besonders schönen Spielzügen. Der hoch gehandelte Gegner Bayer Leverkusen konnte zwar 64 Prozent Ballbesitz verbuchen, als Gast bei einem Meisterschafts-Aspiranten ist das ein erstaunlicher Wert, aber wie BVB-Sportchef Michael Zorc zufrieden anmerkte: "90 Prozent diese Ballbesitzes fand in irrelevanten Zonen statt."

Das traf tatsächlich den Kern des Vier-Tore-Unterschieds - und vor allem den Leverkusener Trainer Peter Bosz traf es ins Herz. Denn vor zwei Jahren hatte Bosz bei Borussia Dortmund auf der Trainerbank gesessen, doch nach einer fulminanten Siegesserie zu Saisonbeginn war ihm die Kontrolle über Spiel und Mannschaft entglitten. Noch vor Weihnachten 2017 war Bosz wieder draußen. Mit Leverkusen hatte Bosz nun mit Ballbesitzfußball und hohem Attackieren des Gegners ähnliche Mittel anwenden wollen - und scheiterte erneut.

Favre überlässt Leverkusen freiwillig den Ball in gewissen Zonen

Der Zauber des Boszschen Überlegenheitsfußballs dauerte an diesem Tag nur gut 20 Minuten. Dann leistete sich seine Mannschaft einen scheinbar harmlosen Ballverlust gegen Achraf Hakimi, der konnte seelenruhig laufen und flanken, so dass Paco Alcácer in typischer Torjäger-Manier vollstrecken konnte: direkt, trocken, wie ein Phantom. Schon da deutete sich an, dass es mit der von Bosz erhofften starken Rückkehr nach Dortmund nichts werden würde. Die 1:3-Pleite bei Union Berlin, mit der sich der BVB ziemlich blamabel vor zwei Wochen in die Länderspielpause geschlichen hatte, schien scharf analysiert worden zu sein. In Berlin waren die Spieler von Trainer Lucien Favre kollektiv sieben Kilometer weniger gerannt als der aufmüpfige Aufsteiger. Das war diesmal anders.

Leverkusen enttäuschte vor allem deshalb, weil es kaum Aktionen gab, mit denen Bosz' Spieler die Dortmunder 16-Meter-Linie erreicht hätten. Der BVB verhinderte das souverän. Der Schlüssel dazu war das defensive Mittelfeld, erstmals in dieser Saison wieder vom aggressiv verteidigenden Thomas Delaney bereichert. Zorc attestierte dem Dänen trocken: "Er dürfte heute geschätzte 200 Zweikämpfe geführt haben, und von denen hat er gefühlte 210 gewonnen."

Favre überließ zudem seinem Pendant Bosz freiwillig viel Ballbesitz. Und ließ mit sehr kompakter Staffelung die Leverkusener ins Leere rennen. "Leverkusen hatte kaum Chancen", resümierte Delaney, "wir haben uns viel Selbstvertrauen geholt, gerade für das Spiel gegen Barcelona, bei allem Respekt."

Für Favre ist Ballbesitz ein Statussymbol, das nicht allzu viel über den Erfolg aussagt. So war ihm schon im August im Supercup-Finale gegen den FC Bayern ein 2:0 gegen eine europäische Spitzenelf geglückt. Und so dürfte es taktisch auch Dienstagabend gegen den FC Barcelona gehen, auf den der BVB im ersten Gruppenspiel der neuen Champions-League-Runde trifft.

Dortmund hätte mit etwas mehr Abschlussglück ein noch höherer Sieg gelingen können. So aber ließen es Marco Reus mit zwei Treffern und Raphael Guerreiro, der das 3:0 erzielte, insgesamt mit einem 4:0 bewenden, das am Ende nicht einmal allzu viel von der Energie gekostet haben dürfte, die man gegen Barcelona wird brauchen können. Barça hat am Samstagabend ein 5:2 gegen den ebenfalls ambitionierten FC Valencia nachgelegt. Beide Mannschaften sind offenbar in guter Verfassung.

Für den BVB und seinen diesmal taktisch triumphierenden Trainer Favre kommt das Königsspiel gegen die Katalanen zu einem guten Zeitpunkt. Die Pleite von Berlin hatte alte Wunden aufgerissen, die mit dem offensiven Ausrufen von Meisterschafts-Ansprüchen überwunden zu sein schienen. Allzu zaudernd, ohne Dominanzanspruch hatte Favres Elf bei Union gespielt. Dass Dortmund gegen starke Gegner mit der eigenen Spielidee präsent sein kann, hat die Mannschaft häufiger nachgewiesen; in der vorigen Saison misslang dies nur beim 0:5 im Wegweiserspiel in München. Verloren aber wurde der Titel anderswo. Es ist BVB-intern deshalb klar, dass der Titel wohl nicht in den Spitzenduellen vergeben werden dürfte, sondern auf den Etappen gegen die vermeintlich Kleinen. "Wenn wir so spielen wie heute", prophezeit der herausragende Innenverteidiger Mats Hummels, "sind wir ein Kandidat für die Meisterschaft. Wenn wir meinen, mit weniger Engagement auszukommen, liegen wir ein paar Plätze drunter."

Sobald Dortmund selbst eine hohe Ballbesitzquoten hat, weil der Gegner sich verbarrikadiert, ist es meist schnell vorbei mit der spielerischen Herrlichkeit. Favres Umschaltfußball mit Blitzkontern verliert dann seine Kraft. Dieses 4:0 gegen Leverkusen war deshalb mehr als nur ein klares Resultat. Es war auch gut für die Seele. Obwohl es noch nicht viel Neues brachte zu den wirklichen Fragen übers Dortmunder Innenleben.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4602063
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 16.09.2019/tbr
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.