Alte Bekanntschaften verleihen dem Fußball manchmal eine feine Prise Heimeligkeit, aber es kann auch ganz schön kompliziert sein mit den Ehemaligen. An diesem Abend findet zum Auftakt der Champions League wieder einmal ein solches Treffen statt - die Protagonisten heißen diesmal Ciro Immobile, 30, und Borussia Dortmund. Der Stürmer von Lazio Rom und der BVB, diese Verbindung offenbarte von fünf Jahren ein paar gehörige Beziehungsstörungen, an die man sich jetzt wieder erinnert.
Der Mann aus Torre Annunziata im Einzugsgebiet von Neapel und seine damaligen Mannschaftskollegen, das war eher nichts für Kuschelfreunde. Geblieben sind vor allem Immobiles eindringliche Klagen, weil er sich einfach nicht willkommen fühlte in Deutschland. Ihm ist weiland ja auch wahrlich Unerhörtes passiert: Die vermeintliche Wurstigkeit der Kameraden in Dortmund traf ihn so heftig, dass er irgendwann vor Verzweiflung wieder heim nach Italia wollte. "Die Deutschen sind kalt, da kann man nichts machen", sagte der Blondschopf damals dem Magazin SportWeek. Es sei quasi unmöglich, amici zu finden, denn: "In den acht Monaten, seit denen ich hier bin, hat mich kein Teamkollege zu sich nach Hause zum Abendessen eingeladen."
Der Vollständigkeit halber sei notiert, dass es gleichermaßen hieß, Immobile habe sich geweigert, Deutsch zu lernen - so blieb am Ende die Einsicht: Es war kompliziert mit dem verhinderten Torschützen und den Preußen im Ruhrgebiet. Jetzt also das Wiedersehen, immerhin nicht im kalten Dortmund, sondern im Olimpico von Rom, wo zwar nur 1000 Fans zugegen sein werden, aber das immerhin bei wohligwarmen Herbstgraden.
Und Immobile erwartet den BVB diesmal als gemachter Mann ohne Selbstzweifel: Er ist stolzer Besitzer des Goldenen Schuhs, den er vergangene Saison als treffsicherster Torjäger in Europas obersten Ligen bekam - noch vor Robert Lewandowski. 36 Treffer in 37 Partien erzielte er für Lazio, als Belohnung gab es einen kaiserlich ausgestatteten Kontrakt in der Ewigen Stadt - Immobile könnte bis 2025 ein Römer sein, wenn er nicht doch nochmal ins herzerwärmendere, südliche Ausland wechselt. Aber warum noch einmal in die Fremde, wo es nur wieder kompliziert würde?
Was das Wiedersehen mit ihm nun für die Dortmunder bedeutet, darüber sprach am Montag Mats Hummels. Er erinnert sich durchaus an die Treffsicherheit Immobiles, auch wenn der in Dortmund in einem Jahr nur drei Tore zustande brachte. "Für uns ist es relevant, dass wir ihm nicht allzu viele Chancen geben, weil er seit ein paar Jahren vor dem Tor eiskalt unterwegs ist", warnte der BVB-Kapitän vor dem Lazio-Capitano. Die Römer sind zwar schwach in die Saison gestartet, aktuell belegt man nur Platz 15, aber diesen Immobile, der in Italien seit Jahren wieder seine Tore schießt, muss Dortmund erstmal aufhalten.
Dreimal wurde er inzwischen Torschützenkönig der Serie A, sein Spiel ist immer noch ähnlich wie damals: Immobile gilt als Vollstrecker, er macht keine Faxen, sondern haut das Ding im Zweifel einfach rein, egal ob per Elfmeter oder aus dem Vollsprint. Er ist kein glanzvoller Torero wie Ronaldo und auch kein Dicke-Hose-Wuchtling wie Ibrahimovic, sondern eher die alte italienische Schule. Immer eine Fußspitze im Abseits, stets in Lauerstellung, so wie einst der größte Quälgeist des Calcio: "Superpippo" Inzaghi.
Interessanterweise trainiert ausgerechnet dessen jüngerer Bruder Simone Inzaghi, 44, heute Lazio. Er hat sein Team zu einer manchmal unterschätzten Einheit geformt und sagt nun: "Wir müssen gegen Borussia Dortmund aggressiv sein. Sie sind eines der acht besten Teams in Europa. Es wird ein hartes Spiel - wir müssen eine Topleistung abrufen." Auf eine solche Leistung hoffen freilich auch die Dortmunder, die es vor allem hinten ein wenig zwickt.
Trainer Lucien Favre muss in der Defensive tüfteln, schließlich plagen den BVB weiterhin die Ausfälle von Manuel Akanji (gerade überstandene Corona-Infektion), Dan-Axel Zagadou (Knie) und Nico Schulz (Muskelfaserriss), dazu fehlt Emre Can wegen einer Rotsperre, die er aus der vergangenen Saison (beim Aus gegen PSG) mit ins Jetzt geschleppt hat. Gerade seine Robustheit wäre beim Muskelkampf in Rom bedeutsam gewesen. So aber ist Hummels in der Dreierkette erst recht als Anker gefragt, der den römischen Ansturm um Immobile und den Argentinier Joaquín Correa bremsen soll. "Das ist eine Herausforderung, weil man gewisse Automatismen hat", sagt er, "es wird darauf ankommen, dass wir viel kommunizieren. Wir müssen uns verbal viel helfen."
Viel reden, aufmerksam sein, sich gegenseitig helfen. Das hätte Immobile sich bestimmt auch damals in Dortmund gewünscht. Aber sein Komplex ist nun abgehakt. Auf der Pressekonferenz am Montag ließ er durchblicken, dass er vorab noch mit niemandem aus dem BVB-Lager gesprochen habe. Aber er freue sich natürlich "einige meiner ehemaligen Teamkollegen und Mitarbeiter zu sehen, denen ich noch immer nahe stehe". Va bene also.