Süddeutsche Zeitung

BVB-Pleite gegen Köln:Wenn schwarzer Tag, dann richtig

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Schon wieder eine Blamage: Das Dortmunder 1:2 gegen seit fast neun Monaten sieglose Kölner wirkt wie eine selbsterfüllte Prophezeiung - den Talenten der Borussia fehlt Elementares.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

In der Winterkälte des leeren Dortmunder Stadions half nur noch die Besinnung auf die Wissenschaft. Der Psychologe Robert Merton hat den Begriff von der "sich selbsterfüllenden Prophezeiung" geprägt, mit der Kernthese: Wem schlimme Dinge vorhergesagt werden, den kann das so in seinem Verhalten verunsichern, dass tatsächlich schlimme Dinge passieren. Als Borussia Dortmund das Heimspiel gegen den vermeintlichen Abstiegskandidaten 1. FC Köln 1:2 (0:1) verloren hatte, drängte sich angesichts des beinahe kollektiven Blackouts bei den Schwarzgelben mal wieder die Psychologie als Erklärung auf.

Die Gewinner-Seite konnte sich an handfesteren Dingen festhalten. Markus Gisdol, der leidgeprüfte Trainer des FC, der seit Anfang März 18 Mal in Serie nicht gewonnen hatte, strahlte über alle Wangen: "Es ist ein Anfang gemacht", gluckste Gisdol überglücklich, "dass diese Serie, die unendlich schien, endlich vorbei ist - und dass wir trotz dieses Drecksvirus nicht verflucht sind und trotzdem noch ein Spiel gewinnen können."

Ein bisschen metaphysisch war der Siegesjubel der Kölner also schon durchwirkt. Aber die Computer hatten als rationalen Sensationsgrund auch festgehalten, dass die Kölner gemeinsam um die neun Kilometer mehr gelaufen waren als die Borussen, die zuletzt außerordentlich gelobt worden waren nach ihrem 5:2 bei Hertha BSC und dem 3:0 in der Champions League gegen Brügge. "Wir haben heute eine abartige Laufleistung gebracht", fasste Kölns Trainer die mathematische Erklärung des Unglaublichen zusammen.

Der glückselige Gisdol konnte sich ebenso handfest bedanken bei seinem Co-Trainer: "Um die Standards kümmert sich André Pawlak federführend", reichte der Chef einen Gutteil der Lorbeeren des Sieges an seinen Assistenten weiter. Unglaublicherweise waren Köln beide Treffer mit exakt dergleichen Standard-Variante gelungen: Eckstoß zum kurzen Pfosten, Kopfball-Verlängerung zum zweiten Pfosten, und dort, zweimal, kein Dortmunder - dafür beide Male freistehend Kölns Ellyes Skhiri, der beide Male einnetzte (9. und 60. Minute). "Es war das erste Mal, dass ich zwei Tore in einem Spiel gemacht habe", versicherte der in Frankreich geborene Tunesier, er wirkte selbst verwundert, wie es dazu kommen konnte.

Der Verlängerungs-Trick wurde einst von Hennes Weisweiler erstmals in Köln eingeführt, es muss um das Jahr 1978 herum gewesen sein, und weil der "Bauerntrick" so gut bekannt ist, wird er heute nur noch selten versucht. Dortmunds Torwart Roman Bürki, bei beiden Toren ebenso perplex wie die ganze Abwehr, räumte ein, man habe "natürlich in Videos gesehen, dass die Kölner das spielen". Genutzt hat die Besichtigung des Museumsstücks unter den Eckballtricks aber nichts. Warum, wusste Bürki auch nicht. Köln jedenfalls gelang der erste Sieg in Dortmund seit 1991. Damals hatten die beiden heutigen Sportdirektoren, Horst Heldt und Michael Zorc, noch selbst auf dem Rasen gespielt.

Für Dortmund war es keine ganz neue Erfahrung, Blamagen gegen vermeintlich leichtere Gegner ziehen sich mit erschreckender Regelmäßigkeit durch die knapp zweieinhalbjährige Amtszeit von Trainer Lucien Favre. Vor ein paar Wochen setzte es schon ein 0:2 beim FC Augsburg. Gegen Lazio Rom gingen die Dortmunder im ersten Champions-League-Spiel ebenso sang- und klanglos unter - das Rückspiel steht am Mittwoch auf dem Plan. Zudem kommen in ähnlicher Erwartbarkeit die Niederlagen gegen den FC Bayern und generell Aussetzer in wichtigen Spielen.

Favre sagte nach dem über weite Strecken unterirdischen Kick seiner Elf: "Wir hatten ein schweres Spiel erwartet, und das war der Fall." Nun erwarten Trainer von Spitzenmannschaften von einem Spiel gegen ein seit fast neun Monaten siegloses Kellerkind gemeinhin kein sehr schweres Spiel. Aber zu den Eigenheiten des BVB-Chefcoachs gehört es nun mal, die Warnung über den Überschwang zu stellen.

Manche mögen das Spiel der Borussen, vor allem in der ersten Halbzeit, als geduldig wahrgenommen haben. Aber es wirkte eher verunsichert, ohne Mumm, ohne das Selbstbewusstsein einer Truppe von Himmelsstürmern oder zumindest Nationalspielern. Fast 100 Fehlpässe wurden notiert, Köln zählte ebenso viele. Aber von einer abstiegsbedrohten Mannschaft muss man auch keine Präzision erwarten, von den BVB-Supertalenten schon.

Eine echte positive Ausnahme konnte man bei Dortmund wieder mal nicht finden - wenn schwarzer Tag, dann richtig: Torjäger Erling Haaland, 20, forderte diesmal kaum Bälle, wofür ihn Favre zart tadelte nach dem Spiel. Haaland stolperte auch Sekunden vor dem Abpfiff, als er den Ball nur noch ein paar Zentimeter zum 2:2 ins leere Tor hätte drücken müssen. Julian Brandt, 24, eigentlich ein begnadeter Fußballer, gelang fast keine Aktion.

Jadon Sancho, 20, schoss nach vier Minuten an die Latte, verschwand danach aber in verlorenen Dribblings. Marco Reus, 31, legte Haaland zwei Torschüsse auf, passte sich aber sonst dem zaghaften Gekicke an. Axel Witsel, 31, blieb so blass, dass man fast ohne ihn ausgekommen wäre. Dem eingewechselten Thorgan Hazard, 26, gelangen immerhin das 1:2 und ein paar gute Aktionen.

Als 20 Minuten vor Schluss Youssoufa Moukoko, 16, eingewechselt wurde, blitzte mehrmals Torgefahr auf - fast so, als hätte Moukoko bei den Warnungen des Trainers vor den gefährlichen Kölnern nicht zugehört. Doch ein gewisser Skhiri störte Moukoko Minuten vor Abpfiff beim Torschuss. Auch das war typisch für diesen Abend der selbsterfüllten Prophezeiungen.

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SZ vom 30.11.2020
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