Zu den bemerkenswerten Begebenheiten der laufenden Saison zählt, dass die Hertha aus Berlin gerade an starken Gegnern wächst. Am Samstag war das wieder zu beobachten: Nach einem überzeugenden Vortrag gegen den gefällig auftretenden Champions-League-Viertelfinalisten Borussia Dortmund siegten die Berliner mit 2:1. Damit bringt Hertha sich wieder in den Kampf um die Champions-League-Plätze der kommenden Saison ein. Denn die weiterhin drittplatzierten Dortmunder und der Tabellenvierte Hoffenheim sind nur noch drei beziehungsweise zwei Punkte von den Berlinern entfernt.
Ein derart famoser Ertrag war das Resultat eines über 90 Minuten lang wirklich guten Bundesligaspiels. Das vollbesetzte Berliner Olympiastadion bot die Bühne für das Aufeinandertreffen zweier Mannschaften, die hervorragend organisiert waren und zu jedem Zeitpunkt nach dem gegnerischen Tor suchten, von denen keine bereit war, auch nur einen Schritt zu viel zurück zu tun. Und es war gleichzeitig ein Spiel, das in seinen Wendungen so trügerisch war wie die Sonne über Berlin, die am Mittag noch so frühlingshaft wirkte und dann doch nicht wärmte.
Der trügerische Moment, der der Partie innewohnte, lag auch an dem blendenden Tempo und der Aggressivität, die der BVB mit Spielbeginn an den Tag legte. Es schien, als wollten sie nach ihrem rauschenden 4:0-Sieg gegen Benfica Lissabon vom Mittwoch einen möglichen Zweifel an Energiereserven nach dem Champions-League-Kraftakt gar nicht erst aufkommen lassen. Dortmunds Trainer Thomas Tuchel hatte vier neue Spieler aufgeboten: Matthias Ginter, Raphael Guerreiro, Shinji Kagawa und André Schürrle.
Ginters Unachtsamkeit bringt die Borussia aus der Bahn
Durch ebendiesen Schürrle kamen die Gäste kamen im vollbesetzten Berliner Olympiastadion auch umgehend zur ersten Chance. Doch der Weltmeister verzog aus halblinker Position, völlig freistehend. Hernach hatte Innenverteidiger Ginter im Anschluss an eine Ecke die Gelegenheit, den Ball im Tor der Berliner unterzubringen. Und das sollten die Vorboten für den "Mangel an Effektivität und Präzision", den Dortmunds Trainer Tuchel nach der Partie als den ausschlaggebenden Grund für die Niederlage beklagen sollte. Dass der BVB nach einem Champions-League-Sieg erneut in der Liga verlor? "So ist es halt", sagte Tuchel, "vielleicht ist es ja nur Zufall."
Der Tabellenführer erkämpft ein mühevolles 3:0 gegen Eintracht Frankfurt - und ist trotzdem der große Gewinner des Spieltags.
Fataler als die vergebenen Gelegenheiten war aus Dortmunder Sicht freilich die Szene in der 10. Minute, die Ginter wieder zum Hauptdarsteller erkor. Er bekam einen Pass nicht unter Kontrolle und verlor den Ball an Herthas hellwachen Sturmveteranen Vedad Ibisevic. Herthas Kapitän entwischte dem Dortmunder Abwehrmann, düpierte ihn unterwegs noch mit einem Übersteiger und legte seinem Sturmkollegen Salomon Kalou den Ball mundegerecht auf: Kalou musste aus kurzer Distanz nur noch einschieben, um seinen sechsten Saisontreffer zu erzielen. "Wir haben das Tor durch eine Unachtsamkeit weggeschenkt", ärgerte sich Tuchel. Und Ginter gab zu: "Ich habe die Situation total unterschätzt und mir den Ball zu weit vorgelegt. Das darf natürlich nicht passieren."
Hertha hingegen heimste damit den Preis dafür ein, dass sie nicht nur die gewohnt solide, gut strukturierte Abwehrarbeit bot, sondern erkennbar auch des Gegners Tor suchte. "Wir hatten uns vorgenommen, mehr als ein Tor zu schießen", erklärte Ibisevic nach der Partie, und das fand seinen Ausfluss in zwei weiteren Chancen des überaus inspiriert wirkenden Kalou. Er kam auch zu weiteren Chancen: Erst lenkte Torwart Roman Bürki einen 18-Meter-Schuss des Ivorers über die Querstange (15.); dann schlug Guerreiro im Anschluss an eine Ecke einen Schuss von Kalou von der Linie (16.). Wirkliches Raunen ging erst durchs Rund, als Kalou nach einer Flanke von Herthas Linksverteidiger Marvin Plattenhardt nur knapp am Ball vorbeiflog (45.).
Auch nach der Pause blieb das Spiel abwechslungsreich, und wieder hatten die Dortmunder den besseren Beginn. Nach einer grandiosen Kombination legte der Japaner Kagawa den Ball dem Mittelstürmer Aubameyang auf, der dem - im Übrigen wieder glänzenden - Hertha-Torwart Rune Jarstein mit einem Linksschuss aus halblinker Position keine Chance ließ. Der Sieg kam dann für Hertha allerdings von der Bank. Genauer: durch den seit Mitte Dezember verletzungsbeding pausierenden Mitchell Weiser.
Ginter leitet auch das zweite Tor der Hertha ein
Der frühere Bayern-Profi musste erst noch zusehen, wie Aubameyang den Ball neben das Tor lupfte (69.); im Anschluss daran aber zeigte er, was der Hertha in den vergangenen Wochen so sehr gefehlt hatte. Sein direkter, nachgerade wahnsinniger Zug zum gegnerischen Tor. Er tankte sich bis an die Strafraumgrenze der Dortmunder durch - und wurde dort gefoult, von Ginter, der damit seinem unglücklichen Tag die Krone aufsetzte. Herthas Linksverteidiger Marvin Plattenhardt nahm zwei Schritte Anlauf und zirkelte den Ball aus 17 Metern in den rechten oberen Winkel. Das sah einerseits fantastisch aus, hatte aber andererseits in Dortmunds Torwart Roman Bürki einen freundlichen Helfer. Denn er stand in der Ecke des Tores, in die der Ball flog.
Auch danach noch sorgte Weiser für Entlastung, seine bloße Gegenwart half den Berlinern, die späte Drangperiode der Dortmunder zu überstehen. Wirkliche Torchancen kamen dabei nicht mehr zustande, zu den bemerkenswerteren Szenen zählte ein 18-Meter-Schuss von Schürrle. Ein wenig Aufregung gab es noch, weil Weiser nach einem Foul noch ein paar Minuten schinden wollte und den Ball wegdrosch; der ebenfalls eingewechselte Dortmunder Dembélé rammte Weiser um und konnte ein wenig von Glück sagen, dass er dafür nur Gelb sah. In jedem Fall blieb Hertha nach zehn Siegen aus zwölf Spielen vor eigenem Publikum die beste Heimmannschaft der Saison. Auf fremden Plätzen aber hat Hertha aus zwölf Spielen nur zwei Siege holen können - und in der kommenden Woche geht es nach Köln. Dortmund hingegen muss am Dienstag im Pokal ran - bei den Sportfreunden aus Lotte.