Süddeutsche Zeitung

Fjörtoft spricht über Haaland:"Wir haben von seinem Talent gewusst"

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Der Norweger Jan Aage Fjörtoft spricht über Dortmunds Juwel Erling Haaland - und erklärt, warum er die Wahl für den BVB "typisch Team Haaland" findet.

Interview von Javier Cáceres

Das erste Spiel, das Jan Aage Fjörtoft vor dem Fernseher gebannt verfolgte, war ein Landesmeisterpokalfinale mit deutscher Beteiligung. Im Vorläuferwettbewerb der Champions League siegte der FC Bayern 1975 gegen Leeds United 2:0 - Fjörtoft entwickelte Sympathien für die Engländer, weil diese in seinen Augen so tragisch verloren hatten. Später wurde Fjörtoft selbst norwegischer Nationalspieler. Er spielte in der Heimat für Hamarkameratene und Lilleström, später für Rapid Wien; über Swindon Town, Middlesbrough, Sheffield und Barnsley landete er bei Eintracht Frankfurt, wo er zwei Mal den Klassenerhalt schaffte. Einmal unter Jörg Berger, der Fjörtofts berühmten Worten zufolge ein so guter Trainer war, "dass er auch die Titanic gerettet hätte" - und einmal unter Felix Magath. Ob "Quälix" Magath die Titanic auch gerettet hätte, wisse er nicht, sagte Fjörtoft damals: "Aber die Überlebenden wären topfit gewesen."

Nach 52 Bundesligaspielen (14 Tore) ging Fjörtoft zurück nach Norwegen. Seit einigen Jahren ist er Reporter des norwegischen TV-Senders Viasport - er war vor einer Woche auch in Augsburg, wo sein 19-jähriger Landsmann Erling Haaland zum Bundesligadebüt drei Tore zum 5:3-Sieg seines neuen Klubs Borussia Dortmund beisteuerte. Und am Freitag in Dortmund, als Haaland erneut doppelt traf. Fjörtoft ist jetzt eine Art Haaland-Sonderkorrespondent: "Mein Chef hat gesagt: Zu den nächsten vier Spielen fährst du auch!"

SZ: Herr Fjörtoft, steht Norwegen auch noch unter dem Eindruck des Drei-Tore-Einstands von Erling Haaland?

Jan Aage Fjörtöft: Natürlich! Die Zeitungen waren voll mit der Geschichte. Norwegen ist ein langes Land, von Oslo bis hoch nach Kirkenes ist es fast so weit wie bis nach Rom. Gemessen an seinen fünf Millionen Einwohnern ist es aber ein kleines Land. Und wenn unsere Sportler im Ausland Erfolg haben, sind wir unglaublich stolz, wir kennen uns ja alle. Egal, ob unsere Handballer bei der EM Mitfavoriten sind oder ob Haaland bei Dortmund so einschlägt ...

Sie haben mit Erlings Vater Alf-Inge in Norwegens Nationalelf gespielt, als sich Ihr Land erstmals für eine WM qualifizierte, 1994 in den USA. Seit wann wussten Sie, dass Alf-Inge so ein Juwel heranzieht?

Man achtet natürlich auf die Kinder von früheren Kameraden. Viele von uns haben Kinder, die im Fußball tätig sind ...

Ein Zufall?

Nein. Die haben ja quasi in den Kabinen das Licht der Welt erblickt, und wenn du dann auch noch wie Erling in Leeds geboren wirst ... Aber im Ernst: Wir haben von seinem Talent gewusst. Vor allem, nachdem er 2017 zu Molde FK gewechselt war. Da war er im Grunde schon der Stürmer, der er jetzt ist und der mich mit seinem Temperament auf dem Platz beeindruckt. Vor allem, wie er selbst Räume schafft, und dann andeutet, wo er den Ball hinhaben will. Haben Sie sein erstes Tor gegen Augsburg gesehen?

Den Schuss in die lange Ecke nach dem Pass von Jadon Sancho in den Strafraum.

Da konnte man genau sehen, was ich meine: Erling kreiert einen Raum, deutet mit dem Finger hin, wo er den Ball haben möchte, und kann die Situation ideal ausnutzen, weil er Spieler wie Hazard, Reus oder eben Sancho hinter sich hat.

Molde war ja schon Haalands zweite Profistation. Er spielte zuvor in Bryne, dem Geburtsort des Vaters.

Bryne liegt vor den Toren von Stavanger und hat eigentlich immer gute Talente hervorgebracht. Zum Beispiel Arne Larsen Ökland, der in den Achtzigerjahren in Leverkusen gespielt hat. Molde war für Erling dann nur der nächste natürliche Schritt. Die haben dort auf junge Spieler gesetzt, die sich gut entwickelt haben, und dann hatte er auch noch Ole Gunnar Solskjaer als Trainer ...

... der Bayern-Fans ein Begriff ist, weil er als Stürmer von Manchester United im Champions-League-Finale 1999 in letzter Sekunde das 2:1-Siegtor schoss .

Für einen Stürmer ist es immer gut, wenn ein Trainer deine Position versteht. Aber mindestens so wichtig wie all diese Förderung, die er als Heranwachsender bekam, war immer, dass Erling eine Familie hat, die ihm zur Seite steht, die Ratschläge gibt.

Besonders sein Vater Alf-Inge?

Als Profi war Alfie der klassische Führungsspieler. Bei Manchester City wurde er sogar Kapitän. Außerhalb des Platzes war er immer auch ein sehr ruhiger, analytischer Typ. Das schlägt sich nun nieder.

Was meinen Sie damit konkret?

Alf-Inges Rolle ist es, Vater zu sein. Er würde keine andere Rolle ausfüllen, wenn Erling nicht Fußballer geworden wäre, sondern an der Uni studieren würde. Es gibt genügend Beispiele, wo Eltern ihre Kinder kaputt machen, auch im Fußball. Der Vorteil von Ex-Fußballern wie Alfie ist: Wir haben es nicht nötig, unsere Träume durch unsere Kinder in Erfüllung gehen zu sehen.

Alf-Inge Haaland war Mittelfeldspieler, sein Sohn ist ein 1,94 Meter großer Stürmer. Was beide aber gemeinsam haben: Um sich als Fußballer fortzuentwickeln, mussten sie ins Ausland.

Ja, das ist immer das Ziel eines norwegischen Fußballers. Obwohl in der norwegischen Liga allmählich ganz gute Gehälter gezahlt werden.

Erling Haaland ging 2019 nach Salzburg.

Warum war das der richtige Weg? Es war vor allem eine Entscheidung, die ich "typisch Team Haaland" nenne. Sie hätten damals die Möglichkeit gehabt, zu Juventus Turin zu gehen. Das war verlockend. Aber Salzburg hatte die richtige Philosophie für Erlings Entwicklung. Darauf haben die Haalands auch jetzt wieder geschaut: Wo kann er sich besser entwickeln? Und dann kamen sie zu dem Schluss, dass in Deutschland nur Leipzig oder Dortmund infrage kamen. Am Ende wurde es Dortmund und nicht etwa Manchester United, was für viele der natürliche Favorit gewesen wäre, weil dort sein früherer Coach Solksjaer als Trainer arbeitet und weil United sehr populär ist in Norwegen.

Das klingt, als wäre die Bundesliga die perfekte Ausbildungsliga. Auf hohem Niveau, aber nicht am absoluten Limit?

Zumindest ist die Zahl der Spieler, die in Dortmund in den letzten Jahren besser wurden, sensationell hoch. Ja, Aubameyang hatte seine Tore schon in Frankreich geschossen, aber den Durchbruch nach England schaffte er in Dortmund. Bei Lewandowski, bei Dembélé - auch wenn der jetzt in Barcelona Probleme hat -, da war das ähnlich. Ebenso jetzt bei Sancho: Er musste aus England weg und wurde im BVB-Milieu ein Star. Leipzig ist ähnlich. Ich weiß, es gibt Proteste gegen Red Bull. Aber wenn man das ausblendet, sieht man einen Klub, der sehr planvoll mit jüngeren Spielern und einer Philosophie arbeitet.

Beim FC Bayern hingegen spielte Haaland anscheinend nie eine richtige Rolle. Obwohl Salzburg nur eine Autostunde entfernt ist, Erling also ein Jahr lang fast in Sichtweite der Münchner Arena spielte.

Unterschätzen Sie den FC Bayern nicht. Aber: Die Erwartungshaltungen sind bei einem Klub wie Bayern so groß, dass es da einfach schwieriger ist, als Nachwuchsspieler zu reifen. Sie müssen immer gleich die Champions League holen. Die Bayern haben schon ein Auge für junge Spieler.

Aber?

Ich vermute, es wirkt auch nach, dass sie sehr gut gefahren sind, wenn junge Talente wie einst Lahm (an Stuttgart, d. Red.) oder Kroos (nach Le verkusen, d. Red.) ausgeliehen wurden, Erfahrungen sammelten, als gute Spieler zurückkehrten. Aber ja: Ich glaube, dass die Bayern sogar selbst sagen würden, dass ihre eigene Nachwuchsarbeit in den letzten Jahren besser hätte sein können. Aber das ändert sich gerade, oder?

Norwegen hat neben Haaland ein weiteres junges Top-Talent: Martin Ödegaard, 22. Er wurde erst von Real Madrid verpflichtet, trat dann aber den Umweg über Holland an und überzeugt nun in San Sebastián. War das auch ein Grund für Haaland, kleinere Schritte zu machen, Großklubs wie Juventus oder Manchester United erst einmal auszublenden?

Nein, das war ein völlig anderer Fall. Ödegaard suchte einen Klub mit einer guten zweiten Mannschaft, und seine Wahl fiel auf Real Madrid, weil dort Zinédine Zidane noch Trainer war. Bei Haaland ging es um den nächsten Karriereschritt.

Ödegaard glänzt jetzt bei Real Sociedad San Sebastián. Überrascht?

Überhaupt nicht. Er hat eine Weltklasseeinstellung zum Fußball. Wie Haaland. Die wollen beide immer besser werden.

Norwegen hat sich nicht direkt für die EM qualifiziert. Sind Namen wie Ödegaard oder Haaland dennoch Vorboten einer Renaissance des norwegischen Fußballs?

Von der Balance her sieht es gut aus. Es wächst eine Generation heran, die eine goldene Generation werden kann. Nicht nur im Fußball, auch beim Skifahren, im Handball, in der Leichtathletik. Nochmals: Norwegen ist ein kleines Land. Deshalb sind wir extrem generationenabhängig.

Wo sind die anderen norwegischen Juwele ?

In Genk haben wir Sander Berger, der Champions League gespielt hat, in England hat Joshua King bei Bournemouth seine Sache sehr ordentlich gemacht, es gibt einen guten Verteidiger bei Celtic Glasgow, Kristoffer Ajer, und in Berlin spielt seit Jahren ein erfahrener Torwart, Rune Jarstein. Jetzt Haaland. Das alles belegt, dass der Verband, die Klubs, aber auch die Spieler selbst in den letzten Jahren vieles richtig gemacht haben. Bei den Männern und bei den Frauen. Denken Sie an Ada Hegerberg in Lyon, Caroline Graham Hansen in Barcelona, Guro Reiten beim FC Chelsea ...

Wo liegt Erling Haalands Limit?

Keine Ahnung. Ganz ehrlich. Aber es ist jetzt auch egal. Das Limit sollte jetzt sein: ordentlich für Dortmund spielen. Und in Dortmund hat er das Umfeld und die Mitspieler, um das zu schaffen.

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SZ vom 24.01.2020
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