Als Jürgen Klopp nach dem Abpfiff endlich wieder Kontakt zu seinen Jungs aufnehmen durfte, marschierte der Trainer von der Tribüne schnurstracks in die Kabine, stellte sich vor die Spieler und sagte: "Gewöhnt Euch bloß nicht daran."
Dem Trainer war also schon wieder zum Scherzen zumute nach seiner Strafexpedition hoch auf die Tribüne, die er sich am liebsten erspart hätte. Die Profis von Borussia Dortmund ließen ohnehin keinen Zweifel daran, dass ihnen der Normalzustand sehr viel lieber ist als diese ungewohnte Situation, in der ihr Trainer weit weg von ihnen sitzt, anstatt sich, wie sonst, lautstark an der Linie zu inszenieren. Dazu war es nach Klopps Ausraster beim Auftaktspiel in der Champions League beim SSC Neapel gekommen. An diesem Mittwoch entscheidet die Uefa, ob noch weitere Sanktionen folgen.
Es sei schon "komisch, dass du nach rechts schaust, und er steht nicht da", sagte Kevin Großkreutz stellvertretend für alle. Um dann noch eine kleine Liebeserklärung folgen zu lassen: "Wir haben heute auch für ihn gewonnen, weil wir ihm viel zu verdanken haben."
Borussia Dortmund in der Einzelkritik:Lauter unglaubliche Dauerrenner
Mats Hummels beweist als souveräne Führungskraft seinen Wert fürs Team. Der junge Erik Durm setzt sich abgezockt über eine Order des Trainers hinweg. Und Außenverteidiger Kevin Großkreutz zeigt, dass er frühere Anlaufschwierigkeiten längst hinter sich gelassen hat. Der BVB beim 3:0 gegen Olympique Marseille in der Einzelkritik.
Sie haben es überstanden, die Spieler in Schwarz-Gelb und auch ihr Trainer - und das mit Bravour. 3:0 (1:0) nach zwei Treffern von Robert Lewandowski (davon ein Elfmetertor) und ein 35-Meter-Freistoß von Marco Reus, den Marseilles Torhüter Steve Mandanda gütigerweise durch die Arme trudeln ließ, waren durchaus beeindruckende Arbeitsnachweise.
Nach der Partie gewährte der 46-Jährige, der das Spiel in einer Loge auf der Osttribüne verfolgt hatte, Einblicke in sein Seelenleben: "Man sieht da oben tatsächlich sehr viel besser, aber sonst ist es scheiße. Ich brauche das nicht häufiger, aber wenn es so läuft wie heute, ist es zu ertragen."
Klopp machte das Beste aus der ungeliebten Zwangssituation, es waren putzige Bilder, wie er sich nach dem Führungstor durch Lewandowski mit seinem gefühlt 20 Zentimeter kleineren Medienberater Josef Schneck in den Armen lag. Unten am Spielfeldrand zeigte Co-Trainer Zeljko Buvac, dass man Erfolgserlebnisse auch betont sparsam zelebrieren kann: Kurz die Faust geballt, zweimal in die Hände geklatscht - und weiter geht's.
Dabei hätte gerade der Angriff, der zum ersten Treffer führte, jede Rechtfertigung geliefert, auszuflippen und danach andächtig auf die Knie zu sinken. Wie die Dortmunder nach einem abgefangenen Freistoß von Marseille im Raketentempo umschalteten, wenige Sekunden später vor dem gegnerischen Strafraum eine 6:3-Überzahlsituation schafften und den Angriff dann ins Ziel brachten, das bot jede Menge Stoff für ein Lehrvideo im Fach moderner Fußball.
Marseilles Trainer Elie Baup sprach voller Ehrfurcht davon, wie "unheimlich gedankenschnell" dieser Gegner agiere: "Aber das ist ja keine Überraschung, die haben schließlich 4:1 gegen Real Madrid gewonnen und standen im Finale."
Noch vor zwei Jahren unterlag der BVB dem Kontrahenten aus Marseille in der Gruppenphase zwei Mal, obwohl er schon damals die bessere Mannschaft stellte. Doch während sich die Dortmunder früher noch allzu oft selbst im Weg standen, sieht Klopp nun die Fähigkeit, "in den richtigen Momenten zuschlagen zu können. Auch das ist eine Qualität."
Sein Kollege Baup erkennt in den Deutschen inzwischen "eine Mannschaft, die uns den Weg weist und von der wir lernen können". Welch ein Ritterschlag und welch eine Entwicklung im Vergleich zu der Phase, als sich die Dortmunder im Kräftemessen mit dem europäischen Adel als Ausbildungsverein einstuften. Nun ist der BVB also in Windeseile in den Dozentenstatus befördert worden. Vom Lehrling zum Meister in zwei Spielzeiten.
Dortmunder 3:0 gegen Marseille:Niedriger Blutdruck auf der Osttribüne
Dortmunds gesperrter Trainer Jürgen Klopp erlebt beim 3:0-Heimsieg gegen Olympique Marseille einen entspannten Abend auf der Tribüne und eine überzeugende Vorstellung seiner Mannschaft. Gegen die chancenlosen Franzosen beeindruckt der BVB mit Expressfußball - Stürmer Lewandowski trifft doppelt.
Dabei ist die Borussia immer wieder in der Lage, sich selbst zu verzücken. Gegen Marseille passierte das in Person von Erik Durm. Der 21-Jährige vertrat den verletzten Nationalspieler Marcel Schmelzer zuletzt in den Bundesligapartien gegen Nürnberg und Freiburg mit soliden Auftritten, nun wurde er für würdig befunden, es auch in der Champions League zu versuchen.
Ein Wagnis, das nicht nur aufging, sondern eine echte Offenbarung zeitigte: Durm agierte großartig, hielt hinten seine Seite, gab den entscheidenden Pass zum 1:0 und hätte in der zweiten Halbzeit beinahe selbst getroffen.
Hernach war Klopp voll des Lobes, "wir sind alle super glücklich, wie cool er das gespielt hat. Es war eine außergewöhnlich gute Premiere." Durm war auch nach dem Abpfiff kaum einzufangen, sprach in jedes Mikrofon, das ihm hingehalten wurde und sprudelte dabei fast über: "Das war heute das schönste Erlebnis meines Fußballerlebens", sagte der Verteidiger und berichtete, wie er früher auf der Tribüne gestanden habe und bei der Champions-League-Hymne eine Gänsehaut bekam: "Heute stand ich auf dem Rasen und hatte wieder Gänsehaut. Es war wie im Märchen."