BVB-Gegner Olympique Marseille:Bräsige Fischer mit rauem Akzent

Dortmunds Champions-League-Gegner Olympique Marseille ähnelt der Borussia in vielerlei Hinsicht: Der einstige Skandal-Klub pflegt zwar große Rivalitäten und führt die Gesellschaftsschichten der kriselnden französischen Hafenstadt zusammen - doch die Anhänger wollen endlich wieder Erfolge feiern.

Michael Kläsgen, Paris

Doch, doch: Marseille und Dortmund haben viele Gemeinsamkeiten, auch wenn man es kaum für möglich halten sollte. Es sind zwei Fußball-verrückte Städte, die an diesem Mittwoch in der Champions League aufeinandertreffen, aber das ist längst nicht alles. Beides sind auch Underdogs, auf die man im Rest des Landes ein wenig herabschaut, wenn das auch nur wenige zugeben würden.

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Fanatische Fans, großer Klub: Olympique Marseille verbindet viel mit Champions-League-Gegner Dortmund.

(Foto: AFP)

In Marseille sind es zwar nicht die Kohle-Briketts, die angeblich noch durch die Luft fliegen. Dafür wird aber das Klischee vom bräsigen Fischer mit rauem Akzent vor historischer Hafenkulisse gern aufgewärmt, erzählt Audrey Bawedin. Die Mutter von zwei Kindern ist ein eingefleischter Fan von Olympique de Marseille (OM), und das seit ihrem achten Lebensjahr. Damals nahm ihr Vater sie erstmals mit ins Stadion. Seitdem steht sie im Bann von OM.

Aus den Köpfen der übrigen Franzosen ist nur schwer gegen das Vorurteil anzukämpfen, dass die Marseiller auch arbeiten und nicht nur faul in der Sonne liegen, sagt sie. Wobei: Die Arbeitslosigkeit ist tatsächlich überdurchschnittlich hoch, in manchen Vierteln soll sie bei den Jugendlichen beunruhigende Spitzenwerte von 80 Prozent erreichen. Hinzu kommt, dass Marseille im Landesvergleich eine arme Stadt ist.

Noch eine Gemeinsamkeit mit Dortmund, wenn auch mit Einschränkungen. In Marseille täuscht das wunderbar gleißende Licht des Südens leicht über die Baufälligkeit mancher Straßenzüge hinweg. Würde die Marienfigur, die oben auf der Kirche Notre Dame de la Garde über die Stadt wacht, die Helligkeit auf das Niveau von Dortmund dimmen, die Hafenstadt verlöre mehr als nur ein paar Einheiten Lux.

Auch das macht der Fußball vergessen. Er ist der Stolz der Stadt. Das OM-Café könnte zentraler nicht liegen, direkt am alten Hafen auf der Hauptflaniermeile, der Canebière. Die Bar ist Anlaufstelle für alle Einwohner der Stadt. "Fiers d'être Marseillais", stolz ein Marseiller zu sein, lautet der Slogan der Fans, mit dem sich alle Einwohner identifizieren können. Hier wird er gelebt. Hier ist die Keimzelle des Lokalpatriotismus. Man sei zuerst Marseiller, dann Franzose und schließlich Europäer, sagt Audrey Bawedin.

Der Fußball steuert maßgeblich zu diesem Gefühl bei, was zunächst Wunder ist. Auch wenn internationale Erfolge seit einiger Zeit ausbleiben, ist Olympique Marseille der erfolgreichste Klub Frankreichs.

Hinter den Erwartungen

Im Unterschied zu anderen Städten hat dieser Stolz aber alle Gesellschaftsschichten durchdrungen. Und das ist durchaus eine große Besonderheit für französische Verhältnisse. Anders als in Deutschland ist Fußball kein Universalbeglücker, bietet keinen Gesprächsstoff für jedermann. Kein Unternehmensberater würde ernsthaft versuchen, mit dem Thema Fußball ins Gespräch mit einem erhofften Geschäftspartner zu kommen. Der letzte Spieltag ist auch kein Thema bei einem gepflegten Essen.

Außer in Marseille. Hier geht es anders zu als sonst in Frankreich. Im Stadion sitzt der Gewerkschafter neben dem Geschäftsführer und der Mann neben seiner Frau und vielleicht bringen beide noch ihre Kinder mit. Es gebe kaum ein Schulkind, das kein OM-Trikot besitze, sagt Audrey Bawedin. Fußball, das ist der Melting-Pot in Marseille. Die Fans kommen wegen der Atmosphäre, um zu feiern. Ihren Beruf, ihren Status lassen sie zu Hause. Im Idealfall.

In gewissem Maße befördern diese verbindenden Kräfte die Integration der Franzosen aus Nord- und Schwarzafrika oder den Komoren. Man könnte zwar die ein oder andere Stichelei auch im Stadion hören, weshalb jede Verallgemeinerung schwierig sei, sagt ein anderer Fan. Aber der Geist des "black, blanc, beur", des Multi-Kulti, der zur WM 1998 in Frankreich herrschte und der sich inzwischen etwas verflüchtigt habe, er sei in Marseille noch anzutreffen.

Vergleichsweise integrationspolitische Dienste muss die Borussia nicht in gleichem Ausmaß leisten. In Sachen Rivalität mit anderen Klubs können sich die beiden dann wieder messen. OM ist neben PSG der populärste Verein im Land. Natürlich fiebern Tausende Fans auch für Lyon, Lille oder Bordeaux. Aber die Fangemeinden aus Marseille und Paris dehnen sich weit im Land aus.

Selber verhalten sich die Klubs zueinander aber wie Feuer und Wasser, und das überschreitet bei weitem den Derby-Charakter der Spiele zwischen Dortmund und Schalke. Wer mit einem Pariser Kennzeichen nach Marseille fährt, muss damit rechnen, sein Auto demoliert wiederzufinden. Gleiches gilt umgekehrt für alle, die mit der ominösen 13 in die Hauptstadt fahren. Wobei die Marseiller als die friedlicheren Anhänger gelten, seit eine Gruppe von PSG-Hooligans wiederholt wegen rassistischer Ausschreitungen Empörung verursachte.

Mit Borussia Dortmund verbindet Olympique Marseille auch, dass die Mannschaft bisher in der Liga hinter den Erwartungen zurückblieb. Nur einmal konnte der Titelanwärter in acht Spielen gewinnen. Aktuell steht OM auf Rang 13. Anzeichen für eine Besserung gab es, anders als in Dortmund, bisher nicht. Aber das könnte sich an diesem Mittwoch ändern.

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