Am Ende dieser aufwühlenden Pokalnacht konnte BVB-Verteidiger Ömer Toprak zufrieden eine Schüssel Pasta vertilgen - und das waren ja eigentlich gute Nachrichten. Doch so zufrieden er unter den Tribünen des Fürther Stadions auch dabei aussah, er war mit seiner Gemütslage eher in der Minderheit. Ein paar Meter weiter stand zum Beispiel Marco Reus vor den Mikrofonen und versuchte zu erklären, was da gerade passiert war.
Er tat sich schwer, eine positive Einschätzung abzugeben, dabei hatten seine Dortmunder ja soeben 2:1 nach Verlängerung gewonnen und die zweite Pokalrunde erreicht. Das Problem war das Wie: Sein Team war von einem Zweitligist an den Rand einer Blamage gedrängt worden, erst in letzter Sekunde hatte der neue Dortmunder Belgier Axel Witsel Dortmund in die Verlängerung gerettet (95. Minute). Dort hatte Reus selbst mit seinem Tor zum 2:1 in der 120. Minute mit letzter Kraft die Lotterie des Elfmeterschießens abgewendet. Es war ein qualvolles, entlarvendes Spiel aus BVB-Sicht.
Die Bundesliga dürfte den Fürthern dankbar sein für diese Partie, die sich fast bis Mitternacht hinzog, denn die Videoaufzeichnung dieses seltsamen Abends dürfte jeder Trainer mit Genuss vor und zurück spulen. Schließlich war darauf zu erkennen, wie einfach Dortmunds Spiel beim Pflichtdebüt von Trainer Lucien Favre ins Wanken geriet. Und es offenbarte, woran der Schweizer noch tüfteln muss, sollten weitere Dortmunder Vorträge nicht genau so fiebrig geraten, wie zuletzt unter Peter Bosz und Peter Stöger.
Die Fürther hielten einfach mit den Primärtugenden eines Zweitligisten dagegen: mit überschäumender Disziplin, pumpenden Lungen und herzhaften Grätschen. Doch das reichte, um das Angriffsspiel des BVB durcheinanderzubringen, die Hochbegabten in Schwarz-Gelb standen sich vor dem Tor gegenseitig auf den Beinen. Und zu allem Überfluss sauste dann mitunter Außenverteidiger Marcel Schmelzer orientierungslos mit dem Ball durch den Strafraum des Gegners. Nicht nur einmal resultierten aus solcher Unordnung Konter der Fürther.
Auch das gehört übrigens zu den Wahrheiten dieses Pokalspiels: Im Grunde traf der BVB auf einen geschwächten Zweitligisten - von dem er sich enorm ärgern ließ. Fürths Trainer Damir Buric fehlte wegen eines Trauerfalls in der Familie (für ihn gab der ehemalige Freiburger Verteidiger Oliver Barth sein Trainerdebüt) und Abwehrchef und Kapitän Marco Caligiuri wurde durch den 18-jährigen Nachwuchsspieler Maximilian Bauer vertreten. Bauer (eine Minute Profifußball) gegen Nationalspieler und WM-Teilnehmer Reus: Das musste doch eigentlich schief gehen.
Es ging aus Fürther Sicht aber lange gut. Sehr gut sogar. Am Ende hatte Fabian Reese die Chance auf das Siegtor in der Verlängerung, als er alleine auf BVB-Keeper Roman Bürki zulief. Es wäre ein idealer Zeitpunkt für die Dauerleihgabe aus Schalke gewesen, um das erste Tor im Fürther Dress zu erzielen. Doch seine Nerven versagten, der Borussia blieb Schlimmeres erspart.
"Wir haben das Spiel nicht kontrolliert, es hat etwas gefehlt", murrte Favre später. Was das fehlende Teil sein könnte, das zeigte sich nach der Einwechslung von 20-Millionen-Zugang Axel Witsel, der einen anderen Neuen ersetzte: den zunächst gestarteten Ex-Bremer Thomas Delaney. Witsel hatte seine letzten Jahre in der chinesischen Liga verbracht, weshalb er für viele im Verdacht stand, dort schon in jungen Jahren schon seinen fußballerischen Vorruhestand angetreten zu haben. Doch der 29-Jährige zeigte gleich, wie wichtig er sein könnte.
Favre hofft ja darauf, dass unter Witsels flauschiger Mähne der Kopf seiner Mannschaft stecken könnte. Er soll in Dortmund den Puls des Teams fühlen - und dann das oft flattrige Spiel der Kollegen mit Wohlfühl-Pässen beruhigen. Oder es aufpeitschen, wenn notwendig eben selbst den Kopf hinhalten - und dem Spiel eine neue Wendung geben.
"Er hat der Mannschaft viel gebracht. Er spielt einfach und ruhig. Und er kann die Bälle im richtigen Moment halten. Das ist wichtig für die Mannschaft - und er kann auch wichtige Tore schießen." Das zeigte der Organisator, einst in Lüttich geboren, ganz kurz vor dem Abpfiff der regulären Spielzeit, als er sein Team in die Verlängerung rettete.
Doch das konnte ein gravierendes Problem der Dortmunder nicht überdecken: Die Frage, wer in Zukunft die Tore bei der Borussia schießen soll, dürfte Lucien Favre weiterhin beschäftigen. Denn Dortmund hatte bislang vor allem in defensives Personal investiert, ein zentraler Stürmer fehlt auch eine Woche vor dem Bundesligaauftakt gegen Leipzig. Und so bleibt die Debatte um eine genaue Arbeitsplatzbeschreibung von Marco Reus ein Dauerthema. Lucien Favre ließ ihn zuletzt als 10, als 11 oder als 9, auflaufen, also als Spielmacher, auf der Außenbahn oder als Strafraumstürmer.
Ermattet von den Fragen und der Pokalnacht, brachte der Coach dann noch eine neue Zahl in Spiel. Die "Neuneinhalb" als Position für Reus, der sich mit Maximilian Philipp (nach dessen Einwechslung) die Arbeit in vorderster Front teilte. Mit ihnen entwickelte der BVB zumindest etwas mehr Wucht, als zuvor mit Mario Götze. Kapitän Reus fand dann doch noch eine Antwort abseits des Zahlengewirrs, die seinem Trainer zu denken geben könnte: "Wir haben uns phasenweise nicht getraut, so richtig nach vorne Fußball zu spielen." Das sollte sich schleunigst ändern, sonst ist es bald vorbei mit gemütlich Nudeln essen in der Nacht.