Favre beim BVB:"Die trompeten, er klimpert maximal am Klavier"

BVB-Trainer Lucien Favre bveim Spiel gegen Bayer Leverkusen

Es wird wieder über BVB-Trainer Lucien Favre gesprochen.

(Foto: REUTERS)

Von Philipp Selldorf, Dortmund

Nicht zum ersten Mal in dieser Saison und womöglich auch nicht zum letzten Mal stand bei der Lagebesprechung mit der Presse vor dem Spiel gegen Eintracht Frankfurt am Freitagabend Borussia Dortmunds Abwehrbereitschaft zur Debatte. Lucien Favre hat bei diesem ewig jungen und nach dem 3:4 in Leverkusen nun wieder besonders akuten Thema ein defensives Geschick entwickelt, das seiner Mannschaft gut zu Gesicht stünde. Einerseits versteht er es, mit Nachdruck das erwünschte Problembewusstsein vorzuweisen ("Wir müssen das definitiv viel besser machen"), andererseits weiß er stets Wege zur Besserung aufzuzeigen ("Arbeit, Arbeit, Arbeit, das ist die einzige Lösung").

Trotz aller Übung im Umgang mit der prekären Sache wäre ihm diesmal aber fast eine verräterische Formulierung rausgerutscht. Auf die Frage, ob er seine Abwehrkette mit einer tieferen Staffelung und zwei zurückgezogenen Sechsern zu sichern gedenke, hätte der Trainer beinahe gesagt, was er in Wahrheit denkt. "Die Tore, die wir gekriegt haben, die kommen nicht ... es ist immer etwas anderes ...", antwortete er, bevor er sich wieder in die rhetorischen Standards rettete ("Die richtige Arbeit ist sehr wichtig").

Akanji und Hummels wurden zweifelsfrei an den Tatorten erkannt

Aus diesen Halbsätzen eine handfeste Theorie über die Herkunft der Mängel beim nahezu gewohnheitsmäßig instabilen BVB abzuleiten, wäre sehr gewagt, aber kombiniert man Favres Halbsätze mit den Eindrücken und Zeugenaussagen des Leverkusen-Spiels, dann lässt sich zumindest eine Verdachtsthese konstruieren. Die Fehler, die Borussia am vorigen Samstag den Sieg kosteten, beruhten womöglich weniger auf Systemdefekten als auf dem Verhalten einzelner Akteure - namentlich Manuel Akanji und Mats Hummels wurden zweifelsfrei an den Tatorten erkannt.

Letzterer beklagte später, seine Mannschaft sei nach dem Treffer zur 3:2-Führung "sehr passiv geworden" und habe sich "in der eigenen Hälfte einschnüren lassen". Auf diese Weise werde man keine Spitzenmannschaft werden. Die Geschichte lehrt, dass Hummels umso lauter über die Unvollkommenheit des Teams klagt, je mehr ihn seine eigene Leistung ärgert.

Die Fragen, warum das Verhältnis zwischen Offensive und Defensive beim BVB ein Missverhältnis darstellt, muss trotzdem weiterhin der Trainer beantworten. "Tore schießen wir genug", sagt Manager Michael Zorc, aber es fehle dem Team an der unbedingten Entschlossenheit, "das eigene Tor zu beschützen". Außerdem merkte er an: "Wir sprechen permanent über das Gleiche."

Nach der zweiten torreichen Niederlage hintereinander (zuvor gab es das 2:3 im DFB-Pokal in Bremen) kommt somit auch die Trainerdebatte wieder in Gang, die im Herbst den Klub beschäftigt hatte. Die Vertreter der Dortmunder Klubführung brauchen sich nicht mal zweideutig zu äußern, es funktioniert auch ohne ihre Denkanstöße. Diskussionen über Favre sind ein Dauerthema, seitdem der introvertierte und manchmal etwas wunderlich wirkende Tüftler sein Amt angetreten hat. Das liegt auch daran, dass sich seine Vorgesetzten selbst nicht ganz sicher sind, ob sie zufrieden oder vielleicht doch nicht zufrieden sind mit ihrem Chefcoach, woraus sich ableitet, dass Favres Stellung aktuell nicht bedroht ist - aber auch nicht gänzlich ungefährdet.

Favre lässt die nötige Schlaghärte vermissen

In der nächsten Woche begegnen die Dortmunder in der Champions League Paris St. Germain samt dem früheren BVB-Trainer Thomas Tuchel. Es dürfte sich anhand der Besetzungsliste verstehen, dass der französische Klub Favorit ist - aber wissen das auch diejenigen, die darüber diskutieren, ob Favre nach Dortmund passt? Im Umfeld des Fußball-Lehrers hat man daran leise Zweifel.

In Dortmunds Chefetage weiß man den Trainer gleichwohl richtig einzuschätzen. Er sei nun mal keine kraftstrotzende Persönlichkeit wie Julian Nagelsmann oder Jürgen Klopp, heißt es: "Die trompeten, er klimpert maximal am Klavier", wie es ein führender Borusse unlängst ausdrückte. Mit Favres ästhetischen Vorlieben und Ansprüchen können sich Michael Zorc und Klubchef Hans-Joachim Watzke identifizieren, andererseits stellt man fest, dass Favres künstlerisches Spiel nicht immer zeitgemäß ist und immer wieder die nötige Schlaghärte vermissen lässt, zumal im Vergleich mit dem Vollgasfußball des BVB-Propheten Klopp. Der Kauf des Nationalspielers Emre Can in der Winterpause ist der Versuch, darauf eine Antwort geben - und obendrein dem Trainer zu helfen.

Das Dortmunder Publikum ist halt auch verwöhnt. Es genügt nicht, dass ihr Team den vielleicht ansehnlichsten Fußball der Liga spielt, es soll damit auch gefälligst vor Bayern München platziert sein. Dass der BVB in der jungen Rückrunde den Rückstand auf RB Leipzig um vier Punkte verkürzt hat, das geht in der Kommunikation über Favre ebenso unter wie die Verdienste während der Champions-League-Vorrunde, als Favres Team den FC Barcelona an die Wand spielte und Inter Mailand hinter sich ließ.

Favre hat dabei aber einen entscheidenden Vorteil: Da er sich geistig so sehr in seine Arbeit zu vertiefen versteht, bekommt er von den Zweifeln an seiner Arbeit nicht viel mit.

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