Favre beim BVB:Konfuzius unter Druck

BVB-Trainer Lucien Favre

Lobte seine Mannschaft, obwohl sie verloren hatte: BVB-Trainer Lucien Favre im San-Siro-Stadion.

(Foto: Getty Images)
  • Beim 0:2 bei Inter Mailand irritiert Borussia Dortmund mit einer übervorsichtigen Spielauffassung.
  • Der BVB spielt, als wolle er einen Rückstand ins Ziel retten - auch intern steigt die Skepsis gegenüber Trainer Favre.

Von Ulrich Hartmann

Lucien Favre hat darauf verzichtet, Konfuzius oder Goethe zu zitieren. Dabei haben auch diese beiden gerne über die Geduld als Tugend reflektiert. Das haben der chinesische Philosoph und der deutsche Dichter mit dem Schweizer Fußballtrainer gemeinsam. Alle drei betrachten Geduld als Voraussetzung fürs Erreichen großer Ziele. Aber was hätten Konfuzius und Goethe am Mittwochabend im Mailänder San-Siro-Stadion als Trainer von Borussia Dortmund gemacht, nachdem Inter schon in der 22. Minute mit 1:0 in Führung gegangen war? Favre jedenfalls hielt an der auf Absicherung bedachten Fünferkette fest und ließ Inter weiter kommen. Favre ist ein vorsichtiger Mann, nach dem Spiel lobte er seine Mannschaft für "Geduld" und "Stabilität" und fand, sie habe "ziemlich gut gespielt". Doch Dortmund hatte 0:2 verloren.

Klar, man kann mit Geduld auch 68 Minuten lang einen Rückstand ins Ziel retten, das zumindest ist dem BVB in Mailand recht gut gelungen. Fünf Torschüsse und zwei Abschlüsse innerhalb des Strafraums brachten die Westfalen in der Lombardei ohne ihre maladen Torjäger Marco Reus und Paco Alcácer zustande, doch dieses defizitäre Offensivspiel hat den Trainer Favre offenbar nicht einmal besonders gewurmt. Der Schweizer denkt primär defensiv, sein Ansatz zielt auf Kontrolle ab, und seine Ansichten hat er offenbar und zumindest teilweise erfolgreich auf seine Spieler übertragen.

Götze spielt bei Favre im Moment offenbar keine Rolle

Der Stürmer Julian Brandt, der am Mittwoch binnen 90 Minuten genau ein Mal aufs Tor geschossen hatte, beklagte hinterher nicht etwa mangelnde Kreativität im Offensivspiel oder bei der Chancen-Kreation, sondern sprach lieber wehmütig über das erste Gegentor. "Wenn wir das nicht bekommen hätten ...", sagte er hypothetisch, und ungefähr so haben die Dortmunder ja dann auch eine ziemlich lange Zeit weitergespielt: so, als hätten sie das Tor gar nicht bekommen.

Doch an Brandt alleine lag es natürlich nicht. Auch die ihn umgebenden Flügelspieler Jadon Sancho und Thorgan Hazard entpuppten sich für die gastgebenden Mailänder als recht bescheidene Gäste. In der Pressekonferenz nach dem Spiel wurde Favre von einem italienischen Reporter gefragt, warum er Mario Götze überhaupt nicht habe spielen lassen und ob er ihn für das Derby am kommenden Samstag beim FC Schalke 04 habe schonen wollen. Die Frage war ein ungewollter Gag. Götze spielt bei Favre im Moment offenbar nicht mal mehr dann eine Rolle, wenn in Götzes Spezialgebiet der Spielkreativität dringend jemand benötigt wird. Er habe mehr Power fürs Spiel gewollt, antwortete Favre auf die italienische Frage und habe deshalb lieber Jacob Bruun Larsen gebracht. Der junge dänische Angreifer wurde 16 Minuten vor Schluss eingewechselt und kam auf vier Ballkontakte.

Der BVB - "ein Vintage-Gegner"?

Die schonungsloseste Kritik am Dortmunder Auftritt kam hinterher aber nicht von deutschen Medien, sondern von der italienischen Corriere della Sera. Borussia Dortmund sei "ein Vintage-Gegner, der nach Schemen spielt, die vor 20 Jahren aktuell waren", schrieb die Zeitung.

"Ach, ich weiß gar nicht, ob's am System lag", sagte kurz nach dem Spiel Dortmunds Profifußball-Abteilungsleiter Sebastian Kehl, vermutlich um aufkeimende Kritik an Favres Herangehensweise zu relativieren. Aber seiner Wortwahl mangelte es an Entschiedenheit. Der Sportdirektor Michael Zorc sagte dagegen umso klarer: "Wir hätten deutlich konsequenter und zielstrebiger agieren müssen."

Vor dem Spiel hatte Zorc noch betont, man führe keine Trainerdiskussion, weil man ja froh sei, Favre zu haben, und schließlich habe man in dieser Saison auch erst ein einziges Pflichtspiel verloren. Nach Mailand sind es nun zwei, und auch das ist noch keine katastrophale Bilanz binnen zwölf Pflichtspielen.

Und doch lehren ja gerade Trainer wie Lucien Favre unermüdlich, dass man fußballerische Bewertungen unbedingt ergebnisunabhängig treffen müsse, und orientiert man sich an diesem Maßstab, dann steht Borussia Dortmund trotz tabellarisch akzeptabler Konstellationen in der Bundesliga und der Champions League derzeit eben doch erheblich unter Druck. Das geht auch aus dem Ausblick von Sebastian Kehl auf das Revierderby am kommenden Samstag in Gelsenkirchen hervor. "Wir wissen, was dieses Spiel bedeutet und welche Möglichkeiten es uns bietet, sowohl in der Tabelle als auch für die Emotionen im Umfeld", sagte Kehl in Mailand und verband damit gleich einen unmissverständlichen Appell an die Mannschaft und den Trainer. "Wir brauchen jetzt diesen Push", forderte Kehl.

Und so verstärkt sich vor dem alljährlich als eines der bedeutsamsten Spiele apostrophierten Derby der Druck auf den Trainer Favre nicht mehr nur von außen. Die Geduld, die Favre seiner Mannschaft im Spiel stets predigt, könnte in seinem eigenen Verein schwinden, wenn der BVB nun auch noch im Prestigederby in der 35 Kilometer entfernten Schalker Arena versäumen sollte, sein Spiel wieder selbst in die Hand zu nehmen.

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