BVB-Fan über Klopp-Abschied:Liebe Romantiker, das ist die Realität

Im Block West 33, Reihe 1, hatten sie schon länger das Gefühl, dass es der BVB mit diesem Trainer nicht mehr packen wird. Klopp-Liebe hin oder her - Fußball ist nicht nur eine Herzensangelegenheit.

Von Hans Leyendecker, seit 58 Jahren BVB-Fan

Die ersten professionellen Übungsleiter des Fußballvereins Borussia Dortmund 09 waren Blaue: Ernst Kuzorra und der frühere Schalker Mittelstürmer Fritz Thelen trainierten Mitte der dreißiger Jahre den BVB.

Also, in Dortmund mussten die Fans schon früh einiges verkraften können. Auch wenn es um den Trainer ging.

Diese Feststellung gilt erst recht, wenn man wie ich seit 58 Jahren dabei ist. Was hat man nicht alles erlebt: den Abstieg, den Aufstieg, die vier Jahre in der Zweitklassigkeit, die Relegationsspiele und natürlich die gewonnenen und die verlorenen Derbys gegen Schalke. Und all die Trainer, deren Namen mancher Fan gar nicht mehr kennt: Hermann Lindemann, Horst Witzler, Rolf Bock, der keine sechzig Tage blieb. Oder Bernd Krauss, der kein einziges Spiel gewann.

Klopp ist in meiner Fan-Zeit etwa der vierzigste Trainer beim BVB (mein erster war Helmut Schneider von 1955 bis 1957), dem dann Hans Tauchert für ein knappes Jahr folgte.

Das mit der Freundschaft und der Treue ist heute der Markenkern, aber es ist halt auch nur eine Marke. Der Kitt hält nicht ewig. Der von Jürgen Klopp angekündigte Ausstieg löste in Teilen der Szene Verwirrung und Bestürzung aus. Die Romantiker stellen für sich fest: Ohne Kloppo niemals!

Auch ein Spitzen-Trainer kann viel Geld versenken

Es ist ein Irrglaube, dass ein Trainer der Verein ist. Das ist er - wie die Beispiele Kuzorra und Thelen mit ihrer Schalke-Vergangenheit zeigten - nun wirklich nicht. Ohnehin ist es oft irrational, warum sich ein Mensch entschließt, ein Leben lang einem Verein zu folgen. Da war der Großvater, der einen mit ins Stadion nahm. Da war das eine Erlebnis, das einem dann keine Wahl mehr zu lassen schien. Immer HSV, immer St. Pauli - um nur mal zwei Kulturkreise und zwei sehr unterschiedliche Lebenseinstellungen zu beschreiben.

Borussia Dortmund ist ein börsennotierter Fußballverein. In der Amtszeit von Klopp hat sich der Kurs der BVB-Aktie fast verdreifacht.

"Ende 2013 hat die Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA ihre Konzerngesellschaften BVB Stadion Holding GmbH, BVB Beteiligungs-GmbH sowie BVB Stadion GmbH auf sich verschmolzen und das bisher der BVB Stadion GmbH gehörende Erbbaurecht am Stadiongrundstück erworben. Am 27. Mai 2014 erhielt die Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA mit Wirkung zum 30. Mai 2014 die Zulassung zum Prime Standard der Frankfurter Wertpapierbörse und erfüllt somit eine Voraussetzung zur Aufnahme in einen Auswahlindex (z. B. SDAX) der Deutsche Börse AG. Mit Wirkung zum 23. Juni 2014 wurden die Aktien der Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA in den Auswahlindex SDAX der Deutschen Börse AG aufgenommen."

Liebe Romantiker: Dieser Auszug aus einem schlichten Wikipedia-Eintrag - das ist die Realität. Der Verein ist schuldenfrei. Ganz anders als die aus Herne West übrigens, die mit rund einhundertsechzig Millionen Miesen immer noch den dicken Maxe machen und so tun, als liefe auf lange Sicht alles bombig.

Der BVB hat also genug Festgeld auf dem Konto, um weiterhin gute Spieler von anderen Vereinen, die nicht über Festgeld verfügen, kaufen zu können. Die Saison mit den vielen Neuen, die auf der Bank oder in der zweiten Mannschaft spielten, hat aber wieder mal gelehrt, dass auch ein Spitzen-Trainer viel Geld versenken kann. Natürlich kann man danebengreifen, aber wenn keiner so richtig einschlägt, ist das doch, wie Altlinke früher sagten, auch eine Systemfrage. Systemimmanent.

Drei Enkel von den Bayern zu den Borussen geholt

Gibt es in Dortmund keine "echte Liebe" mehr? Doch, die gibt es. Aber nicht zu einem Spieler, nicht zu einem Sportdirektor, nicht zu einem Geschäftsführer und nicht einmal zum Trainer. Die Ausnahme ist Präsident Reinhard Rauball, der sich nie nach vorne drängt, aber schon oft den Karren aus dem Dreck gezogen hat.

Fußball ist nicht der Versuch, mit dem vorgefundenen Personal die Goldene oder gar die Diamantene Hochzeit zu schaffen. Der Traum von der Mannschaft, die mit dem Trainer ganz lange zusammenbleiben würde wie es bei Manchester United war, erledigte sich mit dem Weggang von Mario Götze. Da wusste jeder, was man von solchen Beteuerungen halten darf.

Fußball ist Patchwork. Alle mögen sich irgendwie für einige Zeit. Allerdings sollte man im Fall BVB die Einschränkung machen, dass jemand wie Matthias Sammer, der, zugegeben, ein toller Spieler und guter Trainer in Dortmund war, rein genetisch beim BVB nicht mehr Patchwork-fähig ist. Irgendwo gibt es doch noch Prinzipien.

Wie haben die Bayern vor dem Pokalfinale gezittert

Die Zeit mit Klopp war, alles in allem, eine tolle Zeit. Wenn einer lange dabei und mit dem Verein in die Jahre gekommen ist, weiß er nicht, ob er einen solchen Rausch noch einmal erleben wird: Deutscher Meister 2011, Double 2012, Finalist der Champions League 2013 in London (wo es bei den anderen mindestens einen Platzverweis hätte geben müssen). Und: Drei Enkel von den Bayern zu den Borussen geholt. Das war so schlecht nicht.

Und wie haben die Bayern vor dem Pokalendspiel 2014 gezittert, das sie nur gewonnen haben, weil der Schiedsrichter ein klares Tor des BVB angeblich nicht gesehen hatte. Wenn man lange dabei ist, erinnert man sich an viele solcher Geschichten - und man kann schon den Eindruck haben, dass es heute zwar nicht mehr bei der Strafverfolgung, aber im Fußball einen Bonus und einen Malus gibt. Andererseits: Was sollen zu dem Thema die Freiburger sagen?

Wie das manchmal in einer Beziehung so ist. Wenn man sich besser kennenlernt, kann es schon Zweifel geben. Im Fall Klopp haben sich die Zweifel in dem Spiel in Neapel erstmals eingestellt, als der Trainer eine Wutfratze zeigte und von der Bank verwiesen wurde. Es gibt auffallend viele nette Spieler in Dortmund und die mochten nicht, dass ihr Commandante, der so viel Wert auf den Charakter legt, ungezogen ist.

Natürlich ist es auch nicht einfach, mit Spielern zu arbeiten, die vergleichsweise viel erreicht haben und nicht mehr ganz hungrig sind - besonders dann, wenn der Star der Mannschaft immer noch der Trainer sein soll und wenn die echten Stars gehen.

Der Fall Lewandowski, den die Bayern schanghait haben, ist ein ganz besonderes Problem. Er fehlt auf eine furchtbare Weise. Mit Lewandowski und einem Spitzen-Torwart im Kasten wäre Dortmund vermutlich diesmal Sechster oder so. Diese Behauptung, die natürlich nur eine Annahme ist, muss nicht stimmen. Aber es war schon komisch, dass Kloppo das "Lächeln von Mitch" Langerak im Tor mal sehen wollte - und dass dann wieder Weidenfeller die Nummer eins war. Der Weidenfeller, der fußballerisch nichts drauf hat, aber die anderen zusammenbrüllt.

Was kann der Trainer dafür? Nichts. Oder alles.

Und: Was hat Klopp bei Ramos oder Immobile gesehen, was sonst niemand gesehen hat? Warum hat er bei Mario Mandzukic, der wohl vor der Saison zu haben war, nein gesagt? Weil der Kroate nicht der ideale Schwiegersohn ist? So diskutieren Fans den ganzen Tag.

Wenn eine Saison nicht so läuft, wie sie laufen soll, wissen die Fans sowieso alles besser und sie erzählen in Dortmund Geschichten, die vermutlich nicht einmal Klopp kennt. Wie der Verein von Sommer 1982 bis zum Frühjahr 1986 neun Trainer beschäftigte, deren durchschnittliche Verweildauer knapp über fünf Monaten lag. Und dass es in einer Saison häufiger drei Trainer gegeben hat. Auch deshalb hat man sich so an Kloppo gewöhnt, der schon seit 2008 dabei ist. Am längsten war bislang Ottmar Hitzfeld vor Ort: insgesamt sechs Spielzeiten. An Nummer sechs in der Liste der Trainer, die am längsten dabei waren, stehen übrigens Edy Havlicek und Helmut Schneider mit je zwei Spielzeiten.

"Nur der BVB"

Klopp ist also neuer Rekordhalter. Er ist ein ganz großer Menschenfischer, zweifelsohne. Dass Kevin Großkreutz in irgendein Milieu abgeglitten ist, dass Matthias Ginter noch nicht so weit ist, Mats Hummels immer wieder ausrutscht, Neven Subotic nicht besser wird, Henrikh Mkhitaryan jegliches Zutrauen verloren hat, Shinji Kagawa immer hektisch wird, wenn er angespielt wird: Was kann der Trainer dafür? Nichts. Oder alles.

Klopp trifft keine Schuld (wenn es den Begriff in diesem Zusammenhang überhaupt geben darf), aber viel Pech kann auch im Fußball Schuld sein.

Man hatte, zumindest im Block West 33, Reihe 1, schon seit Längerem das Gefühl, dass es diese Mannschaft auf Sicht nicht mehr packen wird: Augsburg! Köln! Hamburg! Das mit dem Nicht-Klappen fand man schade. Eine Zäsur musste her. Entweder ein Teil der Mannschaft raus und/oder der Trainer. Da ist der Weggang des Trainers in der Regel die einfachere Lösung.

"Nur der BVB" - das galt auch in den Jahren, als man auf der Südtribüne den Grill hätte aufstellen können, weil dort so viel Platz war. Und das Schöne an diesem beinahe Ex-Trainer ist, dass der Schwabe Klopp, der aus Mainz kam, das verstanden zu haben scheint.

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