Süddeutsche Zeitung

Schürrle und Götze:Was ist da so schrecklich schiefgelaufen?

In einem schmucklosen Szenario trennt sich der BVB von André Schürrle und Mario Götze - jenem Duo, das Deutschland den WM-Titel 2014 bescherte. Tragisch ist das nicht, aber ein bisschen traurig.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Als ob das gähnend leere Stadion alleine nicht schon genügend Gespenster heraufbeschworen hätte. Nein, es stellten sich auch noch mehrere Herren auf dem Rasen in einer Reihe auf, alle mit Corona-Masken vorschriftsmäßig vermummt, die meisten etwas älter, bis auf den einen jungen Mann. Der bewegte etwas unbeholfen einen Strauß Blumen, was die Szene endgültig ins Absurde abdriften ließ. Im Hintergrund wärmten sich Fußballer in schwarzgelben Trikots auf, fürs letzte Saisonspiel ohne Zuschauer. Das Klatschen von ein paar Ordnern hallte über Sitzschalen und Beton. Das Farewell von Borussia Dortmund für Mario Götze war zum Heulen. Ein Schlag in die Magengrube eines jeden Fußball-Romantikers.

Der Abschied von André Schürrle, der an dem größten Coup von Mario Götze im WM-Endspiel 2014 als Flankengeber intensiv beteiligt war, fiel noch banaler aus. Bei Schürrles Vertragsende in Dortmund wurde nicht einmal mehr der gute, alte Blumenstrauß überreicht; mit seinem Berater wurde einfach eine offenbar 2,5 Millionen Euro hohe Abfindung verabredet. Bloß raus aus den Büchern mit diesem Schürrle, mit dem anderen WM-Helden von einst, so wirkte das. Zuletzt war Schürrle an Spartak Moskau ausgeliehen, einen eher mittelmäßigen Klub in Russlands erster Liga. Auch das ohne größeren Erfolg.

Zum Saisonende hat sich der BVB also, Ironie des Schicksals, von jenen zwei Spielern getrennt, die ihren Platz in der deutschen Fußball-Historie schon vor sechs Jahren erobert hatten. Für immer. Dass Götze Deutschlands "Jahrhunderttalent" sei, hat man seither aber immer seltener gehört. Und zuletzt gar nicht mehr.

Götze und Schürrle produzierten ein Tor, das alles überlagerte

Man weiß nicht genau, was so ein Weltmeistertor und die hunderttausend Huldigungen, die wie eine endlose Lawine über einen Profi hinwegdonnern, aus so einem jungen Mann machen. Schürrle jedenfalls hat seine Karriere nun beendet, mit erst 29 Jahren und nachdenklichen, durchaus auch düsteren Worten. (Er sei zuletzt oft einsam gewesen, sagt er dem Spiegel, gerade als "die Tiefen immer tiefer wurden und die Höhepunkte immer weniger.") Mit Götze, der erst 28 ist, hat Borussia Dortmund nicht einmal mehr den Vertrag verlängert. Niemand glaubte mehr, es könne an diesem Standort für ihn noch einmal besser werden. Götze, der deutsche WM-Held, in einer Reihe mit den Endspiel-Torschützen Helmut Rahn, Gerd Müller, Andreas Brehme. Und dann so ein Abschied? Was ist da so schief gelaufen?

Vor zwei, drei Jahren wurde über Götze noch eine vierteilige Porträtserie mit dem Titel "Being Mario Götze" produziert. Es war vielleicht ein letzter Beweis für die gnadenlose Überhöhung des WM-Torschützen, der sich spätestens seit seinem vorübergehenden Wechsel von der Borussia zum FC Bayern (2013 bis 2016) in ein Schwerefeld begeben hatte, dem er kaum gewachsen sein konnte. Als Götze 2011, noch beim BVB und seinem Förderer Jürgen Klopp, sein erstes Tor für die Nationalelf schoss, ausgerechnet bei einem 3:2 gegen Brasilien, schwärmte die Fußball-Welt von seinen Bewegungsabläufen und seiner Geschmeidigkeit. Götze sei der wahre Brasilianer auf dem Feld gewesen, hieß es.

Drei Jahre später, als Götze die Deutschen mit seinem Treffer in Rio ausflippen ließ, sah alles schon nicht mehr so rosig aus. Bundestrainer Joachim Löw hatte Götze auch im Finale erst als Joker ins verlängerte Spiel gebracht, auch André Schürrle, der zweite Held, war eingewechselt worden. Davor, etwa beim legendären 7:1-Halbfinalsieg gegen Brasilien, hatte Götze keine Minute gespielt, wie so oft in diesem WM-Turnier. Das Tor überlagerte alles. Der Ruhm dieses Treffers verselbstständigte sich, das Tor täuschte über das Stocken in Götzes junger Karriere hinweg, katapultierte die Erwartungen ins Utopische.

Zu Hause, im richtigen Leben, driftete Götze gleich nach der WM langsam, aber sicher aus den Aufstellungen von Bayern-Trainer Pep Guardiola heraus. Götze war nicht mehr das Jahrhunderttalent, er musste um Einsätze kämpfen und bangen. Seine Popularität blieb, sein Stellenwert sank. Seine Rückkehr 2016 nach Dortmund, für rund 25 Millionen Euro Ablöse, wurde zwar von manchen immer noch verärgerten Fans boykottiert, aber von anderen als Notausgang für Götze betrachtet.

Es wurde aber nicht mehr besser, eher schlechter. Erst wurde bei Götze eine komplizierte Myopathie, eine Stoffwechselerkrankung festgestellt, die ihn monatelang außer Gefecht setzte. Dann fand er nicht mehr zu alter Dynamik zurück. So sehr jedes technische Kabinettstückchen auch als Wende und Durchbruch gewertet werden wollte: So richtig kam Götze mit dem radikal schneller gewordenen Spielstil der Neuzeit nicht mehr zu Recht. Vor allem unter Trainer Lucien Favre blieb der WM-Held chancenlos. Ob zurecht, darüber ist man sich in Dortmund nicht einig; mit Schürrle hatte Favre sowieso und von vornherein nicht mehr geplant. So gesehen fiel vor allem dem Schweizer Trainer die historische Aufgabe zu, das WM-Duo von 2014 auf die Bank und ins Exil zu befördern.

Schürrle gelang es genauso wenig wie Götze, sich im Laufe der Jahre zum viel zitierten Führungsspieler zu entwickeln. Die Lorbeeren des WM-Tores mögen dabei eine Rolle gespielt haben. Beide schmückten sich in den sozialen Medien mit Model-Freundinnen, die die Popularität ihrer Partner (Götze ist mit Ann-Kathrin Brömmel inzwischen verheiratet, das Paar bekam im Juni den ersten Sohn) mal geschickter, mal weniger geschickt für Instagram- und andere Auftritte nutzten. Schürrle wechselte zudem in schnellem Rhythmus die Klubs, Bayer Leverkusen, VfL Wolfsburg, FC Chelsea. Bisweilen sah man die Kumpels auf Urlaubsfotos, geschossen auf Segelyachten oder bei Fashion-Events. Mag sein, dass jene nicht Unrecht haben, die seit Jahren behaupten, dass den beiden jungen Helden der letzte und totale Fokus auf den Beruf bei all dem verloren gegangen sei.

Als Schürrle 2016 für über 30 Millionen Euro, zusammen mit Götze, nach Dortmund geholt wurde, soll das auch auf Wunsch von Schürrles ehemaligem A-Juniorentrainer Thomas Tuchel erfolgt sein. So trafen sich in dieser Personalie wohl auf unglückliche Weise mehrere verklärte Vorstellungen: Götze und Schürrle träumten davon, in Dortmund noch mal groß heraus zu kommen. Tuchel sah vielleicht den jungen Schürrle, mit dem er einst seine Trainerkarriere bei Mainz 05 gestartet hatte. Und die BVB-Chefs Hans-Joachim Watzke und Michael Zorc konnten sich von Dortmunder Fußball-Romantik nicht frei machen, als sie Götze zurück holten.

Götze wird nun mit Klubs in Verbindung gebracht, die etwas unter seinem bisherigen Niveau rangieren: Man hört vom FC Sevilla, von Florenz, Monaco, AS Rom. Schürrle hat, genau wie Götze, genug Geld mit dem Fußball verdient. Er hat nie wieder so viele Tore geschossen wie damals für Mainz 05. Es muss seltsam sein, wenn einem mit 20 die Welt zu Füßen liegt und man dann nie mehr auf diese Höhen zurückkehren kann. Tragisch ist das alles sicher nicht. Aber ein bisschen traurig.

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SZ vom 20.07.2020/ebc
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