BVB mit Guirassy gegen Celtic:Der Spätstarter überholt sich selbst

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Kaum zu bändigen: Serhou Guirassy strotzt derzeit vor Selbstvertrauen. (Foto: Christof Koepsel/Getty Images)

Serhou Guirassy hat sich nach seinem Wechsel vom VfB zügiger in Dortmund eingelebt als gedacht. Vier Tore in vier Spielen nähren die Hoffnung auf Erfolge in der Champions League – allerdings auch die Sorge, dass der Stürmer umso schneller wieder weg ist.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Die Zeiten im modernen Fußball sehen keine Karrieren mehr vor wie die von Uwe Seeler beim Hamburger SV oder Gerd Müller beim FC Bayern oder Michael Zorc bei Borussia Dortmund. Spieler, die Tore schießen, werden permanent in Marktwerte umgerechnet, und sie sind schneller wieder weg, als man denkt.

Serhou Guirassy, der bei Borussia Dortmund gerade einen Vertrag über vier Jahre unterschrieben und in bisher vier Einsätzen vier Tore geschossen hat, zwei davon am vergangenen Freitag gegen den VfL Bochum, weiß das wohl am besten. Schon bei der Wohnungssuche am neuen Arbeitsplatz Dortmund hatte das Auswirkungen.

An diesem Dienstag soll der vom VfB Stuttgart geholte Torjäger sein Champions-League-Debüt im Dortmunder Stadion gegen Schottlands Meister Celtic Glasgow geben. Aber die weitere Karriereplanung des 28-Jährigen wirft schon wieder kleine Schatten voraus. Guirassy nämlich kann seinen Marktwert gut einschätzen, und nach den 28 Bundesliga-Toren in 28 Spielen in der vergangenen Saison und seiner Gala im Spiel gegen Bochum zeichnet sich der Trend auch fürs Publikum ab.

Guirassy muss es schon vor ein paar Wochen gewusst haben: dass Dortmund eine ganz nette Wohn-Stadt ist, mit einem ziemlich atemraubenden Stadion – aber eben doch kein Weltklub. 

Vor die Wahl gestellt, günstig ein Haus im besonders waldreichen Süden der Stadt zu kaufen oder mit Frau und drei Kindern erst mal zur Miete zu logieren, soll der gebürtige Südfranzose fürs Mieten optiert haben. Schließlich soll Dortmund ja nicht seine Endstation sein, sondern nur ein nächster Schritt, wie das in der Profisprache heißt. Wer will schon am Opernhaus Dortmund singen, wenn er doch für die New Yorker Met geboren ist?

Guirassy vereinigt Qualitäten seiner Mittelstürmer-Vorgänger Lewandowski, Aubameyang und Haaland

Guirassy, der bis zur U20 für die Nationalmannschaften seines Geburtslandes Frankreich spielte und erst 2022 beschloss, für Guinea, das Land seiner Eltern, international zu kicken, ist mit dem gesunden Selbstbewusstsein ausgestattet, das Mittelstürmer nötiger brauchen als andere. Damit tritt er in die Fußstapfen seiner Vorgänger auf dem Mittelstürmerposten des BVB: Robert Lewandowski, Erling Haaland und Pierre-Emerick Aubameyang, der sich in ähnlicher Art für seine afrikanischen Wurzeln in Gabun entschied, weil die Aussicht, fürs große Frankreich zu spielen, ihm zu unsicher erschien. Alle drei nahmen in Dortmund nur Anlauf, um dann anderswo noch besser zu verdienen und auf vermeintlich noch größerer Bühne aufzutreten.

Alles zu große Fußstapfen für Guirassy? Wohl nicht. Denn der Karriere-Spätstarter Guirassy verbindet viele Eigenschaften seiner bisher viel prominenteren Vorgänger. Mit dem Raumgefühl und Spielverständnis eines Lewandowski, beinahe dem Speed von Aubameyang und der Torschuss-Besessenheit von Haaland. Guirassy, so viel weiß man nach seinem zweiten Jahr in Stuttgart und seinen ersten Spielen für Dortmund, federt wie ein Phantom durch den gegnerischen Strafraum. Schwer vorauszuberechnen, wo er sich gerade bewegt, mit grandioser Ballbehandlung, wenn es nötig ist, und einer Geschwindigkeit auf den ersten Metern, dass man meint, man sehe kleine Kondensstreifen. Ein Spieler, den Fotografen gerne in Bewegungsunschärfe zeigen, weil ein scharfes Standbild ihm nicht gerecht wird.

Beliebtes Motiv bei Fotografen: Serhou Guirassy (rechts im Spiel gegen Bochum) in Bewegungsunschärfe - der Mann ist einfach zu schnell für Standbilder. (Foto: Ina Fassbender/AFP)

BVB-Kapitän Emre Can kündigte nach Guirassys Show gegen Bochum mit zwei Treffern und einem herausgeholten Elfmeter noch mehr an: „Das ist nur der Anfang. Er war ja länger verletzt und ist noch nicht einmal ganz da. Es ist großartig zu wissen, dass du ihn einfach immer anspielen kannst.“ Den Strafstoß, den der Neue herausgeholt hatte, schoss Can trotzdem lieber selbst: „Er wollte schießen, ich wollte schießen. Also habe ich ihm gesagt: Heute mache ich das!“ Vielleicht erinnerte sich Can an die Erfahrung vom Saisonfinale 2023, als er, als designierter Elfmeterschütze, den Ball Sébastien Haller überließ. Haller verschoss, und die Meisterschaft glitt damit Dortmund aus den Händen. Ein Trauma für den BVB. Und für Can.

Schwer vorstellbar allerdings, dass das dem derzeit vor Selbstvertrauen strotzenden Guirassy passieren würde. Gegen Bochum gelang es Guirassy, neben Julian Brandt und Karim Adeyemi, mit ein paar Einzelleistungen den spielerischen Stotter-Betrieb des neu formierten, hoch eingeschätzten BVB zu überdecken. Individuelle Klasse, gerade die von Guirassy im Strafraum des Gegners, muss fürs Erste dafür sorgen, dass Dortmund nicht gleich zu Saisonbeginn den Anschluss verpasst, wegen der unverkennbaren Defensivprobleme und des unfertigen Spielaufbaus. Ganz neu ist das nicht in Dortmund. Auch Aubameyang und Haaland konnten mit ihren Toren manche methodische Schwächen des Teams ausgleichen.

Dortmunds Kaderplaner Sven Mislintat, der Guirassy auch schon nach Stuttgart lotste, als er noch Sportdirektor beim VfB war, glaubt an die „Unterschiedsqualitäten“ des Franzosen. Allerdings kam er auf seine Supertorquote von einem Tor pro Spiel bisher nur ein Mal in seiner Laufbahn. Beim 1. FC Köln scheiterte er als 20-Jähriger, beim OSC Lille klappte es auch nicht, bei Stade Rennes in Frankreich etwas besser, mit einem Tor pro drei Spielen – aber weit entfernt von einem Überflieger.

Offenbar erkannte nur Mislintat Guirassys wahres Potenzial. Das dürfte ein Argument gewesen sein, warum Sportdirektor Sebastian Kehl nach zähem Ringen den Mann verpflichten konnte. Wenn Guirassy jetzt allerdings für den nächsten Schritt in Madrid, Barcelona, London oder Manchester landen will, muss er sich beeilen. Dortmund hat ihn mit Mühe aus Stuttgart losgeeist, für 17,5 Millionen Euro festgeschriebener Ablöse und das angeblich höchste Gehalt im Kader, das bei zwölf Millionen pro Jahr liegen soll. Rekordverdächtig. Aber Typen, die Tore garantieren, gibt es eben nicht so viele. Und die, die es gibt, wollen lieber nur zur Miete wohnen. 

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