Süddeutsche Zeitung

Borussia Dortmund:"Die Bayern sind besser. Punkt!"

Der BVB scheint sich mit dem Status des ewigen Zweiten arrangiert zu haben. Der letzte Eindruck: 0:4 gegen Hoffenheim - ein Abschluss, der vieles offenlegt.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Manchmal kommt die Wahrheit zu ihrem Recht, wenn man verschwitzt am Spielfeldrand vor Mikrofonen steht. Roman Bürki nahm keine Maske und kein Blatt vor den Mund: "Man hat schon nach 45 Minuten gemerkt, dass da eine Mannschaft auf dem Platz steht, die nicht viel Lust hatte." Gemeint war seine eigene. 0:4 gegen 1899 Hoffenheim - im eigenen, wenn auch menschenleeren Stadion.

Eine Peinlichkeit, blamabler gar als das 0:2 zwei Wochen zuvor gegen Mainz. Bürki hatte recht: Borussia Dortmund irrlichtert aus der Corona-Saison. Der BVB-Torwart war geladen genug für noch mehr Selbstkritik: "Viele Dinge waren nicht in Ordnung heute, und dann kommt so ein Resultat heraus. Wir müssen weiter an einer Gewinner-Mentalität arbeiten. Das ist etwas, das Bayern noch mehr hat als wir."

Während der längst feststehende Meister FC Bayern zeitgleich in Wolfsburg ohne Rücksicht auf Verluste auf Sieg spielte, ließ Borussia die Dinge schleifen. Das Dortmunder Motivationsproblem mutete noch seltsamer als gegen Mainz an, da dazwischen die Gala beim 2:0 bei RB Leipzig lag. Während die BVB-Truppe dort gegen den Widersacher um Platz zwei ihre wahren Möglichkeiten demonstrierte, stürzte sie gegen Hoffenheim ab: Sieben Kilometer mehr liefen die Gäste, selbst im Dortmunder Strafraum durfte sich der Gegner mit sozialer Distanz frei bewegen. Das nutzte Hoffenheims Andrej Kramaric zu vier Treffern.

Für Dortmund setzte die irritierende Nicht-Leistung einen Schlusspunkt unter eine Saison, in der sich der Vizemeister scheinbar dauerhaft als Zweiter eingerichtet hat. "Die Bayern sind besser. Punkt!", quittierte Trainer Lucien Favre das Spiel. Alles in Ordnung, irgendwie? Voll im Zielkorridor gelandet? Mehr geht eh nicht? Schon vor Saisonabschluss gab Sportdirektor Michael Zorc bekannt, dass Favre in der kommenden Spielzeit seinen Vertrag erfüllen soll. Das kann man mit Hinweis auf seine Punktzahlen gut begründen, wenn man sich als Klub mit dem Status des ewigen Zweiten arrangiert hat. Statistiker können belegen, dass Favres Punktedurchschnitt in den beiden letzten Spielzeiten höher lag (zuletzt bei 2,14 pro Spiel) als der seiner prominenten Vorgänger Jürgen Klopp und Thomas Tuchel.

Zugleich leistete sich Dortmund, auch daran erinnerte Bürki, eine Reihe von Punktverlusten gegen schlagbare Gegner. Entweder aus Überheblichkeit oder wegen mangelnder Körperspannung, wie gegen Hoffenheim, Mainz oder beim 3:3 gegen Paderborn. Zugleich ging Dortmund in den besonders wichtigen Spielen unter, durch eine zaghafte, seltsam defensive Haltung. Der Klub hat das Saisonziel Champions-League-Qualifikation zwar erreicht, schied aber im DFB-Pokal unter Favres Anleitung zweimal hintereinander früh aus; jeweils im Achtelfinale, jeweils gegen Bremen.

Ebenfalls im Achtelfinale war in der Champions League Schluss mit einer extremen Defensivtaktik bei Paris St. Germain. In der Liga-Hinrunde ging der BVB in München (0:4) fast kampflos unter, ebenso wie im Jahr zuvor (0:5). Und im Corona-Endspurt gelang im Heimspiel gegen die Bayern (0:1) vorne auch nicht viel. "Wenn du deine direkten Spiele gegen die Bayern nicht gewinnst, kannst du auch nicht Meister werden", fasst es BVB-Boss Hans-Joachim Watzke zusammen.

Die Mentalitätsfrage wird allerdings seit längerem sorgsam verweigert. Während Favre in Frage gestellt wurde, als Dortmund in der Rückrunde der Saison 2018/19 einen zwischenzeitlichen Neun-Punkte-Vorsprung verspielte, und die Herbstrunde der Saison 2019/2020 gleich wieder ähnlich holperig wirkte, lief es in der Rückrunde nun scheinbar zufriedenstellend. Mit 13 Siegen und vier Niederlagen, gegen Leverkusen, Bayern, Hoffenheim und Mainz. Schwer vorstellbar, dass Favre mit ähnlicher Gesamtbilanz beim FC Bayern weitermachen dürfte.

Fußballtaktische Qualitäten wird niemand Favre, 62, absprechen, so ziemlich alle loben seine freundliche, umgängliche Art. Aber dass der Schweizer seine Elf in den wichtigen (und den scheinbar belanglosen) Spielen zu Konzentration, Entschlossenheit ermahnen und emotional aufputschen könnte, stellte er selten unter Beweis. Favre überträgt hier die eigene Mentalität offenbar auf die Spieler. Allerdings fehlt der Chefetage in der Borussen-Zentrale am Rheinlanddamm derzeit wohl die Fantasie, welcher Trainer es momentan besser machen könnte. Nach sehr gemischten Erfahrungen mit den Klopp-Nachfolgern Tuchel, Bosz und Stöger ist man froh über berechenbare Ruhe mit Favre.

Immerhin können sie beim BVB hoffen, dass sie in der nächsten Saison nicht allzu viel an der Mannschaft umbauen müssen. Wenn nicht die Europäische Fußball-Union (Uefa) mit ihren "Financial Fairplay"-Vorschriften noch einen Strich durch die Rechnung macht, wird Achraf Hakimi nicht mehr für Dortmund spielen. Hakimi war zwei Jahre als Leihspieler beim BVB. Real Madrid, selbst finanziell in Turbulenzen, will ihn nun an Inter Mailand für angeblich mehr als 50 Millionen Euro weiter verkaufen.

Inter wird vom Chinesen Steven Zhang geführt und ist im Besitz des chinesischen Konzerns Suning Holdings. Corona hin, Corona her, Geld ist da genug vorhanden, und auch keine Scham es einzusetzen. Dortmund holte vorsorglich Belgiens Nationalverteidiger Thomas Meunier ablösefrei von Paris St. Germain.

Eher unsentimental, mit einem Strauß Blumen, ging in leerer Arena eine große, viel beschriebene BVB-Personalie zu Ende. Mario Götze, WM-Held 2014, hat den Klub, in dem er aufwuchs, mit unbekanntem Ziel verlassen.

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Quelle:
SZ vom 29.06.2020/jbe
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