Borussia Dortmund:Wehrlos, eingeschnürt - und trotzdem siegreich

Borussia Dortmund - FSV Mainz 05

Zweiter Doppelpack in dieser Bundesliga-Saison: Jadon Sancho führte den BVB mit seinen Toren zum Sieg.

(Foto: Ina Fassbender/dpa)
  • Der BVB gewinnt haarscharf gegen Mainz 05 - doch es ist ein seltsamer Sieg.
  • Zur Pause liegt Dortmund 2:0 in Führung, dann "wir haben uns praktisch gar nicht mehr gewehrt", so Torwart Bürki.
  • Gegen Ende wirkt es fast so, als würden die Mainzer Dortmund in der eigenen Hälfte einschnüren - und Favre verlor den Zugriff auf seine Mannschaft.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Wenn alle Erklärungsversuche im Fußball aufgebraucht sind, muss immer der Kopf herhalten. Mentale Blockaden, Angst vor der eigenen Courage, die Untiefen der Psyche: An diesem seltsamen Samstagabend sollten sie Gründe liefern für einen Spielverlauf, der so viele Rätsel aufgab, dass die Sieger von Borussia Dortmund am Ende des 2:1 (2:0) gegen Mainz enttäuscht wie Verlierer auf dem Spielfeld standen, mit hängenden Schultern. Nur Torwart Roman Bürki konnte sich vom Dortmunder Anhang feiern lassen, als Matchwinner im eigenen Stadion, gegen eine Mannschaft, gegen die Siege in Dortmund eigentlich vorausgesetzt werden.

"Wir haben keine Reaktion mehr gezeigt", beschrieb Bürki den seltsamen Sieg, der seine Mannschaft zumindest vorübergehend zurück an die Tabellenspitze kriechen ließ, "wir haben uns praktisch gar nicht mehr gewehrt." Wäre da nicht die starke erste Halbzeit gewesen, als Dortmund die Mainzer spielerisch aufgemischt hatten, man hätte das 0:5 vom vergangenen Samstag in München sicher als psychischen Knackpunkt interpretieren können. Aber Dortmund lag zur Pause durch zwei Treffer von Jadon Sancho (17., 24.) mit 2:0 vorn. Beide Tore waren wunderbar herausgespielt, und es hätte auch 3:0 oder 4:0 stehen können. Aber dann kam alles in der zweiten Halbzeit ganz anders, und das Erlebnis in München konnte nicht mehr so eindeutig als Trauma gedeutet werden.

Die ganze Woche über hatten sie sich in Dortmund daran abgearbeitet, das taktische Debakel und die zweikampflose Darbietung in München als Einzelfall deklarieren zu wollen. Und sie haben versucht, den Fokus auf das Positive zu legen: Nur ein Punkt Rückstand auf die Bayern. Das ist doch nichts! Oder?

Aber für so ein psychologisches Wendemanöver hätten sie sich beim BVB die ganze Woche über noch einmal einen wie Jürgen Klopp gewünscht. Einen Trainer, der nach so einem Erlebnis nichts als Stimmungsmassage betrieben und alle Feinheiten des Fußballs beiseite gelassen hätte. Lauter Umarmungen und freundschaftliche Rempler und Kanonaden von Fußballer-Blödeleien hätte einer wie Klopp über seine jungen Spieler ausgekippt. Was Dortmunds Coach Lucien Favre aber besonders beherrscht - mit feinstem Besteck die Geheimnisse der Ballistik und die Dreidimensionalität des Raumes zu erforschen - war in dieser Woche nach dem Debakel weniger gefragt. Und Dortmunds Manko ist vielleicht, dass junge Fußballer öfter als andere nichts als Motivation brauchen. Und von einem Fußball-Lehrer wie Favre davon zu wenig bekommen.

Nach dem Spiel hatte Lucien Favre dann schon wieder eine richtige Analyse: "Wir haben gewonnen, das ist die Hauptsache, das ist das einzige, was zählt." Der Schweizer Trainer hatte vermutlich völlig recht, liegt doch schon am kommenden Wochenende das Münchner Erlebnis wieder sieben Tage länger zurück. Dann spielt Dortmund in Freiburg, und wahrscheinlich sind die Uhren dann ganz von allein beinahe wieder auf Null gestellt.

An diesem frühen Abend gegen Mainz aber reichte es, dass Favre in der Pause offenbar nicht die richtige Ansprache gefunden hatte, um seine Mannschaft auf dem Euphorie-Level der eigenen ersten Spielhälfte zu halten. Sein Pendant Sandro Schwarz dagegen korrigierte sich zur gleichen Zeit in der Mainzer Kabine, stellte seine Grundformation vom abwartenden, passiv wirkenden 5-3-2-System auf ein mutigeres 4-4-2 um, damit proklamierte er Dampframmen-Fußball. Und das reichte völlig aus, um den Tabellenführer komplett aus dem Konzept zu bringen.

Als möglichen Meistertrainer hatten sie Favre in Dortmund nicht eingestellt

In den letzten 15 Minuten wirkte es fast so, als würden die Mainzer Dortmund in der eigenen Hälfte einschnüren. Kein energisches Zufassen mehr, kein gelungener Konter, ein kollektives Verzagen, fast wie eine Woche zuvor in München. "Es ist ärgerlich", konnte Schwarz hinterher sagen, weil seine Spieler letztlich nicht genug Glück und nicht genug Klasse hatten, um Bürki mehr als nur einmal durch Quaison (84.) zu schlagen. Mainz schoss am Ende 17 Mal auf Bürkis Tor, Dortmund nur zwölf Mal auf das der Mainzer. "Ich habe reingeschrien", fasste Bürki nachher konsterniert zusammen, "aber man hatte am Ende fast den Eindruck, dass die zwei Mann mehr auf dem Platz hatten."

Sein Trainer hatte da schon die Erklärung parat, dass seine Außenverteidiger am Ende der Partie fast immer "gegen zwei Gegenspieler" spielen mussten. Das war zwar richtig, aber Favre selbst gelang kein Zugriff mehr auf seine Mannschaft, nach dem System- und Stil-Wechsel bei Mainz. Dass der BVB-Trainer ein strikter Anhänger der komplexen Raumdeckung ist, egal wie sehr auf dem Platz die Fetzen fliegen und die Nerven flattern, ließ die Lage am Ende eskalieren. Manchmal ist eben doch zu erahnen, dass auch Favre ein Novize ist im Kampf um einen Meistertitel in einer großen Liga.

Aber wer hatte beim BVB schon gedacht, dass Favre mit seiner allzu jungen Mannschaft um den Titel mitspielen könnte? Als einen möglichen Meistertrainer hatten sie Favre in Dortmund gar nicht eingestellt. Wer hätte nicht gerne solche Probleme.

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