Süddeutsche Zeitung

0:4 gegen FC Bayern:Dortmund gleicht einer Sandburg bei Sturmflut

  • Borussia Dortmund verliert 0:4 gegen Bayern München - und lässt dabei elementare Qualitäten vermissen.
  • "Eine Nicht-Leistung" sei das gewesen, sagte Sportdirektor Zorc, "das war überhaupt kein Fußball."
  • Bei Trainer Lucien Favre sucht er trotzdem nicht die Schuld und sagt: "Fragen Sie die Spieler."

Von Benedikt Warmbrunn

Seine Karriere verdankt der Fußballprofi Mats Hummels auch der Tatsache, dass er seinen Ehrgeiz nur schwer verstecken kann. Bei einem Heimspiel des FC Bayern gegen Borussia Dortmund zum Beispiel gewann Hummels einmal in der zweiten Halbzeit einen Zweikampf, aber er sicherte den Ball dabei nicht, er grätschte ihn ins Aus. Also schnappte sich Hummels den Ball, hielt ihn sich vor das Gesicht, brüllte ihn an, und wenn er nicht von Millionen Menschen beobachtet worden wäre, dann hätte er den Ball vielleicht auch noch aufgegessen. Das war in diesem Jahr im April, Hummels spielte noch für den FC Bayern, der FC Bayern gewann 5:0.

Am Samstag, als wieder der FC Bayern zu Hause gegen Dortmund spielte, klopfte sich Hummels zum Ende der ersten Halbzeit auf die Brust, einmal, zweimal, dreimal, wieder brüllte er, doch dieses Mal nicht zum Ball, sondern zu seinen Mitspielern. Doch keiner schien ihm zuhören zu wollen, verschämt warteten sie auf den Eckball des Gegners, und wenn sie nicht von Millionen Menschen beobachtet worden wären, wären sie vielleicht zur Eckfahne gerannt, um sich dort im Ball zu verstecken, um sicher zu sein vor Hummels' Ehrgeiz. Hummels spielt inzwischen wieder für Dortmund, der FC Bayern gewann 4:0.

"Wenn ich es auf eine Sache beschränken muss", sagte Hummels später darüber, was seinem Team gefehlt habe bei dieser Niederlage, "dann ist es: dagegenhalten, wenn der Gegner körperlich voll da ist."

Dortmunds Auftritt war erschreckend

Hummels, der im Sommer nach drei Jahren bei seinem Jugendverein in München nach Dortmund zurückgekehrt ist, wo er zuvor acht Jahre lang gespielt hatte, muss sich am Samstagabend vorgekommen sein wie in einem persönlichen Albtraum. In der vergangenen Rückrunde war er beim FC Bayern der Spieler, der wie kein anderer mit seiner inneren Haltung für die Aufholjagd stand.

Doch weil er dann in München nicht die Wertschätzung bekam, die er sich erhofft hatte, wechselte er nach Dortmund, um einer jungen, begabten, auf Geschwindigkeit aufgebauten Mannschaft das nötige staatsmännische Gegengewicht zu geben. Am Samstagabend aber wirkte Hummels in seinem Ehrgeiz, in seinem Willen zum Dagegenhalten wie ein Gymnasiast, der versehentlich noch einmal in der Vorschulgruppe eingeordnet wurde.

Dass der Dortmunder Auftritt erschreckend war, das versuchten nicht einmal die Verantwortlichen des BVB zu beschönigen. "Eine Nicht-Leistung" sei das gewesen, sagte Sportdirektor Michael Zorc. Angesprochen auf den von ihm in den Tagen vor dem Spiel geforderten "Männerfußball", sagte Zorc (weiterhin erstaunlich unironisch): "Das war überhaupt kein Fußball." Und: "Das war einfach nichts."

Eine Viertelstunde lang hatte der FC Bayern den Dortmundern den Ball überlassen, doch auch in dieser Phase war nicht zu erkennen, wohin der Fußball des BVB führen sollte. Als die Bayern dann aus ihrer dichten Defensive heraus anfingen, die Dortmunder nach hinten zu schieben, wirkte die Borussia so wehrhaft wie eine Sandburg bei einer Sturmflut. Sie ließen Platz im Mittelfeld, sie schreckten vor körperlichem Kontakt nahezu zurück.

"Bayern hat extrem foregecheckt, hat übers ganze Feld fast eins-gegen-eins gespielt", sagte Hummels, "wir haben es verpasst, uns da raus zu lösen. Wenn wir es mal geschafft haben, waren wir technisch oft zu unsauber, wir haben Bälle verstolpert oder ins Aus gepasst. Und von uns sind viele, viele böse Ballverluste gemacht worden." Und er ergänzte: "Da gibt es ein paar zu viele Zweikämpfe, wo wir uns fallen lassen und einen Freistoß wollen und der Gegner aber richtig im Zweikampf ist." All die Offensiven, ob Mario Götze, ob Jadon Sancho, ob Thorgan Hazard, ob der zuletzt starke Julian Brandt - sie verschwanden im Dickicht der Münchner Verteidigung und tauchten nie wieder auf.

Die Debatte, warum die Borussia, die im August zu Hause im Supercup gegen die Bayern noch verdient 2:0 gewonnen hatte, nun erneut beim Ausflug nach München derart chancenlos war, haben sie anschließend bewusst gemieden. War es der Kader, dem vielleicht bei aller Technik, aller Geschwindigkeit, aller jugendlicher Leichtigkeit doch noch ein, zwei robuste, gestandene Spieler mehr fehlen? War es der Trainer Lucien Favre, der seinem Ruf als Zauderer wieder einmal gerecht wurde? "Den Trainer würde ich komplett rausnehmen", sagte Zorc, "fragen Sie die Spieler."

Vor der Saison hatten sie in Dortmund ja mutig die Meisterschaft als Saisonziel ausgerufen, doch nach elf Spieltagen erscheint dieses Ziel schon fast unerreichbar, angesichts von sechs Punkten Rückstand auf Platz eins. "So doof es klingt: Es ist erst mal nur eine Niederlage bei einer Mannschaft, bei der man auch mal verlieren kann", sagte Mats Hummels. "Nichtsdestotrotz ist dieses Spiel für uns ein Zeichen, dass wir keine Top-top-Truppe sind. Wir können eine sein, an guten Tagen, aber eine Top-Mannschaft ist das auch an schlechten Tagen." Nur sollte sich die Mannschaft, dem Vereinsfrieden zuliebe, nicht mehr allzu viele schlechte Tage erlauben.

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SZ vom 11.11.2019/vit
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