Dortmund-Pleite bei Union:"Hatte mir erhofft, dass wir schon ein Stück weiter sind"

1. FC Union Berlin - Borussia Dortmund

Das Team von Borussia Dortmund steht nach Spielende enttäuscht auf dem Spielfeld.

(Foto: dpa)
  • Borussia Dortmund verliert durchaus verdient bei Union Berlin mit 1:3.
  • Der BVB kassiert wie in den anderen Saisonspielen ein frühes Gegentor, ist aber vor allem in der zweiten Halbzeit ideenlos.
  • Trainer, Spieler und Verantwortliche üben scharfe Selbstkritik.
  • Die Berliner Polizei bestätigte am Sonntag, dass sie im BVB-Fanblock Reizgas einsetzte.
  • Alle Ergebnisse und die Tabelle finden Sie hier.

Von Saskia Aleythe, Berlin

Es war der letzte Tag im August, doch Sebastian Kehl fühlte wieder den April. Den Februar, den März, vielleicht auch den Mai dieses Jahres. Der Chef der Lizenzspielerabteilung von Borussia Dortmund wähnte sich in einer Vergangenheit, die sie im Verein längst abgeheftet zu haben glaubten, verstaut im Aktenordner auf dem Dachboden im hintersten Eck.

"Ich hatte mir erhofft, dass wir schon ein Stück weiter sind", sagte Kehl, neben ihm die Kabine von Union Berlin, aus der nach dem 3:1 gegen den BVB die Musik dröhnte. Die Niederlage gegen den Aufsteiger erfüllte Kehl mit Melancholie und er sagte: "Das hat mich heute schon an einige Phasen in der letzten Saison erinnert." Für die Köpenicker hingegen war der letzte Tag im August fast so schön wie jener Tag Ende Mai, als sie den erstmaligen Aufstieg in die Bundesliga feierten, im Relegationsspiel gegen Stuttgart. Rasenstücke hatten sie damals mit nach Hause genommen, dieses Mal waren es drei Punkte gegen Dortmund. "Die waren nicht budgetiert", sagte Union-Trainer Urs Fischer, wie Schweizer es eben nüchtern ausdrücken, "aber es ist schön, dass sie da sind."

Direkt neben ihm suchte sein Landsmann Lucien Favre nach Erklärungen, warum seine Dortmunder mit all ihren Ambitionen schon jetzt gestrauchelt waren, beim Aufsteiger, mit einem verdienten 1:3 (1:1). Sofort landete man tatsächlich wieder in der Vorsaison, an deren Ende - trotz zwischenzeitlichem Neun-Punkte-Vorsprung des BVB - der FC Bayern doch wieder die Meisterschale stemmen durfte. "Wir haben die Konzentration verloren und die Geduld", sagte Favre. Oder, in den Worten von Marco Reus: "Wir haben uns im gesamten Spiel einfach komplett dumm angestellt."

Nach 22 Minuten war ein Beben durch die Alte Försterei gegangen. Unions Marius Bülter hatte einen Eckball von Kapitän Christian Trimmel im Strafraum dankend angenommen und mit einem Flachschuss ins Eck eingenetzt - die Szene wirkte einstudiert, die BVB-Abwehr war angesichts der Laufwege der Unioner überrascht, und Kehl analysierte später: "Das ist das dritte Mal in Folge, dass wir in Rückstand geraten. Das darf einer Mannschaft mit so einer hohen Qualität nicht passieren." Auch Augsburg (am Ende 5:1) und Köln (3:1) hatten gegen den BVB geführt. Dass die Sommerpause tatsächlich ein Ende gefunden hat, merkte man nicht jedem Dortmunder an. "Es darf uns nicht passieren, dass wir immer diesen Weckruf brauchen", sagte Kehl. Drei Minuten nach dem Rückstand waren die Dortmunder hellwach, allerdings nur kurz: Reus schickte Sancho, der flankte auf Alcácer, 1:1.

Weckruf? Von wegen. Der Treffer ermunterte die Dortmunder, die ohne die verletzten Axel Witsel und Thorgan Hazard angetreten waren, nicht gerade, weiter kreative Lösungen zu suchen. Und es begann, was Union-Trainer Fischer später in klare Worte packte: "Wir waren eklig. Die Mannschaft hat um jeden Zentimeter gekämpft." Der BVB schob sich den Ball zu, Union attackierte. Ein Fernschuss von Julian Weigl landete am Außenpfosten (42.), einen Schuss von Reus lenkte Union-Keeper Rafal Gikiewicz am Tor vorbei (45.).

Polizei bestätigt Reizgas-Einsatz

In der ersten Halbzeit kam es zu Auseinandersetzungen zwischen beiden Fanlagern. Die Berliner Polizei bestätigte am Sonntag, dass sie Pfefferspray eingesetzt habe. Dabei sind wohl einige Gäste-Fans verletzt worden. Einsatzkräfte trennten rivalisierenden Fans. Bei den Auseinandersetzungen wurden drei BVB-Anhänger festgenommen. Nach Polizeiangaben versuchten weitere Gästefans, die Festgenommenen zu befreien, was die Polizisten durch den Einsatz von Reizgas verhinderten. Auslöser der Tumulte sollen Union-Fans gewesen sein, die für eine Choreo vor dem Anpfiff aufs Stadiondach durften und von dort oben angeblich die Gäste-Fans provozierten. Die Fanhilfe Dortmund schrieb auf Twitter, beim Polizeieinsatz seien mehrere Fans verletzt worden und spach von "skandalösen Vorfällen". Beim Abbrennen von Pyrotechnik durch beide Fanlager wurde laut Polizei auch ein Beamter leicht verletzt.

"1:1 ist nicht schlecht in der Halbzeit", sagte BVB-Trainer Favre, "ich denke, wir haben ein wenig gedacht, es wird wie in Köln in der zweiten Halbzeit." Dort hatte der BVB die Partie durch späte Tore gedreht, nun aber waren es die Berliner, die beflügelt durch die flirrende Atmosphäre ihre Chancen nutzen. Nach der Pause klärte BVB-Verteidiger Manuel Akanji einen hohen Ball direkt in den Lauf von Sebastian Andersson, der mit seinem Versuch zwar noch scheiterte - aber den Abpraller nutzte wieder Bülter, schon stand es 2:1 (50.) für Union. Nach dem 0:4-Auftakt gegen Leipzig bescherte der Angreifer seiner Elf die ersten Bundesliga-Heimtore überhaupt.

"Beim 2:1 ist das Stadion explodiert", sagte Andersson, der in der 75. Minute seinen eigenen Treffer bejubeln konnte: Wieder hatte der BVB einen Eckball nicht gut verteidigt. "Der letzte Pass war heute oft nicht gut, wir haben oft sehr schlampig gespielt", monierte Kehl. Was besonders irritierte, war die Ideenlosigkeit des BVB nach der Pause. Gepasst wurde nur noch in der Abwehrreihe oder über die Außenbahnen, kaum ein Ball landete in der Zentrale. "Wir haben überhastet gespielt. Es war schwer, die Tiefe zu finden, weil sie sehr, sehr hoch waren", sagte Favre.

Überhaupt war von einem Aufbäumen der Dortmunder während des Spiels nichts zu sehen. Favre nutzte eine Trinkpause in der Mitte der zweiten Halbzeit nicht für eine Ansprache, er bereitete stattdessen Auswechslungen vor. "Du hast gemerkt, dass die Berliner heute einen größeren Willen hatten", sagte Julian Brandt. Und das ist vielleicht das Alarmierendste an dieser Niederlage: dass eine Mannschaft, die in dieser Saison mit neuer Ernsthaftigkeit und einem verstärkten Kader um die Titel mitspielen will, weniger um einen Sieg kämpft als ein Aufsteiger mit dem Ziel Klassenerhalt. Für einen Kulturwandel haben die Borussen ein bisschen Zeit - nach der Länderspielpause wird Leverkusen erwartet.

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