Süddeutsche Zeitung

Anzeige gegen BVB-Profi Bellingham:Ein Interview mit Folgen

Dortmunds Jude Bellingham versteht beim 2:3 gegen den FC Bayern die Welt nicht mehr und schießt in Richtung Schiedsrichter Zwayer. Nun ermittelt nicht nur der DFB-Kontrollausschuss gegen ihn.

Von Philipp Selldorf, Dortmund

Im Juni hat Jude Victor William Bellingham seinen 18. Geburtstag gefeiert, nach herkömmlicher Auffassung ist er damit zwar volljährig, aber immer noch ein sehr junger Mensch. Nach den neuen Maßstäben des Fußballs hingegen ist er bereits ein Mann in fortgeschrittenen Jahren, im 21. Jahrhundert sind die Debütanten ja höchstens 17, der Trend tendiert bereits zu den 16-Jährigen. Bei Jude Bellingham liegt die Erinnerung an die Anfänge im Profisport tatsächlich schon lange zurück.

Er hatte bereits 40 Spiele mit Birmingham City in der zweiten englischen Liga hinter sich, bevor er sich im Sommer 2020 Borussia Dortmund anschloss, und als er nun mit dem BVB gegen den FC Bayern spielte, war Bellingham kein begabter Teenager, der ebenfalls mitspielen durfte, sondern wie so oft eine bestimmende Figur in seinem Team. Er ist, wie man in den Expertenrunden am Sonntagvormittag zu sagen pflegt, ein Spieler, der "vorangeht", dazu ist er gleich doppelt qualifiziert: Durch sein fußballerisches Vermögen und durch seine ungewöhnliche Hingabe, die manchmal extrovertierte Formen annimmt. So wie am Samstagabend.

"Du gibst einem Schiedsrichter, der schon in Spielmanipulationen verwickelt war, das größte Spiel in Deutschland", sagt Bellingham: "Was erwartest du?"

Der stolze Borusse Bellingham hatte sich schon während des Spiels regelmäßig an den Demonstrationen beteiligt, die seine Mitspieler gegen Schiedsrichter Felix Zwayer und dessen Entscheidungen anstrengten. Gelegenheiten gab es bekanntlich genügend. Nach der Partie setzte er die Proteste gegen den Spielleiter mit einer überraschend aggressiven Note fort: Dem norwegischen Fernsehen gab er ein Interview, in dem er auf Zwayers Verwicklung in die Affäre um den bestechlichen Schiedsrichter Robert Hoyzer verwies. "Du gibst einem Schiedsrichter, der schon in Spielmanipulationen verwickelt war, das größte Spiel in Deutschland. Was erwartest du?", stellte er Zwayers Eignung und moralische Integrität rhetorisch in Frage.

Die Äußerung ging nicht nur nach Meinung des Bayern-Chefs Oliver Kahn "einen gewaltigen Schritt zu weit". Der DFB-Kontrollausschuss leitete Ermittlungen ein, man prüfe "die sportstrafrechtliche Relevanz", erklärte der Anklagevertreter Anton Nachreiner. In Rede steht wohl der Tatbestand des sportwidrigen Verhaltens, was eine Sperre zur Folge haben könnte. Schiedsrichter-Beobachter Marco Haase soll nach einem Bericht der Bild-Zeitung vom Sonntag gar Strafanzeige wegen "Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung" gegen Bellingham erstattet haben.

Der Fall Hoyzer liegt bald 17 Jahre zurück, Bellingham war damals gerade erst zur Welt gekommen, aber seine mutmaßlich unvollständige Kenntnis von dem Fall - Zwayer war lediglich eine Nebenfigur des Verfahrens - dürfte für die DFB-Juristen weniger von Belang sein als seine eigene Jugend. Die entsprechende Verteidigungslinie nahm auch sogleich Borussia-Chef Hans-Joachim Watzke in einer ersten Stellungnahme im Kicker auf: Bellinghams Satz sei "nicht falsch, auch wenn er ihn nicht sagen muss", so Watzke. "Aber das ist dann auch der Emotionalität geschuldet, die man einem 18-Jährigen zugestehen muss. Jude hat niemanden beleidigt, sondern ein Faktum geschildert."

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