Bundestrainer:Löw wird schon wieder auftauchen

Germany v Ukraine - EURO 2016 - Group C

Bundestrainer Joachim Löw.

(Foto: REUTERS)

Denkt der Bundestrainer über seinen Rücktritt nach oder kokettiert er nur? Vielleicht möchte Löw ja gebeten werden, dass er die Nationalelf zur WM 2018 nach Russland führt.

Von Philipp Selldorf, Paris

Die maßgebende These, die Joachim Löw vor seinem Verschwinden der Nachwelt zur Diskussion hinterlassen hat, handelte nicht davon, dass Deutschland das bessere und Frankreich lediglich das glücklichere Team gewesen sei. Sie lautete: "Die Analyse des Turniers wird relativ kurz ausfallen." Weil: "So viele Fehler habe ich nicht gesehen."

Diese Überzeugung, ausgesprochen am Abend der Niederlage gegen Frankreich im Stade Velodrome in Marseille, lässt nicht darauf schließen, dass sich Löw jetzt wegen Schuldgefühlen und Gewissensbissen in die Einsamkeit verzogen hat und demnächst beim Bundespräsidenten seinen Rücktritt einreichen wird. Um den Verbleib des Bundestrainers Löw müsse sich niemand Sorgen machen, sagen Leute, die es aus Erfahrung wissen sollten. Dass er in Marseille auf entsprechendes Befragen nicht bereit war, ein Bekenntnis zur Fortsetzung seiner Arbeit abzugeben, das führen die Kenner nicht darauf zurück, dass ihn ein unerträgliches Maß an Bestürzung ereilt haben könnte.

Vielmehr will er einerseits ein wenig Abstand herstellen und andererseits auch prüfen, ob die öffentliche Resonanz auf das Turnier mit seiner eigenen positiven Betrachtungsweise übereinstimmt. Etwas Eitelkeit und Koketterie sind wohl auch im Spiel, so wird geargwöhnt. Löw möchte, dass man ihn nicht nur für den richtigen, sondern für den idealen Mann im Staatsamt des Nationalcoachs hält. Er möchte vielleicht wieder ein bisschen gebeten werden.

Löw gilt als vertragstreu

Darüber hinaus, so heißt es, sei an seiner Vertragstreue nicht zu zweifeln - sein Arbeitsverhältnis mit dem DFB gilt bis 2018, also bis zur Weltmeisterschaft in Russland. Die Verteidigung des Titels hatte er bereits 2014 als das große Fernziel der nächsten Legislaturperiode ausgegeben. Und schließlich gilt weiterhin die Parole: Der Fußball-Job, der besser zu Joachim Löw passt, als der des Bundestrainers, der muss wohl erst noch erfunden werden.

Zehn Jahre ist Löw jetzt hauptverantwortlich für die Nationalelf zuständig, es spricht nach weitverbreiteter Überzeugung nichts dagegen, dass es noch mindestens zwei weitere Jahre werden. "Wir alle im Präsidium wären glücklich, den Weg Richtung Titelverteidigung mit Jogi Löw zu gehen", erklärte DFB-Präsident Reinhard Grindel. Der einzige Fußball-Prominente, der sogleich eine abweichende Meinung äußerte, war der bekennende Exzentriker Jens Lehmann mit seinem rätselhaften Tweet am Spielabend: "Löw knows the rules", er kennt die Regeln.

Ob er damit auf eine gesetzlich vorgeschriebene Pflicht zum Rücktritt anspielen wollte, das hat er seitdem nicht erläutert. Ansonsten blieb die Zahl der Kritiker überschaubar, und die Art der Kritik hat keinen grundsätzlichen Charakter, sondern beschränkt sich auf Geschmacksfragen und Details. Dass Grindel im ersten Statement auf heimischem Boden die unterschiedlichen Spielkonzepte des Bundestrainers lobend hervorhob, dürfte konsensfähig sein.

Fehlte die Spannung vor der EM?

Vor dem Turnier hatten einige Wegbegleiter den Eindruck, dass es Löw nach dem Titelgewinn von Brasilien ein wenig an Spannung habe fehlen lassen. In der Führung seiner Mannschaft sei es vielleicht ein bisschen zu viel des Laissez-faire gewesen. Das mag zutreffen, vermutlich würde Löw selbst nicht widersprechen - es bildete sich aber in den Turnierspielen nicht ab. Die DFB-Elf steigerte sich im Verhältnis zum steigenden Schwierigkeitsgrad in den K.-o.-Runden. Dass der Coach seiner Mannschaft in Évian-les-Bains mehr Freizeit zubilligte und dafür weniger Trainingsarbeit auferlegte, war eine Reaktion auf das Belastungsprofil der Spieler. Stark beanspruchte Profis wie Mesut Özil und Toni Kroos waren erkennbar imstande, aus Reserven zu schöpfen, und das nicht nur körperlich.

Auch ihr hohes Maß an Motivation fiel auf, Özils aufopfernde Einsätze waren so markant wie seit Jahren nicht mehr; der lässige Kroos wurde gegen Frankreich zum leidenschaftlichen Kämpfer. Bei Thomas Müller hingegen war genau dies das Problem - dass er in seiner persönlichen Übermotivation den Spielverstand einbüßte, der eigentlich seine Stärke ist. Müllers Probleme wurden von Partie zu Partie größer, umso planloser rannte er umher. Diesen Missstand hat Löw nicht beheben können, im Halbfinale verlor er dann vollends die Kontrolle über den torlosen Angreifer.

Niemand müsse beunruhigt sein

Letztlich war das einer der tragenden Gründe für die Niederlage, während die eher schematischen Einwechslungen - erst der übliche Mario Götze, später noch Leroy Sané - ebenso Randerscheinungen blieben wie die Kaderauswahl, in der dann vielleicht doch Karim Bellarabi als Außenstürmer sinnvolle Verwendung gefunden hätte. Ein Grund zum Rücktritt ergibt sich daraus logischerweise nicht.

Löws Engagement in Frankreich ließ, soweit sich das außerhalb der bewachten Hotelzäune beurteilen ließ, wenig zu wünschen übrig. Während der zähen Qualifikationsphase schien bei ihm hin und wieder eine gewisse Unlust durch, aber während der EM strahlte Löw eine Passion und eine Freude aus, die weit entfernt war von Signalen ermüdender Berufsroutine. So ausführlich und so präzise hat er zudem bei Turnieren noch nie über sein Meinen und Handeln geredet, es schien ihm sogar Spaß zu machen. Das war nicht immer so, schon gar nicht in den Wochen vor der Krönungsfeier 2014 in Brasilien.

Löw werde wieder auftauchen, niemand müsse beunruhigt sein, hieß es am Sonntag beim DFB. Die nächsten Aufgaben sind bekannt: Tschechien, Nordirland und Norwegen werden unter anderem die Gegner in der WM-Qualifikation sein. Nur der Erste kommt direkt weiter, es gibt ein bisschen mehr Druck als vor der EM. Für alle Beteiligten ist das gut so.

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