Süddeutsche Zeitung

Bundestrainer Joachim Löw:"Uns läuft die Zeit davon"

  • Bundestrainer Löw vertraut in Kaderfragen auf sein Bauchgefühl, macht aber schon ein paar Andeutungen.
  • So kommt die WM für Augsburgs Philipp Max noch zu früh.
  • Mario Götze und André Schürrle stehen immerhin auf der Longlist.

Von Ulrich Hartmann, Düsseldorf

23 Stunden und 28 Minuten nachdem die Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin ihre Regierungserklärung vorgetragen hatte, trat am Donnerstagmittag 480 Kilometer südwestlich in Düsseldorf der Bundestrainer Joachim Löw vor die Medien. Es war für den Weltmeistertrainer im WM-Jahr die erste offizielle Rede an die Nation, und er klang in der Eröffnungsphase seines Vortrags auch gleich ganz schön dramatisch. "Uns läuft die Zeit davon", klagte er beispielsweise nach gerade mal 40 Sekunden über die schwindende Vorbereitungszeit bis zu jener WM ab Mitte Juni, über die er behauptete: "Sie wird uns Unmenschliches abverlangen." Wer bis dahin noch dachte, so eine Fußball-WM sei ein Vergnügen, der weiß jetzt Bescheid.

Löw formuliert aber auch dramatische Worte immer ein bisschen so, als befinde er sich auf einem Spaziergang durch den Schwarzwald. Und so kam auch das "Unmenschliche" halbwegs milde rüber, zumal Löw die schwierigsten Momente in seinem zwölften Jahr als Bundestrainer ja noch vor sich hat: nämlich, wenn er Mitte Mai einigen Spielern mitteilen muss, dass er sie nicht mit zur WM nimmt.

Philipp Max spielt in Löws Planungen keine Rolle

Einem Spieler, der sich Hoffnungen machte, teilte Löw dies bereits am Donnerstag im Rahmen seines Vortrags mit, als er nämlich auf Nachfrage erklärte, dass der Augsburger Linksverteidiger Philipp Max, mit 13 Torvorlagen bester Vorbereiter der ganzen Bundesliga, in seinen Planungen keine Rolle spiele. Mehr Namen wurden im Ausschlussverfahren nicht genannt, hingegen betonte Löw, dass seine Liste an WM-Kandidaten "ein bisschen länger" sei. So wiederholte er auch, dass die drei Dortmunder Marco Reus, Mario Götze und André Schürrle noch auf seiner Longlist stünden. Löw betont, dass er bis zur Nominierungszeremonie am 15. Mai im Deutschen Fußball-Museum in Dortmund das Leistungsprinzip anwenden will, dass er aber auch die "Teamfähigkeit" der Kandidaten überprüfe. Denn man benötige "Spirit".

Überdies hält er sich gegen mögliche Kritiker seiner bevorstehenden Auswahl ein Hintertürchen offen, wenn er sagt: "Manchmal, ganz ehrlich, ist es auch so, dass halt auch mein Bauchgefühl, die Intuition, bei einem Spieler entscheidet, wenn ich das Gefühl habe, dass er vielleicht bei einer WM etwas Besonderes leisten kann."

Die beiden Freundschaftsspiele an diesem Freitag in Düsseldorf gegen Spanien und am Dienstag in Berlin gegen Brasilien sind die letzten hochklassigen Tests, in denen Löw dann auch nahezu alle 25 Spieler einsetzen will, die er für den gegenwärtigen Lehrgang nominiert hat. Ausnahmen: Emre Can (FC Liverpool) plagen Rückenschmerzen, und Sebastian Rudy (FC Bayern) wird Vater. "Ich will in beiden Spielen unterschiedliche Teams auflaufen lassen", erklärt Löw. Insofern kommt den Spielen eine wichtige, im Einzelfall vielleicht sogar ultimative Bedeutung zu. Anfang Juni, wenn man gegen Österreich und Saudi-Arabien spielt, ist zumindest der erweiterte WM-Kader längst nominiert.

Verkündet hat Löw am Donnerstag zunächst nur eine Personalie: Marc-André ter Stegen steht gegen Spanien im Tor. Der 26-Jährige vom FC Barcelona spiele "eine super Saison". Ter Stegen gilt als Nummer eins im deutschen Tor, solange der Münchner Torwart Manuel Neuer noch seinen Mittelfußbruch kuriert. Doch Löw hatte Neuigkeiten über Neuer: "Er ist bei 90 Prozent und liegt voll im Plan, es ist vorgesehen, dass er noch in dieser Saison bei Bayern München wieder spielt." Löw geht zwar davon aus, dass Neuer zur WM mitfährt, merkte aber ganz grundsätzlich an: "Wenn ein Spieler in der Vorbereitung überhaupt keine Rolle spielen könnte, wäre es schwierig, ihn am Ende auch zu nominieren."

Das klang nicht mehr so, als erhielte Neuer einen Freibrief, als nähme Löw ihn selbst dann mit, wenn er bis Mitte Juni noch nicht spielbereit ist. Ein Drama sähe Löw darin offenbar nicht: "Marc-André ter Stegen ist eine Persönlichkeit geworden, er ist auf alles vorbereitet und hat auch schon große Spiele und Turniere absolviert."

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SZ vom 23.03.2018/ebc
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