Bundestrainer Joachim Löw:Spanisch für Fortgeschrittene

Ein kühner Plan fürs neue Jahr: Joachim Löw will den EM-Favoriten Spanien mit dessen eigenen Mitteln besiegen. Er warnt aber davor, die anderen Gegner zu vergessen. "Mindestens fünf Nationen" hätten dasselbe Ziel wie die DFB-Elf - zwei davon finden sich in der deutschen Vorrundengruppe.

Christof Kneer

Jeder Nationaltrainer freut sich, wenn ein paar seiner Spieler bei den besten Klubs der Welt angestellt sind. Das garantiert ein hohes Trainingsniveau und viele anspruchsvolle Partien gegen andere beste Klubs der Welt. Der deutsche Nationaltrainer begrüßt es zum Beispiel ausdrücklich, dass Miroslav Klose inzwischen für Lazio Rom stürmt und Per Mertesacker für den FC Arsenal verteidigt.

Joachim Löw

Joachim Löw und der EM-Pokal: "Wichtig ist, dass wir für Gegner unberechenbar bleiben."

(Foto: dpa)

Manchmal begrüßt der deutsche Nationaltrainer die Fortbildung in der Ferne so sehr, dass er Spieler bis an die Grenze des Erlaubten aus der Bundesliga hinausredet. Joachim Löw sagt so oft, dass "der Lukas Podolski jetzt reif fürs Ausland" sei, dass sie das im inländischen Köln vermutlich für nicht sehr hilfreich halten.

Aber Löw kennt ja auch die geheimen Nebenwirkungen solcher Auslandssemester. Er erfährt von seinen Spielern, wie andere Trainer denken. Er kann in deren Köpfe sehen und entscheiden, ob er dort Nützliches entdeckt.

Von Mesut Özil und Sami Khedira kann Löw lernen, was Real-Trainer José Mourinho plant, diese Nachricht ist ihm womöglich die wichtigste von allen. Mourinho und Löw sind ja eine Art Leidensgenossen, seit einiger Zeit versuchen sich beide an einem kühnen Projekt: Sie wollen den FC Barcelona bzw. die spanische Nationalelf besiegen, was nicht ganz, aber doch ungefähr dasselbe ist.

An Löw und Mourinho lässt sich studieren, wie zwei Großhirne des Fußballs für dasselbe Problem völlig unterschiedliche Lösungsansätze wählen. Mourinhos Plan ist es, den Gegner kleiner zu machen. Löw will die eigene Elf größer machen.

Es hat Löw fast ein bisschen irritiert, dass ihn der kicker gerade zum "Mann des Jahres 2011" gekürt hat. Es gibt durchaus Gründe dafür, etwa jene makellose EM-Qualifikation, die Löws Elf mit Testspiel-Siegen gegen Uruguay, Brasilien und Holland garnierte. Aber Löw wäre es entschieden lieber, er würde zum Mann des Jahres 2012 bestimmt. "Die Sehnsucht nach einem Titel ist bei uns allen groß wie nie", hinterließ der Bundestrainer noch schnell als Neujahrsbotschaft, bevor er sich in den Winterurlaub verabschiedete. Er will die EM 2012 gewinnen. Und er will Spanien besiegen.

"Man muss spielerisch besser sein, wenn man einen großen Gegner schlagen will", sagt Löw. Ein nüchterner Satz mit revolutionärem Inhalt: Löw will die Spanier spanisch bezwingen. Er will sich auf ihr Spiel einlassen, es mitspielen und, so hofft er, in der einen, entscheidenden Szene besser sein.

Mourinho lässt sich nicht aufs Spiel des FC Barcelona ein. Er will es zerstören. Er will die Künstler provozieren, er will, dass sie ihre Kunst verlieren. Er ist ein raffinierter Verfechter des winning ugly, Löw dagegen will anmutig siegen. Seine Spieler sollen auch zuschlagen, aber mit manikürten Fingernägeln.

Mit stillem Behagen hat Joachim Löw zur Kenntnis genommen, wie der große Mourinho zuletzt vorsichtig auf den Löw-Weg eingebogen ist. Bei der jüngsten Ausgabe des ewigen clásico Real gegen Barcelona hat Mourinho vor den Augen des Tribünengastes Löw ein mutiges Real an den Start gebracht, am Ende verlor er dennoch 1:3.

"Aber Real hat da von Anfang an gutes Pressing gespielt", lobt Löw, "es war von Anfang an ersichtlich, wie die ganze Elf nach vorne gerückt ist und versucht hat, Barcelona früh zu stören." Ersetzt man "Barcelona" durch "Spanien", dann hat man Löws Plan hübsch gebündelt zusammengefasst.

Zusammen mit seinem Assistenten Hansi Flick hat der Bundestrainer das turnierfreie Zwischenjahr 2011 genutzt, um den Stil seiner Elf zu verbreitern. "Bei der WM in Südafrika war noch das schnelle Umschalten nach Ballgewinn unsere große Stärke", sagt Flick, "wir kamen aus der eigenen Hälfte und waren im Idealfall in wenigen Sekunden vor dem gegnerischen Tor." Es war eine Art Außenseiter-Fußball, wie ihn Teams spielen können, die man nicht mehr oder noch nicht ganz ernst nimmt.

Auf diesen schönen Wettbewerbsvorteil werden die Deutschen künftig verzichten müssen, "inzwischen ist es ja so, dass die meisten Gegner sich hinten reinstellen und selbst auf Konter lauern", sagt Flick, "das heißt, dass wir neue Lösungen brauchen". Der verwegene Plan lautet, künftig beides zu können: Die DFB-Elf will den frisch eingeübten, dominanten Fußball ebenso zuverlässig im Repertoire haben wie den alten, eher auf Reaktion berechneten Kontersport. "Wichtig ist, dass wir für Gegner unberechenbar bleiben", sagt Löw.

Spanisch für Fortgeschrittene, so lautet die Lektion, die Löw seiner Elf in den Lehrplan geschrieben hat, aber er warnt davor, die anderen Gegner zu vergessen. "Mindestens fünf Nationen" hätten bei der EM dasselbe Ziel wie die DFB-Elf, sagt er. Gleich zwei davon, Holland und Portugal, finden sich in der deutschen Vorrundengruppe.

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