Bundestrainer Joachim Löw:In der Ahnengalerie des deutschen Fußballs

Bundestrainer Joachim Löw: Im Olymp deutscher Bundestrainer: Joachim Löw in eher bescheidener Jubelpose

Im Olymp deutscher Bundestrainer: Joachim Löw in eher bescheidener Jubelpose

(Foto: AP)

Mit Joachim Löw klappt das nie mit dem Titel! So unkten Kritiker. Doch bei seinem vierten Fußball-Großereignis erfindet sich der Bundestrainer neu: Er trifft die richtigen Entscheidungen und sorgt für eine harmonische Atmosphäre. Doch sollte ein Weltmeister-Trainer nicht besser abtreten?

Von Thomas Hummel, Rio de Janeiro

Joachim Löw erschien zur Fragerunde mit der Weltpresse und sah seltsamerweise genauso aus wie zuvor. Das blaue Hemd saß, die Frisur auch. Sehen so Weltmeister-Trainer aus? Wo doch schon Pokalsieger-Trainer bis zu 50 Liter Bier abkriegen. Und durch die Luft fliegen ohne Rücksicht auf die Garderobe.

Nichts von alledem ist dem 54-Jährigen am Sonntag im Estádio do Maracanã widerfahren. Vermutlich spürten seine Spieler, dass eine wilde Feier diesem freundlichen, nüchternen Mann nicht entsprochen hätte. Vielleicht scheut er Triumphposen, weil der Respekt für den Gegner zu sehr Teil seiner Persönlichkeit ist. Und der hat ja verloren. Im Augenblick auch seines größten Sieges wirkte es, als würde er eher widerwillig die heftigen Gefühle seiner Mitarbeiter über sich ergehen lassen. Nach dem Schlusspfiff von Schiedsrichter Nicola Rizzoli griff zuerst Torwarttrainer Andreas Köpke zu, dann umarmten ihn gleichzeitig so viele Menschen, dass Löw erdrückt wirkte.

Weil er den Jubel unbeschadet überstand, muss er nun zur Kenntnis nehmen, dass er in den Olymp deutscher Bundestrainer aufgestiegen ist. Sepp Herberger, Helmut Schön, Franz Beckenbauer - Joachim Löw. So heißt seit dem 13. Juli 2014 die Ahnengalerie des deutschen Fußballs. Durch das 1:0 nach Verlängerung gegen Argentinien, den Coup von Rio, ist er einer von vier Weltmeister-Trainern des Landes.

"Heute Nacht werde ich nicht in ein Loch fallen"

Schon kurz nach der Jubelei wurde Löw mit der Frage konfrontiert, wie das werte Befinden sei und ob er nach der ganzen Anstrengung nun in ein Loch zu fallen drohe. Es war einer der vielen Momente bei dieser WM, in denen der Mann aus Schönau in Baden sich genötigt sah, seinen Humor herauszukramen. Er antwortete: "Also eines kann ich Ihnen mit Bestimmtheit sagen: Heute Nacht werde ich nicht unbedingt in ein Loch fallen. Und morgen wahrscheinlich auch nicht, denn dann fahren wir nach Berlin."

Es ist noch nicht lange her, da hätten diesen Löw viele Beobachter und Hobby-Bundestrainer gerne in das nächstbeste Loch geworfen. Sie hätten ihn so lange da unten sitzen lassen, bis er dieses allerwichtigste Amt im Land abgegeben hätte. Kam die Sprache auf den obersten Fußballlehrer der Nation, kochte beim Volk der Zorn hoch. Dieser sachliche, analysierende Mann mit dem bisweilen kuriosen Singsang-Akzent passte vielen Verfechtern deutscher Fußball-Tugenden nicht. Denn nur damit kann einer Titel gewinnen - mit Löw wird das nie was!

Ihm hing die Niederlage im EM-Halbfinale gegen Italien nach, als er gründlich danebengriff bei der Aufstellung. Nach dem 4:4 gegen Schweden nach 4:0-Führung (in der Qualifikation zur WM) wurde er endgültig misstrauisch beäugt. Dieses Spiel brachte ihm den Vorwurf der Schönspielerei und der unterlassenen Hilfeleistung ein. Löw habe keinen Sensor für die Gemeinheiten des Fußballs und sei dem Job nicht gewachsen.

Das Turnier in Brasilien sah einen anderen Löw. Einen neuen Löw. Den Turniertrainer. Der 54-Jährige hat sich noch einmal neu erfunden bei seinem vierten Anlauf bei einer EM oder WM als Bundestrainer. Das musste er auch, denn selten war das Gespür des Chefs so wichtig wie bei dieser deutschen Mission.

Abschied von seinen Lieblingsschülern

Er führte die zuvor lange verletzten Sami Khedira und Bastian Schweinsteiger per Arbeitsteilung an die nötige WM-Form heran. Als sie fit waren, stellte er Philipp Lahm nach rechts, was dem Spiel eine wichtige Variante mehr gab: den Angriff über zumindest eine Seite. Er sah, dass Per Mertesacker für diese Konter-WM nicht geschaffen war und verbannte seinen favorisierten Innenverteidiger auf die Bank. Dort hatte bereits sein einstiger Lieblingsschüler Lukas Podolski Platz genommen. Er nahm den harsch kritisierten Mario Götze aus der Mannschaft und holte ihn im richtigen Moment zurück. Da ist auch immer Glück dabei. Doch Löw und sein Team arbeiteten an den Voraussetzungen dafür.

Er setzte Neulinge überraschend ein, er degradierte Etablierte. Dennoch versichern alle Beteiligten glaubhaft, dass es im deutschen Lager nie auch nur einen Hauch Ärger gegeben habe. "Intern gab es nicht die geringsten Probleme", berichtete DFB-Chef Wolfgang Niersbach. Den letzten Beweis für diese These brachte Bastian Schweinsteiger vor: Der Münchner erklärte, dass er sich sogar mit dem Ur-Dortmunder und in München zuvor schief angesehenen Kevin Großkreutz angefreundet habe. Verantwortlich für eine solch harmonische Atmosphäre ist auch der Trainer.

Während Löw in der Öffentlichkeit während dieser WM heftig angegangen wurde, schätzten ihn die Spieler für seine beständige, verbindliche Art. Und für sein Fachwissen. Löw ging diesmal sogar so weit, Assistenztrainer Hansi Flick das Einstudieren von Standardsituation zu erlauben. Und war sich nicht zu schade dafür, die Arbeit des Kollegen zu preisen: "Das war ein wesentlicher Punkt, warum wir das Turnier gewonnen haben. Ich glaube, so gut waren wir noch nie mit Standards."

Bis zum Schluss sachlich und zuvorkommend

Im Augenblick des Sieges erteilte Löw den Kritikern keine Abreibung, wie das früher Franz Beckenbauer gemacht hätte. Er blieb bis zum Schluss sachlich und zuvorkommend. Erklärte der Welt, dass das Projekt Weltmeistertitel nicht erst vor 55 Tagen begonnen habe, als sich die Mannschaft in Südtirol zum Trainingslager traf. Sondern schon vor zehn Jahren. Als er mit Jürgen Klinsmann begann, den Laden auf den Kopf zu stellen, wie sich sein damaliger Chef ausdrückte.

Mehrfach verwies Löw auf die prägenden Spieler dieser Dekade. "Wir wussten, dass Champions irgendwann den letzten Schritt machen. Wenn es jemand verdient hat, dann diese Mannschaft mit Lahm, Schweinsteiger, Khedira, Mertesacker, Podolski, Klose." Es sind die Spieler, die er in der Nationalmannschaft seit fast zehn Jahre begleitet.

Der Bundestrainer ist keiner, der zum Überschwang neigt. Und auch keiner, der bei einer Feier gerne im Mittelpunkt des Trubels steht. Als die Spieler mit dem deutschen Anhang sangen und hüpften, stand Löw irgendwo am Rand und schaute dem Treiben zu.

Fehlte noch die Antwort auf die Frage, ob das sein letzter Auftritt als Bundestrainer war. Ob ein Weltmeister-Trainer nicht besser abtreten sollte. DFB-Chef Niersbach gab sie: "Wir haben doch den Vertrag verlängert. Er hat ja selber Vicente del Bosque zitiert, der Weltmeister geworden ist und als nächstes Ziel ausgab: Ich will Europameister werden." Löw bleibe also sicher Bundestrainer? "Ja."

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