Bundestrainer Joachim Löw:Gedanklich schon im Wochenende

Die Alternativen sind rar, die diplomatischen Fallstricke zahlreich und die Spieler längst wieder bei den Klubs: Das 4:4 von Berlin aufzuarbeiten, ist für Löw nicht leicht. Trotz aller Kritik scheint der Bundestrainer aber an seiner Linie festhalten zu wollen - es liegt nun an ihm, sich Lösungen für die Baustellen im Team zu überlegen.

Philipp Selldorf

Jürgen Kohler, Fußballgott im Ruhestand, hat in seiner zweiten Karriere bisher nicht mit großen Taten Aufsehen erregt. Beim DFB, bei Bayer Leverkusen, beim VfB Stuttgart hinterließ er wenig Denkwürdiges, zuletzt gab er seine Aufgabe als Trainer der A-Jugend beim Bonner SC auf, der Posten war ihm zu zeitaufwändig. An diesem Donnerstag aber hat Kohler immerhin einen Preis gewonnen, den Preis des schärfsten Kritikers der Nationalmannschaft.

In einem Beitrag für den Kicker setzte sich der ehemalige Innenverteidiger mit dem 4:4 der Deutschen gegen Schweden auseinander, seine Rede zeugt von erheblicher Empörung. Außer dass Kohler um jeden Preis eine Trophäe verlangt ("Es zählen nur Titel") will er auch kein Lob mehr hören fürs schöne Spiel der Deutschen und ihre technischen Begabungen, denn er traut diesen Spielern nicht: "Wenn es bei uns läuft, spielen alle super, aber wo sind die Kerle, wenn es nicht läuft?", fragt er und gibt die Antwort: "Keiner hat die Elf wachgerüttelt nach dem 4:2, plötzlich wurden alle nervös."

Auch der Bundestrainer hat am Mittwoch viel über den Abend im Olympiastadion geredet und diskutiert, und er hat sogar Verständnis für Kohlers Ärger. Allerdings fallen Joachim Löw aktuell keine deutschen Spieler ein, die geeignet wären, Kohlers Forderungen zu erfüllen, indem sie die Mannschaft "wachrütteln" beziehungsweise im Notfall "vorneweg gehen".

Löw hätte im Prinzip zwar nichts einzuwenden gegen die Berufung eines "Führungsspielers", dessen Abwesenheit im Laufe der Nachbetrachtungen des Berliner Länderspiels wieder überall beklagt wurde. Allerdings weiß er nicht, wo sich jener Führungsspieler, der schlagartig alle Probleme lösen würde, versteckt hält.

Deswegen, das war aus dem DFB-Lager zu erfahren, wird Löw weder Lothar Matthäus noch Stefan Effenberg reaktivieren, wenn er seinen Kader für das Testspiel gegen Holland in vier Wochen zusammenstellt. Ebenfalls gesichert ist die Information, dass weder Berti Vogts noch Andreas Brehme auf der Besetzungsliste für die am 14. November in Amsterdam stattfindende Partie stehen werden, obwohl auch Joachim Löw erkennt, dass das Angebot an Außenverteidigern in seiner Auswahl nicht optimal ist.

Außer den seit langem bekannten Vakanzen im Repertoire bedauerte Löw am Mittwoch vor allem eins: Dass er seine Leute nicht wie ein Vereinstrainer am nächsten Tag ins Haus bestellen konnte, um mit ihnen zu besprechen, was sie falsch gemacht hatten. Stattdessen waren die Spieler längst zuhause bei ihren Vereinen, und Löw blieben zum Austausch lediglich die üblichen Vertrauten.

Dass viele Spieler sogar schon während der Partie gegen die Schweden gedanklich bei ihren Vereinen und dem Wochenendbetrieb waren, ist im Übrigen eine verbreitete Mutmaßung in Löws Stab. Auch so erklärt man sich den Konzentrationsabfall nach Mesut Özils Treffer zum 4:0.

Löw verzichtet auf Ausflüchte

Neid auf Kollegen ist nicht Löws Art, aber man darf ihm unterstellen, dass es vereinzelte Momente gibt, in denen er gern Vereinstrainer wäre, damit er zum Manager gehen könnte, um ihm den Kauf eines neuen defensiven Mittelfeldspielers aufzutragen. Am Dienstagabend in Berlin hätte es ihm einstweilen schon genügt, wenn er Sami Khedira, Mats Hummels oder einen der Bender-Zwillinge zur Verfügung gehabt hätte. Oder, tatsächlich, Marcel Schmelzer.

Ihm ist aber auch klar, dass es nicht ratsam ist, solche Wünsche in der Öffentlichkeit zu äußern. Erstens weil es die Spieler desavouieren würde, die auf dem Platz standen. Zweitens weil man es ihm als Ausflucht auslegen würde.

Dass die Juniorenmannschaften des DFB bis zur WM 2014 Personal liefern werden, die die Schwachstellen im Profil ausbessern, ist unwahrscheinlich. Löw hat oft erwähnt, dass Deutschland zwar mit vielen Talenten gesegnet ist, dass die Vielzahl dieser Talente aber nicht gerecht über alle Positionen verteilt ist. Klagen verbieten sich selbstverständlich, denn die Bundesliga hat ihm andererseits Spieler wie Marco Reus, Mesut Özil oder Mario Götze beschert und einen Torhüter wie Manuel Neuer, der im Allgemeinen besser beieinander ist, als er es am Dienstagabend war.

Dass Neuer, wie manche Beobachter mutmaßten, eine rätselhaft schwierige Phase durchlebt oder gar Angst um seinen Stammplatz hat, weil René Adler wieder in bester Form ist, das wird beim DFB heftig bestritten. Neuer sei während der vergangenen Tage so angenehm und relaxed gewesen wie immer - Dienstagabend ausgenommen.

Die Eingeweihten versichern außerdem, dass sich der Bundestrainer jetzt keineswegs in die Einsiedelei auf den Feldberg im Schwarzwald zurückziehen werde. Aus dem Berliner Spiel habe er vor allem eine Lektion mitgenommen, heißt es: Dass er unverändert seine Lehre des offensiven und technischen Fußballs beibehalten möchte - um sie gewinnbringend zu verbessern.

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