Süddeutsche Zeitung

Bundestrainer Joachim Löw:Contra: Der DFB ist zu vernarrt in Löw

Ist der DFB von dem miserablen Abschneiden in Russland so überrascht, dass niemand zu einer unangenehmen Analyse fähig ist? Hauptsache, der Jogi bleibt. Wer soll es auch sonst machen?

Kommentar von Thomas Hummel

Im professionellen Fußball ist alles abhängig vom Ergebnis. Diese Weltmeisterschaft in Russland bestätigt das eindrücklich. Der russische Trainer Stanislaw Tschertschessow zum Beispiel darf sich freuen auf irgendeinen Orden des Vaterlands, weil der Einzug ins Viertelfinale seine Mitbürger in beglückte Raserei versetzt. Dabei hat sich seine Mannschaft gegen Spanien weitestgehend des Fußballspiels verweigert und sich stattdessen mit allen Mitteln ins Elfmeterschießen gemauert. Schön war das nicht - aber erfolgreich. Nach der Logik des Fußballs ist damit alles gut.

Die Frage lautet: Wieso gilt diese Logik nicht für Joachim Löw?

Der Bundestrainer hat das schlechteste WM-Ergebnis einer deutschen Nationalmannschaft seit 1938 zu verantworten (damals schied eine großdeutsche Mannschaft, die je zur Hälfte aus Deutschen und Österreichern bestand, in der ersten Runde aus). Dennoch will Joachim Löw weitermachen, bis 2022, bis zur nächsten WM. Und er wird das auch, so er sich nicht unterwegs anders entscheidet. Was unwahrscheinlich ist, denn einen schöneren Job muss man erst einmal finden.

Der Deutsche Fußball-Bund, sein Arbeitgeber, tat mehrfach kund, dass Löw selbst entscheiden dürfe, ob er im Amt bleiben wolle oder nicht. Das ist in diesem Geschäft mindestens ungewöhnlich. Nicht einmal eine Woche sind seit dem blamablen Aus gegen die mittelmäßige Mannschaft aus Südkorea vergangen, da heißt es schon: Weiter so! Ist der DFB von dem miserablen Abschneiden in Russland so überrascht, dass niemand zu einer unangenehmen Analyse fähig ist? Hauptsache, der Jogi bleibt. Wer soll es auch sonst machen?

Es gibt sicher genug fähige Leute, die gerne Bundestrainer wären

Allein die Besetzung einer Stelle am Mangel an Alternativen festzumachen, ist aber ein schlechter Ratgeber. Es gibt sicher genug fähige Leute, die gerne Bundestrainer wären. Zur Not hätte man eine Übergangslösung bis Sommer 2019 gebraucht. Und muss man den DFB daran erinnern, dass der Verband schon zwei Mal diesen Fehler begangen hat? Sepp Herberger 1962 und Berti Vogts 1998 kamen mit Misserfolgen von einer WM zurück, wollten dennoch weitermachen und mussten nach quälenden Monaten mit Kritik und schlechter Stimmung dann doch gehen.

Die Verdienste von Joachim Löw sind unbestritten. Seit 2004 (zunächst zwei Jahre als Assistent von Jürgen Klinsmann) erreichten seine Mannschaften sechs Mal in Serie das Halbfinale eines großen Turniers. Er verordnete den Deutschen ein schönes und mutiges Spiel, auch die Außendarstellung war makellos. Der Sieg von Rio 2014 versetzte ihn in den Heiligenstand des deutschen Fußballs. Der macht ihn bis heute immun vor ernsthaften Angriffen. Öffentliche Gesuche, er möge doch lieber zurücktreten, kamen sehr sanft daher.

Doch geht das so einfach? Immer weiter machen? Ist in einem Hochleistungsbetrieb wie dem internationalen Fußball nicht irgendwann die Zeit gekommen, wo sich zu viel Gewohnheit einschleicht? Erfahrung ist viel wert. Aber es braucht auch Neugier, Spannung, Leidenschaft, Gier. Kann man das immer wieder aufbringen, wenn man vermeintlich alles erreicht und erlebt hat?

Diesmal jedenfalls nicht. Viel zu viele Warnsignale wurden als nicht so wichtig abgetan. Nach dem Motto: 'Wird schon werden, das haben wir immer hingekriegt'. Und nach Löws Motto, dass er seit Rio 2014 niemandem mehr etwas beweisen müsse und nur noch auf sich selbst höre.

Die Erdogan-Fotos von Mesut Özil und Ilkay Gündogan belasteten die WM-Mission dann eben doch. Die schwachen Testspiele waren eben kein Zufall. Nicht einmal das 0:1 gegen Mexiko wurde ernst genug genommen. Als Löw dann sagte, seine Mannschaft habe vor dem Turnier eine "gewisse Selbstherrlichkeit" erfasst, wusste man erst nicht, ob er sich da mit einschloss. Die Bilder vor dem zweiten Gruppenspiel auf einer Brücke in Sotschi, wo er mit Sonnenbrille an einer Laterne lehnte, sendeten jedenfalls nicht das Signal, da würde nun einer Tag und Nacht schuften, um den buchstäblichen Karren aus dem Dreck zu ziehen. Dazu das Murren, weil das Teamquartier Watutinki halt nicht am brasilianischen Meer lag. Bodenständig klingt anders.

Und die fußballfachlichen Fragen: Wieso kommen Leroy Sané und Ilkay Gündogan vom englischen Meister Manchester City bei ihm nicht klar? Wieso erklärt er Sami Khedira vor dem Turnier für unverzichtbar, und der entpuppt sich dann als einer der schwächsten? Wieso schaut er mehr als eine Halbzeit lang zu, wie seine Mannschaft von Mexiko taktisch überrannt wird? Wie kann es sein, dass die Spieler zum entscheidenden Gruppenspiel gegen Südkorea mit der Körperspannung eines Fotoshootings mit Sonnenbrille erscheinen?

Ein Teil des Publikums hatte immer Probleme mit Löws etwas jovialer, lässiger Art. Das Fußballvolk hängt bisweilen an den Grasfressern und Malochern, an Leuten mit Emotion und Kampfeslust. Aber solange die Ergebnisse stimmten, hielten die Kritiker still. Die WM in Russland hat Joachim Löws Nimbus des Unangreifbaren zerstört. Vielleicht verzeihen ihm die meisten dieses eine verkorkste Turnier, aber der Bonus ist weg.

Nun muss er von seinem Heiligenstand heruntersteigen und eine neue Nationalmannschaft basteln. Er trainiert gegen das Misstrauen an, seine Zeit sei eigentlich vorüber. Er muss sich wieder mit Kritikern und Andersdenkenden beschäftigen, um dem Eindruck vorzubeugen, er fühle sich immer noch immun. Und das wichtigste: Er muss relativ schnell gute Ergebnisse vorweisen. Es ehrt Joachim Löw zwar, dass er es noch einmal wissen will. Aber der Rucksack, den er auf diese Mission mitnimmt, ist groß und schwer.

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