Süddeutsche Zeitung

Bundesligastart:"In der Ultraszene ist vielen der Zusammenhalt wichtiger als der Erfolg ihrer Mannschaft"

Der Leiter der Koordinationsstelle für Fanprojekte im deutschen Fußball erklärt, warum Teile der Fans Kommerzialisierung verabscheuen und der Frust über die Montagsspiele zum Abbruch des Dialogs mit DFL und DFB geführt hat.

Interview von Matthias Schmid

Die Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) wurde 1993 eingerichtet, sie soll die Arbeit der Fußballfans sozialpädagogisch und inhaltlich begleiten und bei der Einrichtung weiterer Projekte mitwirken. Ihr Leiter Michael Gabriel erklärt im Interview die wachsende Entfremdung der deutschen Fankultur vom Profifußball und wie die Fanproteste dazu beigetragen haben, dass sich die Klubs nicht länger hinter Verbandsentscheidungen verstecken können.

SZ: Herr Gabriel, ein Zusammenschluss von Fangruppen hat den Dialog mit den Dachorganisationen im deutschen Fußball, DFL und DFB, in dieser Woche einseitig aufgekündigt. Bringen solche Gespräche überhaupt etwas oder sind sie nur Alibiveranstaltungen?

Michael Gabriel: Jede Form des Dialogs zwischen Fußballfans und den Verantwortlichen im Fußball ist wichtig. Um den aktuellen Gesprächsabbruch besser verstehen zu können, lohnt sich ein Blick auf die Hintergründe. DFB und DFL führen seit 2007 in unterschiedlicher Besetzung einen Dialog mit bundesweiten Fangruppen, ProFans, Unsere Kurve, das BAFF, Queer Football Fanclubs und F_in - Netzwerk Frauen im Fußball. Diese Gesprächsebenen haben die Fans zweimal frustriert verlassen, weil der Dialog aus ihrer Sicht alibihaft geführt wurde. Das hat einerseits zu einem massiven Vertrauensverlust auf Fanseite geführt, andererseits dazu beigetragen, dass in der vergangenen Saison massiver Protest, Stichwort Krieg dem DFB, durch diesen neuen Zusammenschluss in die Stadien getragen wurde. DFB und DFL führen nun aber den Dialog und ihre Fanarbeit auf allen Ebenen seit zwei Jahren deutlich ernsthafter und lösungsorientierter. Das war auch in diesen beiden Gesprächen zu spüren, an denen die Spitzen beider Häuser teilgenommen haben. Sie haben nicht nur zugehört, sondern die Bedürfnisse der Fans ernst genommen und versucht, manches auch umzusetzen.

Interview am Morgen

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Der DFB hat zum Beispiel die Kollektivbestrafung ausgesetzt und die Sportgerichtsbarkeit transparenter gestaltet, zudem hat die DFL die Fahnen und Banner in den Stadien freigegeben.

Die Aufstiegsregelung für die Regionalligen nicht zu vergessen. Der DFB ist da den Forderungen der Fans und auch der Vereine nachgekommen, dass der Meister direkt aufsteigen muss. Das ist ein großer Erfolg für die Fans. Die Verbände haben begonnen, sich mit den Themen ernsthaft auseinanderzusetzen.

Warum ist es dann jetzt zum Bruch gekommen?

Ein wichtiger Faktor dürfte die Einführung von Montagsspielen in dieser Saison in der dritten Liga sein. Obwohl der DFB und die Vereine sie planten, hatte man die bevorstehende Einführung bei den beiden Gesprächen nicht thematisiert. Das dürfte das sowieso schon vorhandene Misstrauen, das gerade geringer wurde, neu befeuert haben. Die Montagsspiele sind ein Thema, das die Fans emotional umtreibt und für sie eine enorme, auch symbolische, Bedeutung hat. Das konnte schon bei der Einführung 1993 in der zweiten Liga beobachtet werden, damals gab es jahrelang massive Proteste. Vergangene Saison kamen dann die Montagsspiele in der Bundesliga hinzu, nun in der dritten Liga, da ist dem Misstrauen neue Nahrung zugeführt worden. Könnte gut sein, dass das die erreichten Erfolge überlagert.

Die Fans haben neue Proteste angekündigt. Wird nun eine neue Eskalationsstufe erreicht?

Ich will darüber nur ungern spekulieren. Aber es ist davon auszugehen, dass die Proteste intensiver werden. Das konnte in der vergangenen Saison beim ersten Montagspiel in der Bundesliga zwischen Frankfurt und Leipzig beobachtet werden, wo die Proteste eine Störung des Fußballspiels bewusst in Kauf genommen haben. Damals hatte die Partie verspätet begonnen, weil sich Frankfurter Ultras im Innenraum befanden und Transparente entrollten, auch zahlreiche Tennisbälle waren vor der zweiten Hälfte dann auf dem Rasen gelandet. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass die Proteste bisher absolut gewaltfrei verliefen. Es geht den Fans um die Sache, im Prinzip um ihren Platz und ihre Bedeutung für den Fußball.

Es ist also dringend erforderlich, dass der Dialog fortgeführt wird?

Weitere von gegenseitigem Respekt geprägte Gespräche würden sicher helfen. Aber es ist auch nicht so, dass die nun nicht mehr stattfinden würden. Die Fans sind ja beispielsweise im ständigen Dialog mit ihren Bezugsvereinen. Und hier werden die Themen auch weiter angesprochen und zunehmend ernsthafter behandelt. Die Transparenz der Klubs gegenüber den Fans hat in den vergangenen Jahren schon zugenommen.

Müssten die Fans deshalb nicht eigentlich eher wütend auf ihre Vereine sein, die Montagsspielen zugestimmt haben?

Natürlich! Das ist ein wichtiger Aspekt. Die Klubs können sich im Prinzip nicht länger hinter den Verbandsentscheidungen verstecken, sondern müssen ihr Handeln und Tun auch im Hinblick auf die wachsende Kommerzialisierung sehr viel besser erklären. Die Fußballfans sind schließlich Fans der Klubs und nicht der DFL. Das tut der Debatte insgesamt gut. Auch das ist ein Effekt der Fanproteste und hat in den vergangenen Jahren zu einer größeren Offenheit geführt. Zu erkennen ist das auch in dem Konflikt um 50+1. Hier gibt es auf der einen Seite St. Paulis Geschäftsführer Andreas Rettig, der sich aus der sozialen Verantwortung der Vereine heraus gegen die Übernahme der Vereine durch Investoren ausspricht und auf der anderen Seite Hannovers Martin Kind, der dafür ist. Die übrigen Vereine müssen jetzt eine eigene Haltung dazu entwickeln und können sich nicht länger wegducken.

Ist der Hinweis auf die wachsende Kommerzialisierung von Fanseite in gewisser Weise nicht auch unehrlich, weil sie doch den Wunsch nach größtmöglichem Erfolg ihrer Klubs hegen?

Letzteres trifft meiner Beobachtung nach nicht mehr für alle Fraktionen der Fanszene zu, für einige steht der sportliche Erfolg nicht mehr an oberster Stelle. Manche haben zum Beispiel Bedenken aufzusteigen, weil damit eine steigende Kommerzialisierung befürchtet wird. In der Ultraszene geht es vor allem um eine Form des sozialen Zusammenhalts, der weit über den Fußball hinaus Bedeutung hat. Eine gut funktionierende Gruppe ist vielen wichtiger als der Erfolg ihrer Mannschaft. Diese Entwicklung der Fankultur ist ohne die wachsende Entfremdung des Profifußballs von seiner Basis nicht denkbar. Es gibt immer weniger Identifikationspotenziale bei den Vereinen. Welcher Fan verliert heutzutage noch sein Herz an einen Spieler, der nach der nächsten Transferperiode womöglich schon ein anderes Trikot trägt?

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