Bundesliga:Zwei Diven, zwei Meinungen

Die Trainer Roger Schmidt links Bayer 04 Leverkusen und Trainer Thomas Tuchel rechts Borussia; Tuchel

Die Trainer Roger Schmidt und Thomas Tuchel beim Spiel des BVB in Leverkusen.

(Foto: imago/Eibner)

Im Streit zwischen BVB-Trainer Thomas Tuchel und Leverkusens Coach Roger Schmidt geht es nur vordergründig um Fouls. Tuchel wurmt vor allem, dass Schmidt in vielen Dingen einfach recht hat.

Von Philipp Selldorf, Leverkusen

Im Allgemeinen ist Manuel Gräfe ein umgänglicher und souveräner Spielleiter, der sich nicht aus der Ruhe bringen lässt und auf Strafpredigten gut verzichten kann. Bei Kevin Kampl machte er nun aber aus gegebenem Anlass eine Ausnahme: Weil der Leverkusener Mittelfeldspieler partout nicht verstehen wollte, warum es jetzt diese Foulentscheidung gegen ihn gegeben hatte, sah sich Gräfe kurz vor der Halbzeitpause zur strammen Zurechtweisung genötigt. Seine Geste besagte: Letzte Warnung vor der roten Karte, Herr Kampl! Dieser, bereits mit Gelb verwarnt, moserte noch ein paar ärgerliche Worte in Richtung des Schiedsrichters, und dann lief das Spiel weiter. Erstaunlicherweise bis zum letzten Ballwechsel mit Kampls Beteiligung. Jubelnd riss er die Arme hoch, als Bayer Leverkusens 2:0-Sieg gegen Borussia Dortmund amtlich festgestellt war.

Dass Bayer-Trainer Roger Schmidt den eindeutig vorgemerkten Kampl nicht vom Platz nahm, um ihn vor dem Rauswurf zu bewahren, das war einerseits ziemlich mutig und lag andererseits in der Logik seiner Wahrnehmung. Warum sollte er? Kampl nahm exakt so energisch und energetisch am Spiel teil, wie es ihm Schmidt aufgetragen hatte, er würde sich schon zu beherrschen wissen. Am Ende der Partie hatte der Mittelfeldspieler und berufsmäßige Dauerläufer 12,27 Kilometer zurückgelegt und drei Fouls begangen, nicht mehr als seine Nebenleute Charles Aranguiz und Hakan Calhanoglu. Dass auf der Basis dieser Allerweltsdaten eine nationale Debatte über die Unkultur von Regelwidrigkeiten entstehen könnte, das ahnte keiner der Beteiligten, weder die Gewinner noch die Verlierer.

Urheber dieser Debatte, so viel steht fest, ist der Dortmunder Trainer Thomas Tuchel. Dieser hatte die Daten des Abends bereits parat, als er kaum nach dem Schlusspfiff das erste Fernseh-Interview gab. Er war sogar so gut präpariert, dass er auch die Foul-Statistik der vorigen Partien präsentieren konnte, als er auf die Leverkusener Zweikampfhärte zu sprechen kam: "Wir hatten wieder einmal 21 Fouls gegen uns, gegen Mainz hatten wir 20 Fouls gegen uns, gegen Freiburg 27." Das sollte wohl so klingen, als ob sich kriminelle Sitten etablierten.

Dieses kleine Zahlenwerk bildete die Vorgeschichte des Streits, den Tuchel und Schmidt anschließend in der Pressekonferenz austrugen. Ob es aber auch die wahre Ursache der durchaus knisternden Auseinandersetzung war? Roger Schmidt hob hervor, dass Bayer ein Spiel gewonnen habe, das im Rahmen des Üblichen jederzeit fair geblieben sei: "Ich habe kein einziges schlimmes Foul gesehen." Mit dieser Gegenmeinung wäre Tuchel vermutlich gerade noch klargekommen, doch was ihn offenbar wirklich ärgerte, das war Schmidts Analyse des Spielverlaufs, die mit wenigen Worten diese Botschaft verkündete: Wir waren besser und überlegen und hatten den schlaueren Plan. Dieses Kompliment von Schmidt an Schmidt, vorgetragen in der ihm eigenen kühlen, selbstgewissen und provokanten Art, traf Tuchel in der Trainer-Ehre.

Wenn sich auch die Diskussion der beiden an der Foul-Statistik entzündete, so ging es im Kern doch darum, dass da der eine Groß-Coach dem anderen Groß-Coach kein Zugeständnis machen wollte. Vordergründig hätte man es für ein Fachgespräch halten können, als Tuchel intervenierte: "Ich habe kein dominantes Spiel der Leverkusener gesehen mit 35 Prozent Ballbesitz und 21 Fouls", worauf Schmidt erwiderte: "Ballbesitz ist nicht Dominanz, das hat man heute sehr gut gesehen." Tatsächlich lagen sich in diesem Moment zwei Diven in den Haaren.

Es handelte sich um systematische Zweikampfhärte, nicht um systematisches Treten

Forschungen haben übers Wochenende ergeben, dass Tuchel ein schlechter Verlierer sein soll. Das ist aber eine Erkenntnis, die wahrscheinlich seit seinem Geburtstag in Krumbach am 29. August 1973 feststeht, und die ihm zweitens niemand ernsthaft zum Vorwurf machen möchte. Verdächtig sind nicht die Trainer, die an der Niederlage leiden, sondern diejenigen, die leichten Herzens verlieren. Als er Schmidt jetzt über die Hintergründe seines Erfolges reden hörte, hat Tuchel selbstredend gewusst, dass der Kollege richtig lag - was die Sache ja umso schlimmer machte.

Marcel Schmelzer findet das Problem bei der eigenen Elf

Bayer hatte seltener den Ball, bestimmte aber das Spielgeschehen. Dank der frühen Führung (Mehmedi, 10. Minute) durften sich die Hausherren konzertiert in die Deckung zurückziehen und den Gästen die Mühe der Spielgestaltung überlassen. Elemente ihrer gewohnten Vorwärtsverteidigung behielten die Leverkusener aber bei, etwa indem sie Julian Weigl konsequent in wechselnder Manndeckung abschirmten. Dadurch erschwerten sie dem BVB den Spielaufbau und steigerten die Hektik und die Unruhe im Dortmunder Spielfluss.

Ein paar wohldosierte Fouls taten das Übrige. Gräfe verteilte fünf gelbe Karten an die Leverkusener, keine zu viel und keine zu wenig. Es handelte sich um systematische Zweikampfhärte, nicht um systematisches Treten. Was auch die Dortmunder Spieler bestätigten. Bezeichnend, dass Marcel Schmelzer das Problem bei der eigenen Elf lokalisierte: "Wir müssen uns besser darauf vorbereiten. Bereits nach der Niederlage in Leipzig habe ich gesagt, dass wir nicht unser Spiel einstellen dürfen, nur weil der Gegner uns aggressiv angeht." In Leverkusen sah der BVB ein wenig unreif und - bei aller Leidenschaft - planlos aus.

Tuchels Klagen über die gegnerische Härte drückte außer dem Schmerz über die unzweideutige Niederlage auch das Bemühen aus, das Bewusstsein für ein spezifisches Problem des BVB zu schaffen.

Dass die Statistik nach sechs Spieltagen (114 Fouls an Borussen, 46 von Borussen) keiner Kampagne entstammt, sondern geradewegs eine Folge des längst berüchtigten Dortmunder Tempo- und Kombinationsfußballs ist, das dürfte dem Alleswisser Tuchel klar sein. Ein Fummelkünstler wie Emre Mor und Hochgeschwindigkeitsathleten wie Ousmane Dembélé, Pierre-Emerick Aubameyang und André Schürrle sind naturgemäß besonders gefährdet, aus dem Rhythmus gebracht zu werden.

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