Ralph Hasenhüttl:Die Kunst der Publikumsbeschimpfung

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Mag's lieber laut: Wolfsburgs Trainer Ralph Hasenhüttl. (Foto: Swen Pförtner/dpa)

Ist es ihm nur zu leise in Wolfsburg – oder bezieht sich der Österreicher Ralph Hasenhüttl mit seinem Vorwurf an die eigenen Zuschauer auf bedeutende literarische Werke? Versuch einer Deutung.

Glosse von Felix Haselsteiner

Es gehört zu den unterschätzten Versäumnissen der Weltliteratur, dass die Stadt Wolfsburg niemals von Thomas Bernhard beschimpft wurde. Unzählige Orte auf der ganzen Welt hat der österreichische Literat in seinen Werken negierend kommentiert, auch mit der deutschen Landschaft hat sich Bernhard befasst („Man geht nicht ungestraft nach Trier / man geht nach Trier und macht sich lächerlich“). Allerdings eben leider nicht mit Wolfsburg, einem Ort, der auch ohne Bernhards Zutun regelmäßig zum Ziel von Spott wird – an diesem Wochenende nun aber aus ungewöhnlicher Richtung.

Ralph Hasenhüttl, 57, ist wie Thomas Bernhard Österreicher, aber kein Literat, sondern ausgewiesener Fußballtrainer. Man muss dieser Berufsgruppe grundsätzlich unterstützend zur Seite stehen, denn Fußballtrainer tragen das Bernhard’sche Erbe der emotionalen Beschimpfung mit wehender Fahne weiter. Sie beschimpfen häufig Schiedsrichter, manchmal andere Fußballtrainer, gelegentlich auch Spieler des Gegners, ferner Journalisten. Seltener werden eigene Spieler gezielt attackiert, es braucht dazu schon besonders erzürnte Charaktere im Eifer des Gefechts, wie zuletzt den Trainer von Greuther Fürth, Alexander Zorniger, um diesen Schritt zu wählen. Man entschuldigt sich in solchen Fällen besser umgehend, und hier unterscheidet sich der Fußballtrainer vom Literaten: Eine Entschuldigung von Thomas Bernhard ist nicht überliefert.

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Praktisch niemals aber wird von einem Trainer das eigene Publikum beschimpft, auch nicht in Wolfsburg. Die Stadionbesucher, die sich alle zwei Wochen den Mittellandkanal entlang schieben, um nach dem klischeehaften Verzehr ihrer Volkswagen-Werks-Currywurst einer Bundesligamannschaft dabei zuzusehen, wie diese seit geraumer Zeit trotz erheblicher finanzieller Möglichkeiten sehnsüchtig und vergeblich danach strebt, dem Mittelbau der Bundesligatabelle zu entkommen, akzeptieren dieses Bemühen mit Gleichgültigkeit. Wer nach Wolfsburg kommt, weiß darum auch, was er bekommt: eine überdurchschnittliche Wurst in einer unterdurchschnittlichen Fußballatmosphäre.

Man konnte Ralph Hasenhüttl deshalb paradoxerweise gleichzeitig völlig recht geben und den Kopf über ihn schütteln, als er nun am Sonntagabend nach dem 2:3 gegen den FC Bayern im Fernsehen sagte: „Als wir das Spiel drehen, war mal kurz Stimmung – und nach dem zweiten Tor ist wieder Friedhof.“ Wäre man spöttisch, könnte man anmerken, dass Hasenhüttl bei dieser kritischen Beurteilung der eigenen Kundschaft nach seinen Trainerstationen in Ingolstadt und Leipzig immerhin auf Erfahrungswerte bei ähnlichen Nicht-Traditionsklubs zurückgreifen kann.

Jetzt muss Hasenhüttl den Standort Wolfsburg moderieren, wo, wenn überhaupt, nur fußballerische Brillanz zu einem Ansatz von Stimmung führen kann. An dieser Stelle ist dann aber doch kurz das Wolfsburger Publikum zu verteidigen. Denn im Oeuvre Hasenhüttls und seiner Mannschaft ist davon bisher wenig zu sehen. Bisweilen wirkt es gar, als bezöge sich der österreichische Trainer auf einen weiteren Urvater der Beschimpfung, auf seinen Landsmann Peter Handke, dessen prägendes Stück „Publikumsbeschimpfung“ eingeleitet wird mit den Worten: „Sie werden kein Schauspiel sehen. Ihre Schaulust wird nicht befriedigt werden. Sie werden kein Spiel sehen. Hier wird nicht gespielt werden.“

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