Süddeutsche Zeitung

Bundesliga: Wolfsburg - Bayern:Gefühlschaos in Niedersachsen

Das unnötige 1:1 raubt dem FC Bayern weitere Zuversicht im Titelkampf, doch das Spiel hält auch überraschend gute Neuigkeiten bereit. Wäre da nicht die große Sorge um einen kleinen Franzosen.

Carsten Eberts, Wolfsburg

Zwei, wenn nicht sogar drei andere Lösungsmöglichkeiten hätte Bastian Schweinsteiger gehabt. Er hätte den Ball in der 87. Spielminute wegdreschen können, nach vorne, ungalant und effektiv. Auch hätte er Marcel Schäfer vehementer abdrängen können, sogar einfach nur zur Ecke klären, er hätte das Ausgleichstor wohl verhindert. Alles wäre besser gewesen als das, was Schweinsteiger tat.

Wie es sonst gar nicht seine Art ist, ließ sich der 84-fache Nationalspieler auf ein unnötiges Scharmützel ein. Schweinsteiger versuchte Schäfer listig auszuspielen, als letzter Mann auf einer verwaisten rechten Abwehrseite der Bayern. Sein Versuch misslang. Es war Schäfer, der Schweinsteiger zu übertölpeln wusste, den Ball zielgenau in die Mitte passte, wo Sascha Riether locker zum 1:1-Endstand einschob.

Schweinsteiger sagte an diesem Abend nichts mehr. Es war die seltene Fehlentscheidung eines sonst so zuverlässigen Mannes, allein deshalb ist Schweinsteiger dieser Fauxpas zu verzeihen. Der sicher geglaubte Sieg war in dieser Sekunde jedoch weg. "Basti weiß, dass Fußball ein Tagesgeschäft ist", sagte Thomas Müller: "Wenn er demnächst wieder ein gutes Spiel macht, ist er wieder der König."

Sein Trainer Louis van Gaal sagte: "Wir haben viel besser gespielt als zuletzt, aber es reicht eben nicht, wenn wir am Ende so einen Fehler machen." Der Rückstand auf Tabellenführer Dortmund ist durch das Unentschieden auf nunmehr 16 Punkte angewachsen. Es geht fortan um Platz zwei in der Bundesliga-Tabelle.

Es war ein Spiel der Extreme, der vielen, kleinen Geschichten - mit zwei verschossenen Elfmetern, vier Aluminiumtreffern und einem fulminanten Torwart-Debüt. Eine Partie, die mehrfach in diese und jene Richtung hätte kippen können. Kurios bereits das 1:0 von Thomas Müller nach fünf Minuten: Wolfsburgs Torhüter Benaglio wollte den Ball klären, traf mit dem Spielgerät jedoch Müllers Schienbein. Aus rund 20 Metern kullerte der Ball ins Tor. "Ich habe dem Ball ein bisschen Schnitt mitgegeben", witzelte Müller, was heißen sollte: Ich konnte nichts dafür. Aber ich stand goldrichtig.

Die zweite Geschichte war die von Thomas Kraft - dem jungen Torhüter, den van Gaal in einem politischen Alleingang überraschend zur Nummer eins bestimmt hatte. Kraft machte der heraufbeschworene Druck offensichtlich nichts aus, er zeigte fulminante Paraden wie gegen Mario Mandsukic, hielt sogar einen Elfmeter. Nach einem Foul von Holger Badstuber an Ashkan Dejagah trat Grafite zum Strafstoß an - im Flug ließ Kraft seine Faust nach oben schnellen und lenkte den Ball an die Latte.

Beim späten Ausgleich war jedoch auch Kraft machtlos. Nach dem Spiel gab sich der 22-Jährige erwartbar bescheiden. "Ich wusste ja ungefähr, wie Grafite schießt", erzählte er, betonte aber auch, dass er sich nach dem Unentschieden kaum über seinen gelungenen Einstand als Nummer eins freuen könne. Seine Mitspieler taten sich mit Lob leichter. "Das war sehr, sehr gut", sagte Philipp Lahm, der selbst mit einem Elfmeter den Wolfsburger Innenpfosten traf und damit das frühe 2:0 vergab. Von den letzten zehn Strafstößen haben die Münchner nunmehr sechs verschossen. Noch so eine Geschichte.

Die traurigste Episode des Abends gehörte jedoch Franck Ribéry. Ganze 23 Minuten stand er auf dem Platz, als eine Attacke von Josué auf dem Fuß des Franzosen endete. Ribéry verdrehte sich das Knie, musste unter Tränen vom Platz. Ein Bänderriss im Sprunggelenk wurde zunächst vermutet, später war von einer schwereren Knieverletzung die Rede. Am Sonntag folgte die Entwarnung: Ribéry habe sich eine "Zerrung im Kapselbandapparat" des linken Knies zugezogen, teilte der Verein mit. Das bedeutet fünf Tage Pause, voraussichtlich muss der Franzose auf die Partie gegen Kaiserslautern verzichten.

Für Ribéry kam Arjen Robben in die Partie - und auch der trägt eine bewegte Geschichte mit sich herum. Seit der WM in Südafrika, von der Robben mit einem Loch im Oberschenkelmuskel wiederkehrte, hatte der Niederländer kein Bundesligaspiel mehr bestritten. Der Fall spielte sich auf bis zu einem medizinischen Kompetenzstreit zwischen dem FC Bayern und dem niederländischen Verband, in dem es nun um die Zahlung einer Entschädigungssumme geht.

Eigentlich sollte Robben frühestens zur zweiten Halbzeit ins Spiel kommen, vielleicht gar erst nach 60 Minuten. Doch Ribérys Verletzung erzwang besondere Maßnahmen. "Ich war nicht glücklich mit der Einwechslung", erzählte Robben später. Nur zwei Minuten blieben ihm zum Warmmachen, nach sechs Monaten Pause, im Spiel fremdelte Robben anfangs bedenklich. "Ich habe die erste Halbzeit nur zum Aufwärmen genutzt", sagte Robben entschuldigend. Er traute sich nicht, wollte nichts überstürzen, brauchte eine halbe Stunde Zeit.

In der zweiten Hälfte sah Wolfsburg einen anderen Arjen Robben. Der Niederländer sprintete beinahe wie früher, zog einmal aus 25 Metern ab - er startete sogar einen jener Sololäufe, die stets am rechten Strafraumeck beginnen und mit einem Linksschuss aus zentraler Position enden. Jedem, der es hören wollte, berichtete Robben anschließend von seiner Erleichterung. "Vielleicht bin ich gerade der glücklichste Spieler der Bundesliga", sagte er, "auch wenn wir heute nicht gewonnen haben."

Er werde sogar demnächst die Elfmeter schießen, so sei es mit van Gaal besprochen. Ein anderes, traurigeres Thema ließ ihn jedoch schnell wieder verstummen. "Das tut weh, das ist schlimm und sehr enttäuschend", sagte Robben noch kurz bevor er ging. Gemeint war die Verletzung von Franck Ribéry.

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