Bundesliga:"Wir haben die Liga wieder spannend gemacht"

Borussia Dortmund - RB Leipzig

Leipziger Freudentänzchen: Yussuf Poulsen und Bruma (rechts) bejubeln das 1:2 gegen Dortmund.

(Foto: Ina Fassbender/dpa)

Von Ulrich Hartmann, Dortmund

Wer den Fußballern von RB Leipzig Rückbesinnung und traditionelle Werte abspricht, der hat das Primetime-Spektakel am Samstagabend in Dortmund nicht gesehen. Die Sachsen zelebrierten beim 3:2-Sieg zukunftsweisenden Fußball - mit Jagdstrategien aus der Kreidezeit.

Aus Jurassic Park-Filmen wissen Paläontologen, dass aggressive Dinosaurier namens Velociraptor ("schneller Räuber") vor 100 Millionen Jahren gern zu dritt angegriffen haben. Ziemlich genauso machten das die Leipziger Yussuf Poulsen, Jean-Kévin Augustin und Diego Demme in der entscheidenden Szene dieses bisher besten Bundesligaspiels der Saison. Zwei Minuten nach der Pause stürmten sie im Mittelfeld von drei Seiten wie Raptoren auf den ballführenden Dortmunder Julian Weigl zu.

Poulsen raubte dem Bedrängten den Ball und schickte damit augenblicklich Augustin in den Strafraum, wo dieser von BVB-Abwehrspieler Sokratis per Foul gestoppt wurde. Sokratis sah Rot, den fälligen Elfmeter verwandelte Augustin zur vorentscheidenden 3:1-Führung; Endstand: 3:2. "Wir haben die Dortmunder immer wieder in gewisse Räume gelockt", dozierte später überschwänglich RB-Trainer Ralph Hasenhüttl über seine Pläne zur Balleroberung. Das Fallenstellen als Fußballstrategie - besser als Leipzig in dieser 47. Minute kann man es kaum machen.

Und was hat der Fußball des Tabellenführers Dortmund mit dem menschlichen Erbgut gemeinsam? Beides wurde sukzessive entschlüsselt. Der Niederländer Peter Bosz hat dem BVB seit Sommer ein aggressives Risikospiel verordnet, das zu einem 3:0 in Hamburg, einem 5:0 gegen Köln und einem 6:1 gegen Gladbach führte, das aber in bedeutenden Spielen wie in Tottenham, gegen Real Madrid und nun gegen Leipzig scheiterte, weil den Spielern sowohl der Mut als auch die erforderliche Präzision abgingen. "Wir haben viel zu oft zurück zum Torwart gespielt", jammerte Trainer Bosz am Samstagabend. Statt mutig vorne den freien Mann in der noch so kleinen Lücke zu suchen, banden die BVB-Abwehrspieler den stets anspielbaren Torwart Roman Bürki hilflos in ihre Ballrotation ein.

"Das war nicht gut von Dortmund", sagte nach dem Spiel ein Experte vor der Fernsehkamera, und das klang deshalb so seltsam distanziert, weil es sich bei diesem Experten um Bosz handelte. Er sagte nicht "von uns" oder "von meiner Mannschaft" - er sagte "von Dortmund". Das ist ein feiner Unterschied: Er stellte nicht sein Konzept infrage, sondern die Umsetzung.

Dortmund und Leipzig kämpfen in der Champions League schon ums Überleben

Es wird jetzt langsam eng für den zuvor so souveränen BVB, und das nicht wegen der aufholenden Münchner und Leipziger, und auch nicht wegen der ersten Bundesliga-Heimniederlage seit zweieinhalb Jahren. Am Dienstag müssen sie auf Zypern bei Apoel Nikosia gewinnen, sonst können sie sich das Champions-League-Achtelfinale schon abschminken. Nikosia ist natürlich eine lösbare Aufgabe, wie man im Fußball sagt, allerdings sind die Dortmunder Probleme auf den defensiven Außenbahnen eklatant: Lukasz Piszczek, Marcel Schmelzer, Erik Durm und Raphael Guerreiro sind verletzt - und Zugang Jeremy Toljan aus Hoffenheim steht neben sich.

Beim 2:3 gegen Leipzig hat Toljan die ersten beiden Gegentreffer nahezu tatenlos subventioniert. Zur Pause wurde er ausgewechselt, weshalb er am 1:3 in der 49. Minute nachweislich schuldlos war. Drei Gegentreffer in den ersten 49 Minuten hatte der BVB in der Liga zuletzt vor 20 Jahren gegen 1860 München zugelassen.

Ausgerechnet jene beiden Mannschaften, die sich das beste und spektakulärste Spiel dieser Saison geliefert haben, kämpfen in der Champions League schon früh ums Überleben. Das kratzt am Image des Fußballs "made in Germany". Denn auch Leipzig muss am Dienstag daheim gegen Porto unbedingt gewinnen. Den Sieg in Dortmund feierten sie deshalb ebenso als Initialisierung wie als leise Hoffnung darauf, über fußballerische Anerkennung vielleicht doch eines Tages auch von den Klubgegnern respektiert zu werden.

Sogar Aubameyangs Treffer verblassen gegenüber der Leipziger Wucht

Als "Schande der Liga" waren die Leipziger von polemischen BVB-Ultras auf einem Banner mal wieder diskreditiert worden. Doch in ihren stolzen Kommentaren nach dem Triumph stellten sie die Frage, ob man nicht wenigstens ein bisschen Anerkennung dafür verdiene, den Unterhaltungswert der Branche zu erhöhen. "Wir haben die Liga wieder spannend gemacht", verkündete Hasenhüttl über die tabellarische Konstellation in der Spitze. Die Vorfreude auf die bevorstehenden Topspiele zwischen München und Leipzig (28. Oktober) sowie Dortmund und München (4. November) haben sie gewiss erhöht. Darf man RB daher wirklich böse sein?

Unter fußballerischen Gesichtspunkten gewiss nicht. Hinter dem Offensivspektakel der Leipziger Zugänge Bruma und Augustin verblasste sogar BVB-Torjäger Pierre-Emerick Aubameyang trotz zweier Treffer. Hasenhüttl wäre vor Stolz fast explodiert. Er hatte Emil Forsberg und Timo Werner, seine beiden besten Angreifer, auf der Bank belassen, weil sie wegen Länderspielabsenz (Forsberg) und muskulärer Problemen (Werner) unter der Woche nicht in der Lage gewesen waren, die Tagestaktik samt Fallen mit einzustudieren. "Dazu haben wir Spieler gebraucht, die die Abläufe im Training verinnerlichen konnten", erklärte Hasenhüttl, "wie sie den Matchplan umgesetzt haben, das war sensationell."

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