Bundesliga:Wie Leipzig 34 Millionen Euro einwechselt und gewinnt

10 09 2016 Fussball GER 1 Bundesliga Saison 2016 2017 2 Spieltag RB Leipzig Borussia Dortmu; Leipzig

Spätes Glück für RB-Trainer Ralph Hasenhüttl, der Vorlagengeber Burke und den Torschützen Keita in den letzten Minuten einwechselt.

(Foto: imago)

Im ersten Heimspiel seiner Bundesligageschichte bezwingt RB Leipzig den BVB mit 1:0. Der Sieg ist ein Signal an die Konkurrenz, die den Aufsteiger durchaus fürchten sollte.

Von Sebastian Fischer, Leipzig

Manchmal können Ohrenschmerzen ein Kompliment sein. Es war gerade die Halbzeitpause zu Ende in der Leipziger Arena am Samstagabend, eigentlich sollte jetzt das Spiel zwischen RB Leipzig und Borussia Dortmund weitergehen, doch das ging nicht - die Gäste fehlten. Die Leipziger Fußballer, sie warteten achselzuckend vor dem Kabinengang. Kommt doch! Das schienen sie rufen zu wollen. Und die Zuschauer im Stadion machten, was Fußballfans der Heimmannschaft in solchen Momenten eben machen: Sie pfiffen, dass die Ohren dröhnten. Nur war das in diesem Fall etwas Besonderes.

22 Jahre lang hatte kein Fußballfan in Leipzig ein Bundesligaspiel sehen dürfen, seit dem Abstieg des VfB Leipzig im Jahr 1994. Und es wurde allenthalben ja immer noch mit ein wenig Skepsis beäugt, als es am Samstag so weit war und RB Leipzig das erste Erstliga-Heimspiel seiner jungen Vereinsgeschichte bestritt: Sind das in Leipzig richtige Fußballfans?

Am späten Samstagabend war nicht nur Gewissheit, dass diese Skepsis Kokolores ist. Es war noch mehr Gewissheit. Und zwar, dass sich die Republik durchaus zu Recht ein wenig gruselt und fürchtet vor dem ungewöhnlichsten, potentesten Aufsteiger der Bundesligageschichte. 44 Minuten nach dem Pfeifkonzert in der Halbzeitpause (die Dortmunder kamen dann doch noch), ging ein Schrei durch Leipzig, er war noch etwas lauter: Naby Keita hatte in der 89. Minute das Tor zum 1:0 (0:0)-Endstand geschossen. Von einer "Explosion", sprach Keitas Kollege Diego Demme hinterher; eine, die man in ganz Deutschland registriert hat.

Drei Einwechselspieler im Wert von 30 Millionen Euro bringen die Wende

Nein, sagte der Dortmunder Trainer Thomas Tuchel, "Angst habe ich keine" vor RB Leipzig. Doch er sprach von "ambitionierten Zielen" in Leipzig. Und neben ihm saß sein Kollege Ralph Hasenhüttl, er fächerte sich mit einem Klemmbrett den Schweiß eines harten Arbeitsabends von der Stirn. Aus seinem Blick sprach nichts, was Tuchel hätte widersprechen wollen.

Hasenhüttl hatte bei seinem Heimdebüt Spieler im Transferwert von zusammengerechnet mehr als 50 Millionen Euro auf der Bank sitzen gelassen, darunter auch die jüngste Neuerwerbung von Nottingham Forest, den Schotten Oliver Burke, über den ansonsten in seinen ersten Wochen ziemlich furchteinflößende Details bekannt wurden. "Er hat im Training mal eben mit 39-Kilo-Hanteln jongliert", sagte Sportdirektor Ralf Rangnick über den Angreifer.

Burke, 15 Millionen Euro teuer, kam in der 69. Minute. Der Schwede Emil Forsberg, vor zwei Jahren fast vier Millionen Euro teuer, kam schon fünf Minuten zuvor. Und Keita, für 15 Millionen Euro in diesem Sommer von RB Salzburg gekommen, kam in der 84. Minute für Kapitän Dominik Kaiser. "Wir können Qualität nachlegen", sagte Hasenhüttl.

In der 89. Minute spielte Forsberg einen Ball in die Tiefe zu Burke, der passte ihn in die Mitte, dort schoss ihn Keita, unbeachtet von Sebastian Rode, unhaltbar ins Netz. Hasenhüttl, alle Spieler, alle Auswechselspieler, sie rannten zur Eckfahne und begruben Keita. Das Stadion stand, trotzig, und niemand setzte sich bis nach dem Schlusspfiff mehr hin.

Mario Götze spielt gut, doch das reicht nicht

Kommt doch! Das war die Taktik der Leipziger in den vergangenen Wochen gewesen, kein blutender, abgetrennter Bullenkopf auf dem Rasen im Derby gegen Dynamo Dresden, kein Streit um gemeinsame Fan-Schals mit Borussia Dortmund schien sie zu beeindrucken. Kommt doch! Das war auch die Taktik auf dem Rasen am Samstag. Groteske 25 Prozent Ballbesitz hatten die Leipziger zwischenzeitlich, Dortmund hatte gar keine andere Wahl, als das Spiel zu machen, aber ihnen gelang dabei zu wenig. "Sie konnten nur mit Risiko in die Zone spielen", so erklärte es der Leipziger Demme: Leipzigs Plan ging auf.

Beim BVB spielte erstmals Mario Götze im zentralen Mittelfeld, beim BVB wirbelte wie zuletzt André Schürrle über die linke Seite. Götze spielte gut, tanzte hier und da mit dem Ball. Schürrle war gefährlich. Die Fehler passierten weiter hinten. Tuchel sprach hinterher von zu vielen "unforced errors" im Spielaufbau, ungezwungenen Fehlern. Hasenhüttl schaute irritiert und fächerte sich noch ein wenig hektischer den Schweiß von der Stirn, Tuchel korrigierte sich: Na gut, so ungezwungen waren die Fehler dann doch nicht. RB Leipzig hatte sie nämlich erzwungen.

Auch die Grenzen der Leipziger Schaffenskraft waren am Samstag zu erkennen, lange sorgte einzig der frühere Stuttgarter Timo Werner für Entlastung, wenn ihn die unpräzise gespielten Diagonalpässe auf dem linken Flügel erreichten. Doch auch die mangelnde Präzision habe zum Plan gehört, behauptete Hasenhüttl jedenfalls später: Sie sei die logische Konsequenz der großen Laufleistung gewesen. 115 Kilometer liefen die Leipziger, fünf mehr als Dortmund. In der Schlussphase schienen die Dortmunder zu stehen.

"Wir singen/und tanzen/auf jedem Fußballplatz/Ein Schuss/ein Tor/für Leipzig." Das singen die Fans von RB, sie sangen es am Samstagabend laut, es ist das Lied der Fans des FC Bayern. Ist das jetzt etwa schon die Dimension, in der sich die Leipziger bewegen? Nein, sagte Verteidiger Lukas Klostermann, "ich denke, dass wir das schon sehr gut einschätzen können, wir lassen uns in keine Rolle zwängen".

Ralf Rangnick übrigens, der Sportdirektor, der ja für alles in Leipzig verantwortlich ist, stand vergnügt in den Katakomben des Stadions. Und er sagte, nach einem Sieg gegen den Bundesliga-Zweiten, dass "wir auf diesem Weg weitergehen müssen". Er hätte es auch einfach noch mal rufen können: Kommt doch!

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