Süddeutsche Zeitung

Bundesliga:Werders Klassenerhalt gehört dem Publikum

Die Rettung in fast allerletzter Sekunde verdankt Werder Bremen der puren Leidenschaft seiner Fans.

Kommentar von Ralf Wiegand

Es wird oft darüber gestritten, wofür man, bitteschön, dieses Fußball überhaupt braucht. Gerade in Bremen gibt es eine Debatte darüber, ob eine Stadt, die kein Geld hat, dafür bezahlen soll, dass ihre Polizei eine Veranstaltung aus dem Hochpreis-Unterhaltungssegment schützen muss.

Auch die Partie des SV Werder Bremen gegen Eintracht Frankfurt: behelmte Beamte an jeder Kreuzung, berittene Kollegen vor dem Stadion, Blaulicht und Sirenen in jedem Straßenzug. Und das nur, weil zwei Vereine so schlecht gewirtschaftet haben, dass sie am letzten von 34 Spieltagen nicht sicher sein konnten, ob sie in der nächsten Saison in der ersten oder zweiten Liga spielen müssen. So was treibt die Dinge auf die Spitze, sportlich auf dem Platz, emotional daneben.

Der Profifußball, heißt es dann, ist doch eine Parallelwelt, versteckt im Privatfernsehen, informell abgesichert durch streng kontrollierten Zugang zu den Protagonisten, kaum jemand kann hier ein Wort sagen, das nicht irgendein Vereinsoffizieller freigeben muss. Das Geschäft machen die Vereine, den Stress mit verstopften Innenstädten, vollgepinkelten Vorgärten, prügelnden Hooligans - das hat die Öffentlichkeit.

Grün-Weiße Wunderwand aus purer Leidenschaft

Das ist die eine Sicht der Dinge. Die andere ist die, dass es nichts, tatsächlich nichts gibt, was ein ähnliches Gemeinschaftsgefühl zwischen Menschen herstellen kann, die sonst nichts miteinander zu tun haben, wie Fußball. Was zwischen dem SV Werder und der Stadt Bremen in den letzten Wochen passiert ist, könnte sogar stilbildend sein, es ist vielleicht der erste Klassenerhalt der Bundesliga-Geschichte, der auf den Tribünen errungen wurde - und nicht auf dem Rasen. Es ist eben kein Paralleluniversum, in dem sich die Millionäre in kurzen Hosen aufhalten. In Bremen haben die Fußballer bei den letzten drei Heimspielen - die sie allesamt gewinnen mussten, um die erste Liga zu sichern - von einer einmaligen Atmosphäre profitiert.

Sie haben spüren dürfen oder müssen, je nach dem Grad der Abgehobenheit, dass sie eben nicht nur für sich oder ihr Konto, ihren aktuellen Arbeitgeber oder den nächsten Verein spielen, der sie im Falle des Abstiegs übernehmen würde. Die Bremer Fans und auch die anderen, sonst eher distanzierten Gelegenheits-Ergebnis-Verfolger, haben aus purer Leidenschaft eine grün-weiße Wunderwand gebaut, die #greenwhitewonderwall, und den Verein und jeden Spieler damit sehr tief ins eigene Seelenleben hineingezogen. Es mag pathetisch klingen, aber das überstandene Herzschlag-Finale des letzten Spieltages, die Rettung in fast allerletzter Sekunde, das 1:0 gegen Eintracht Frankfurt, gehört größtenteils diesem Bremer Publikum. Ist so.

Werder Bremen hatte von 14 gewöhnlichen Heimspielen dieser Saison gerade mal eines gewonnen. Große Geduld trug die Zuschauer von einer Enttäuschung zur nächsten, und immer wieder waren sie zwei Wochen später wieder im Weserstadion.

Als es aber nicht mehr wegzuleugnen war, dass es diesmal für den zweitbesten Klub der Bundesliga-Geschichte ums Überleben gehen würde, als die Bremer zu spüren begannen, wie sich womöglich die Erzfeinde aus Hamburg in den letzten beiden Jahren gefühlt haben dürften, da schalteten sie um auf alles oder nichts: "Greenwhitewonderwall" , "Mors hoch", "ThisisOsterdeich", das letzte Motto angelehnt an das Spalier aus Menschen, das den Mannschaftsbus nun stets an der letzten Zufahrtsstraße vor dem Stadion empfing: die ganze Stadt schloss sich den Choreographien an, die sich die leidenschaftlichsten unter den Fans ausgedacht hatten. Brücken, Hochhausfassaden, Pizzabeläge - alles war grün-weiß verziert. Ihr aller Lohn: drei Siege ihrer Mannschaft in den drei letzten Heimspielen.

Mehr als nur Soundkulisse für Sky

In Bremen dürfte die Distanz zwischen dem Profifußball und dem Publikum wieder etwas kleiner geworden sein. Es war eine hansestädtische Variante des Sommermärchens, das Deutschland 2006 erlebte, eine auch in der Stadt identitätsstiftende Zeit des gemeinsamen Weges. So etwas ist selten geworden im Fußball. Im Fußball fühlen sich Fans bisweilen wie Wähler in der Politik: Es ist egal, was sie wollen, gemacht wird etwas anders. Die Bremer haben nun erfahren, dass sie mehr sind als die Sound-Kulisse für die Sky-Übertragung. Sie haben etwas bewirkt.

Andersherum ist die Bremer Vereinsführung nun besonders in der Pflicht, trotz ergebnis-geschuldeter Euphorie mit den richtigen Entscheidungen dafür zu sorgen, dass die Stadt Bremen wieder das Werder Bremen bekommt, das sie verdient. Und wenn dann keiner mehr in die Vorgärten pinkelt, könnte die Zukunft an der Weser ganz okay aussehen.

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SZ vom 15.05.2016/chge
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