Süddeutsche Zeitung

Werder Bremen:Ein Unentschieden für die Moral

Aufsteiger Bremen spielt auch im zweiten Saisonspiel gegen den VfB Stuttgart 2:2 - allerdings durchlebt das Team verglichen mit der Auftaktpartie vor einer Woche einen umgekehrten Verlauf.

Von Thomas Hürner, Bremen

Fast jedem Bundesliga-Team haftet ein Image an, das von den anderen Bundesliga-Teams verbreitet wird. Allermeistens geben die Fremdbeschreibungen die Realität auch ganz gut wieder: Der FC Bayern ist zum Beispiel die gefürchtete Siegesmaschine, die sich eigentlich nur selbst schlagen kann, wohingegen der 1. FC Union Berlin als "eklig" gilt und alle sehr beeindruckend finden, was der SC Freiburg aus seinen Möglichkeiten alles rausholt. Als das exakte Gegenstück zu Freiburg wird der Hamburger SV belächelt, was wiederum zur Konsequenz hat, dass der HSV nur zweite Liga spielt - und es wird sich in der Branche kaum jemand finden, der die aktuelle Ligazugehörigkeit des HSV anzweifelt oder laut "Fake News!" bei dieser Analyse schreit.

Ein Sonderfall auf der Fußball-Landkarte ist momentan der SV Werder Bremen. Denn immerzu wird von Klubverantwortlichen oder Trainern ein Satz wiederholt, der von der Realität nicht ganz gedeckt ist: Werder, heißt es dann immer, sei "kein normaler Aufsteiger". Am Samstag wurde das etwa von Sven Mislintat behauptet, dem Sportdirektor des VfB Stuttgart, der es eigentlich besser wissen müsste. Denn Bremen hat sich in der vergangen Saison ganz regelkonform zurück in die zweite Liga gekämpft, und es gab auch keine Zusatzpunkte oder anderweitige Bevorteilungen, die Werder nun eine Art Sonderstatus verleihen würden.

Für die Konkurrenz ist Werder "kein normaler Aufsteiger" - in Bremen sieht man das ganz anders

Interessanterweise melden sie in Bremen erhebliche Zweifel an dieser Version an: Werder sei sehr wohl ein normaler Aufsteiger, lautetet die Bremer Standardantwort. Und nach dem ersten Heimspiel der Saison, das 2:2 gegen Stuttgart endete, fühlten sich am Osterdeich alle bestätigt. "Wir wissen unsere Möglichkeiten ganz gut einzuschätzen", sagte etwa Werder-Trainer Ole Werner und meinte damit: Ja, wir haben zwar einen Status als ehemaliger Meister und Europapokalsieger. Aber unsere wirtschaftlichen Möglichkeiten sind begrenzt, und solange das so ist, gehören wir zu den Kleinen in der Liga.

In der Branche wird dem SV Werder dennoch unterstellt, dass sie, im Rahmen dieser Möglichkeiten, einen wirklich ordentlichen Kader beisammen haben und mit diesem in der Lage sind, einen adretten Offensivfußball zu spielen (was Werner nicht bestreitet, sondern höchstens in Relation zur wirtschaftlich potenteren Konkurrenz setzt). Das permanente Erinnern an diesen Umstand ist aber natürlich auch ein psychologischer Trick, von dem sie in Bremen ganz genau wissen, was dieser bezwecken soll: Ein bisschen Druck auf Werder laden, damit sich Werders spielerische Leichtigkeit ja nicht verselbstständigt. Nur: Ob's was nützt?

Der SV Werder jedenfalls legte am ersten Spieltag in Wolfsburg (ebenfalls 2:2) und nun gegen den VfB zwei spiegelverkehrte Auftritte hin, aus denen sich noch vorhandene Defizite, aber auch positive Dinge ablesen lassen. Negativ ist: Werder hat noch kein Spiel gewonnen und jeweils zwei Gegentreffer kassiert, was zeigt, dass an der für einen Aufsteiger unabdingbaren Defensivstabilität noch gearbeitet werden muss. Positiv ist dafür: Werder hat noch kein Spiel verloren und jeweils zwei Treffer erzielt, was darauf hindeutet, dass der spielerische Ansatz von Trainer Werner auch in der ersten Liga funktionieren kann.

Im Spiel gegen Stuttgart war der offensive Werder-Fußball kaum zu sehen

Die Partie gegen Stuttgart war gewissermaßen die Antipode zum ersten Spieltag in Wolfsburg. Werder ging durch einen Kopfballtreffer von Niclas Füllkrug (4. Minute) früh in Führung, verpasste es aber, den dominanten Beginn in die darauffolgenden Spielabschnitte zu konservieren. Stattdessen glich der VfB zunächst aus (Wataru Endo/38.) und erhöhte dann durch den insbesondere in der zweiten Halbzeit umtriebigen Angreifer Silas auf 2:1 (77.).

Die Bremer wirkten ein wenig behäbig und in ihren Offensivbemühungen beliebig, was Stürmer Füllkrug unter anderem mit den heißen Temperaturen im Weserstadion begründete. Trainer Werner hingegen monierte vor allem, dass sein Team es nicht schaffte, mehr dominante Ballbesitzphasen ins Spiel zu streuen und den Gegner mit aggressivem Anlaufen unter Stress zu setzen. Deshalb sei zum Einen zu wenig Druck aufgebaut worden, zum Anderen habe wichtige Entlastung für Körper und Geist gefehlt.

Es sah lange nicht unbedingt danach aus, als habe Werder an diesem Tag die nötigen Bordmittel, um sich noch mal heranzukämpfen und auszugleichen. Und es sah auch nicht danach aus, als würde sich in der strukturierten und aufmerksamen Stuttgarter Defensive noch eine zumindest spaltbreite Lücke auftun - bis Füllkrug in der fünften Minute der Nachspielzeit ein Kopfballduell gewann und Außenverteidiger Mitchell Weiser einen Ball zum eingewechselten Angreifer Oliver Burke spitzelte, der aus vollem Lauf und freistehend zum 2:2-Endstand traf. Es war die letzte Aktion des Spiels.

Und für Neuzugang Burke, der mal bei RB Leipzig unter Vertrag stand und zuletzt für Sheffield United in Englands zweiter Liga spielte, war es so etwas wie die Erfüllung seines Kernauftrags: Er soll als Joker das etablierte Werder-Sturmduo bestehend aus Füllkrug und Marvin Ducksch entlasten und mit seiner Geschwindigkeit für Impulse sorgen, die gegen Ende einer zähen Partie nur schwer zu verteidigen sind.

Die Werder-Fans im ausverkauften Weserstadion bekamen damit eine Schlusspointe vorgeführt, die das Gegenteil von jener in Wolfsburg war, als die Bremer nach einer tadellosen Leistung noch einen späten Gegentreffer kassierten. "Wir haben immer daran geglaubt, und so machst du dann auch mal ein Tor in der Schlussminute", sagte Verteidiger Niklas Stark: "Solch ein Tor ist auch ein Willenstor." Trainer Werner interpretierte den späten Ausgleichstreffer ähnlich: "Am Ende des Tages sind wir für eine kämpferische Leistung doch noch belohnt worden."

Für einen Aufsteiger, egal wie dieser heißt oder von der Konkurrenz genannt wird, ist das jedenfalls traditionell ein wichtiges Signal: Nicht verlieren fühlt sich manchmal an wie ein kleiner Sieg. Zumindest für die Moral.

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