Eine Umarmung, üblich ja, aber war sie nicht länger als sonst, inniger? Flüsterte Florian Kohfeldt nicht etwas ins Ohr von Davy Klaassen, und wann wechselt er den Niederländer überhaupt mal aus? Der rhythmische Beifall aus dem Block der Werder-Verantwortlichen, als Klaassen in der 75. Minute den Platz verließ - war das ein Klatschmarsch zum Abschied? Mutmaßlich waren es die letzten Kilometer, die der 27-Jährige gewohnt eifrig abgerissen hat im Mittelfeld des SV Werder. Die Bremer brauchen Geld, Ajax Amsterdam hat welches, und der Holländer will heim, die Verhandlungen laufen. Wenn der Transfer bis zum Montag tatsächlich abgewickelt werden sollte, wird Klaassen in Zukunft auf jeden Fall besseren Fußball erleben als derzeit in Bremen.
Klaassens mutmaßliches Abschiedsspiel endete zwar mit einem 1:0-Sieg gegen Arminia Bielefeld, aber auch wenn die Bremer nun plötzlich in der Tabelle in Regionen vordringen, die sie nur noch vom Hörensagen kennen, war es in Wahrheit eine Partie aus dem Abstiegskampf. Die Bremer müssen - umso mehr, wenn Laufwunder Klaassen den Verein verlässt - nicht nur wegen der jämmerlichen vergangenen Saison bis auf weiteres noch zum Souterrain der Liga gerechnet werden. Gegen die biederen Bielefelder, einfallsreicher kann man das leider nicht ausdrücken, hätten die Bremer Fans sehen können, wie tief die Verunsicherung des nur knapp überstandenen Überlebenskampfs noch sitzt, die finstere Heimbilanz, die vielen spät verlorenen Punkte. Es waren aber keine Zuschauer da, verdammte Pandemie. "Wir wollen uns etwas neu aufbauen, wir müssen uns das Selbstvertrauen erst erarbeiten", sagte Florian Kohfeldt.
In der letzten Sekunde der Nachspielzeit liegt der Ball im Bremer Tor
Wenn man das Spiel von hinten aufrollt, wird deutlich, wie glücklich der Bremer Sieg gegen den Aufsteiger war. In der letzten Sekunde der vierminütigen Nachspielzeit lag der Ball im Tor, Werders Torwart Jiri Pavlenka hatte erst einen Kopfball von Joan Simun Edmundsson brillant pariert - wie zuvor auch schon einen aus zwei Metern von Klos in der 60. Minute -, beim nachfolgenden Gestochere sah Schiedsrichter Robert Schröder ein Foul des vermeintlichen Torschützen Mike van der Hoorn und pfiff. Hätte er nicht gepfiffen, hätte der Videoschiedsrichter noch die Chance gehabt, die Szene zu überprüfen, und es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass er auf Tor und Ausgleich für die Arminia entschieden hätte.
Den Bremern fehlte in dieser Partie einfach die Gier, die Entscheidung früh herbeizuführen. Sie waren von Beginn an überlegen, pressten den Gegner in die eigene Hälfte, und Bielefeld fiel dagegen kein Mittel ein. Die Arminia schob sich die Bälle in der eigenen Hälfte zu, anstatt das verdichtete Mittelfeld hoch zu überspielen, und ließ den Bremern überdies Raum bei deren wenigen aus eigenem Ballbesitz resultierenden Chancen. So fiel auch das Tor, nach Vorarbeit des Newcomers Jean-Manuel Mbom traf der beste Bremer, Leonardo Bittencourt, volley zum 1:0 (27.). Zuvor hatte er schon mal getroffen, das Tor war vom Computer des Videoschiedsrichters per kalibrierter Linien und Messungen vermutlich im Nano-Bereich in eine Abseitsstellung umgerechnet worden.
Von da an, nach dem 1:0, war zu spüren, dass Werder plötzlich etwas zu verlieren hatte - und schon lange, bevor sich die Bielefelder etwas Neues ausdachten, richteten sie sich in der Führung ein. Sah überlegen aus, führte aber zu nichts. Nach dem Wechsel schossen die Bremer noch ein einziges Mal aufs Tor, der eingewechselte Tahith Chong war's. Das Spiel gehörte nun dem Zweitliga-Meister aus Ostwestfalen, der drauf und dran war, seine beeindruckende Serie zu verlängern und auch aus diesem Spiele wie aus allen anderen Liga-Partien des Jahres 2020 nicht als Verlierer hervorzugehen. Klappte nicht, siehe oben. "Wir haben Glück gehabt", sagte Werder-Trainer Kohfeldt.
Im Bremer Kader ist eigentlich kein Raum für Weggänge
Für die Bremer war dieses Spiel, in dem der dreifache Torschütze der vergangenen Woche, Niclas Füllkrug, keine Rolle spielte, ein deutliches Signal: In ihrem Kader ist eigentlich kein Spielraum für Weggänge ohne Zugänge. Auf dem Konto der klammen Norddeutschen allerdings ist kein Spielraum für Zugänge ohne Weggänge. Selbst wenn Klaassen gehen sollte, womöglich auch noch der wechselwillige Milot Rashica, der als Rekonvaleszent gegen Bielefeld im Kader fehlte, plant Sportchef Frank Baumann lediglich mit Leihspielern oder solchen Profis, die derzeit ohne Vertrag sind.
Für Vereine wie Werder, dazu zählen auch noch viele andere, hat sich das pandemiebedingt bis 5. Oktober ausgeweitete Transferfenster nicht bewährt, es verdichtet sich doch alles wieder auf die letzten 48 Stunden. Preise für wechselwillige Spieler sind gesunken, bezahlen können aber auch die nur Vereine, die Geld in der Kasse haben. Spieler, die neue Verträge abschließen, müssen mit Gehaltseinbußen rechnen, viele bleiben dann lieber, wo sie sind. Alles nicht so einfach.
Und was wird jetzt aus Davy Klaassen? Zumindest Gespräche mit Ajax bestätigte der Sport-Geschäftsführer Frank Baumann bei Sky: "Es gab das eine oder andere Angebot, aber das war nicht zu unserer Zufriedenheit. Wenn das Angebot stimmt, wird Davy uns verlassen", berichtete er. Der Trainer Florian Kohfeldt sagte: "Die Sache ist in der Schwebe, es ist keine ganz einfache Zeit für ihn. Wenn er hier bleibt, wird er alles für Werder geben. Wenn er geht, danke ich einem Spieler, der immer alles gegeben hat." Von einer Verabschiedung habe er zumindest nichts gemerkt.