Süddeutsche Zeitung

Werder Bremen:Erstes Spiel, erster Warnschuss

Werder Bremen ist eng verbunden mit seinem Publikum. Gegen Hertha sind wieder Zuschauer im Weserstadion - beim 1:4 können jedoch auch sie die Mängel nicht übertönen.

Von Thomas Hürner, Bremen

Als wollten sie gemeinsam festhalten, dass an diesem Samstagnachmittag etwas sein würde an der Weser. "Wer sind wir?", brüllte Stadionsprecher Christian Stoll dem Publikum entgegen, die Antwort war jedes Mal erwartbar: "Werder! Werder! Werder!", tönte es aus 8500 Kehlen, donnernder Applaus, Stoll bedankte sich bei den auserwählten Rückkehrern im Bremer Stadion. Ja, es knisterte vor dem Saisonstart gegen Hertha BSC, die Geisterspiele wurde mit alten Ritualen kollektiv für beendet erklärt.

Ein leeres Stadion in Bremen ist eigentlich nichts anderes als ein leeres Stadion an allen anderen Bundesliga-Standorten, aber in Bremen sind Verein und Stadt in einer ganz besonderen Weise miteinander verbunden. Es gibt nicht wenige die glauben, dass auch die fehlende Stimmung ein Faktor für Werders schlimme vergangene Saison war, die in Relegationsspielen gegen Heidenheim gerade noch gerettet werden konnte.

Das waren die vielleicht bittersten Erkenntnisse bei der 1:4-Heimniederlage gegen Berlin: Stimmung bringt allein noch keine Erfolge, so erfrischend sie nach der Monotonie der vergangenen Monate für viele auch gewesen sein mag. Und Stimmung ist selbst in Bremen fragil, sie kann nur kurzfristig über Mängel hinwegtäuschen, völlig egal wie oft zuvor Einheit beschworen wurde. "Ein schönes Erlebnis" war die Atmosphäre für Werder-Trainer Florian Kohfeldt trotzdem, "es war anders, es war toll, weil man es so lange nicht hatte." Was überwog, war trotzdem "eine große Enttäuschung", wie Kohfeldt sagte.

Werder beginnt voller Esprit

Anhand des Publikums ließ sich die Dramaturgie der Partie ablesen, besser: abhören. Werder begann spritzig, mutig, voller Esprit, was auch für die Zuschauer galt, gemeinsam bliesen sie zur Attacke. Hertha kontrollierte zwar den Ball, doch Gefahr ging zunächst von Bremen aus, vor allem durch schnellen Konter über außen. "Wir hatten die Möglichkeit, das Spiel an uns zu reißen", bilanzierte Kohfeldt. Nur: Zuschauer und Mannschaft konnten das Tempo nicht halten, Berlin gewann mit zunehmender Spieldauer die Oberhand, in der 18. Minute köpfte Stürmer Krzysztof Piatek an die Latte. Durchatmen im Weserstadion.

Womit man schon bei individueller Klasse wäre: Piatek hat 23 Millionen Euro gekostet, sein Sturmpartner Dodi Lukebakio 20 Millionen, der feingeistige und samtfüßige Matheus Cunha 18 Millionen. Letzterer darf sogar noch als richtiges Schnäppchen angesehen werden, so locker wie der Brasilianer wieder durch die gegnerischen Reihen tänzelte, den Kopf immer oben für den tödlichen Pass. Und Bremen? Versucht gerade in Angreifer Milot Rashica seinen wohl talentiertesten Fußballer zu verkaufen, es muss dringend Geld eingenommen werden. Gegen Hertha stand Rashica wegen einer Blessur nicht im Kader.

Werder will kein "Big City Club" sein, wie man sich in Berlin ja selbst getauft hat. Kann es auch gar nicht. Der Anspruch sollte aber zumindest sein, die defensiven Unzulänglichkeiten aus der vergangenen Saison, wenn schon nicht abzustellen, dann zumindest zu minimieren. Gegen Hertha war eine Verbesserung aber nicht zu sehen. In der 42. Minute flankte Herthas Maximilian Mittelstädt, vorbei an vielen passiven Spielern in Grün auf Peter Pekarik, der freistehend zum 1:0 für Hertha einschieben konnte. "Der Führungstreffer ist genau zur richtigen Zeit gefallen", sagte Hertha-Trainer Bruno Labbadia, allerdings fällt so ein Führungstreffer ja selten zur falschen Zeit. Die Partie war jedenfalls kaum wieder angepfiffen worden, da steckte Mathew Leckie auf den pfeilschnellen Dodi Lukebakio durch, nach seinem wuchtigen Abschluss stand es 2:0 (45.). Wenig später der Halbzeitpfiff, im Weserstadion waren Pfiffe zu hören.

Die zweite Hälfte war dann fast ein Ebenbild der ersten: Werder kam couragiert aus der Kabine, wie auch die Zuschauer vom Bratwürstchenstand. Den verheißungsvollen Start beendeten die Berliner aber jäh, weil sie einfach griffiger, besser waren. Der eingewechselte Jhon Cordoba, der erst vor wenigen Tagen für 15 Millionen Euro verpflichtet worden war, bediente den herausragenden Cunha, der zum 3:0 traf. Davie Selke sorgte mit einem Kopfballtreffer zwar noch für den Anschluss (69.), es war aber trotzdem Hertha, das vor allem in Person von Cordoba dem nächsten Tor näher war - und in der 90. Minute veredelte der Kolumbianer dann sein Debüt für Berlin mit dem Treffer zum 4:1. "An ihm werden wir noch viel Freude haben", sagte Labbadia, "ich kenne seine Stärken ganz genau, aber natürlich auch seine Schwächen." Nach Letzterem musste man nach Cordobas Einwechslung aber schon sehr genau suchen.

Bei Labbadias Kontrahenten Kohfeldt ging es in der Analyse eher um Grundsätzliches. "Wir müssen giftig, gallig, angefasst sein", sagte er, "nur so können wir in der Bundesliga Spiele gewinnen." Vergessen dürfe man ohnehin nicht, dass sich der Gegner eigentlich "in ganz anderen Sphären" bewegt. Der Bremer Sportchef Frank Baum attestierte der Mannschaft einen Mangel an Aggressivität, "wir müssen das Spiel als Warnschuss begreifen."

Im Weserstadion jedenfalls herrschte nach dem Abpfiff eine gemischte Gemütslage. Verhaltener Applaus, als die Spieler den Platz verließen, auch vereinzelte Pfiffe waren zu vernehmen.

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