Abstiegskampf:Pizarro ist noch da, nur seine Tore nicht

Abstiegskampf: Bekannt für seine Geschmeidigkeit: Bremens Stürmer Claudio Pizarro.

Bekannt für seine Geschmeidigkeit: Bremens Stürmer Claudio Pizarro.

(Foto: AFP)

Bremen war immer einer der stürmischsten Orte der Liga mit Angreifern wie Ailton, Klose oder Völler. Im Abstiegskampf fehlt ein großer Stürmer - und am letzten Spieltag muss Werder womöglich viele Tore erzielen.

Von Christof Kneer

Vier Tore in einem Spiel, vier Tore gegen den 1. FC Köln? Leicht wäre das auch für Ailton nicht, aber man würde es ihm zutrauen. In seinem Fall müsste man den Ball halt weit nach vorne hauen, so weit, dass kein Verteidiger, sondern nur Ailton ihn erwischt, und so zwei-, dreimal würde der rasende Rundling dann schon treffen. Miroslav Klose und Ivan Klasnic würden sich die vier Tore vermutlich gegenseitig auflegen, Kalle Riedle und Frank Neubarth würden das per Kopf erledigen, Wynton Rufer und Manni Burgsmüller die Dinger irgendwie reinschlawienern. Klaus Allofs würde ein paarmal mit links abziehen. Und der größte von allen, Rudi Völler, hat zu seinen Toren eh' immer nur liebevoll "Törchen" gesagt. Es waren ja so viele.

Noch einen vergessen? Einen der vielen, die dazu beigetragen haben, aus Bremen einen der stürmischsten Orte der Bundesliga zu machen? Natürlich diesen hier: Claudio Pizarro. Das war einer! Ein Hallodri zum Niederknien, gerissen, geschmeidig und immer gefährlich, mit einer Karriere, die noch größer hätte sein können, als sie ohnehin schon war. Oder ist?

Die Wahrheit ist schön, aber halt auch ein bisschen traurig: Claudio Pizarro ist ja immer noch da. Er ist immer noch oder schon wieder in Bremen, so genau weiß man das bei ihm nicht. Er hat eine bis heute von keinem kopierte Kunstform entwickelt, er ist ständig von Bremen weg- und ständig nach Bremen hin gewechselt. Er ist der fünfte Stadtmusikant, Hase und Igel in einem: Kaum war er bei Werder angekommen, stellte er fest, dass er schon da war.

Bremen muss womöglich vier Tore schießen, um sich - wenn überhaupt - auf Platz 16 zu retten

Claudio Pizarros historisches Gewicht wird Werder Bremen am Wochenende kaum helfen können, zumindest nicht allein (über Pizarros anderes Gewicht verbieten sich Spekulationen, auch wenn man aus der Ferne manchmal das Gefühl hat, dass sich seine Geschmeidigkeit unterm Trikot ein wenig wölbt). Aber es hilft ja nix: Pizarro, 41, wird es versuchen müssen, sofern Trainer Florian Kohfeldt, 37, ihn lässt - er wird es ebenso versuchen müssen wie Milot Rashica, Josh Sargent, Yuya Osako, Davie Selke, Fin Bartels oder Niklas Füllkrug. Das sind auch keine ganz kleinen Namen, aber jeder von ihnen nimmt seine eigene Krisen- oder Leidensgeschichte mit in diesen letzten Spieltag, an dem Werder womöglich vier Tore schießen muss, um sich - wenn überhaupt - noch auf den Relegationsplatz 16 retten zu können.

So sind die Fakten: Zwei Punkte und vier Tore liegen die Bremer hinter Fortuna Düsseldorf, sie haben bislang 36 Saison-Tore geschossen, und irgendjemand, der womöglich zu viel Zeit hat, hat gerade ausgerechnet, dass Werder nie in seiner Erstliga-Geschichte nach 33 Spieltagen weniger Tore auf dem Konto hatte. Und Rekordtorjäger - darf man das so nennen im Verein von Völler, Riedle, Pizarro und Ailton? - Rekordtorjägerchen also ist in dieser Saison der wirklich sehr begabte, im Moment aber auch wirklich sehr verklemmte Stürmer Rashica. Mit sieben Törchen.

Werder Bremen - Arminia Bielefeld

...2005 feiert Miroslav Klose eines seiner vielen Tore mit einem Salto.

(Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Für einen auf so angenehme Art kleinen großen Verein wie Werder Bremen wirkt es fast unwürdig, jetzt so rechnen zu müssen: Verliert Düsseldorf bei Union Berlin, reicht Werder ein Sieg gegen Köln, notfalls mit einem einzigen Törchen. Spielt Düsseldorf remis, braucht Werder mindestens vier Tore. Gewinnt Düsseldorf aber, dann könnten sich Völler, Neubarth, Burgsmüller, Riedle, Rufer, Allofs, Pizarro, Ailton, Klasnic und Klose noch mal zu einem Legendensturm zusammentun, und es würde doch nichts mehr nützen. Werder wäre weg.

Werder braucht Hilfe beim Wunder

Was tun? In momento Werder Breme bisschen guck, würde Ailton nun womöglich empfehlen, aber Gucken allein wird nicht helfen. Die Bremer werden auf den letzten Saisonmetern plötzlich das tun müssen, was sie eigentlich vom ersten Moment dieser Saison an vorhatten. Sie werden eine offensive Elf sein müssen, die sich im Zweifel für den Steil- und gegen den Querpass entscheidet - sie werden dabei aber nicht vergessen dürfen, dass jedes Gegentor das ohnehin schon schwer Mögliche noch unmöglicher macht. Schießt Köln ein Tor, braucht Werder fünf. Und wenn sie fünf haben, aber Düsseldorf in Berlin plötzlich das Siegtor schießt, würde Werder bisschen dumm guck. Sie wären dann ja trotzdem weg.

Das Wunder von der Weser ist ein feststehender Begriff im Fußball, je nach Zählung gab es drei oder vier sagenumwobene Europacup-Abende, an denen Werder das mindestens Unmögliche noch möglich machte (manche Puristen zählen das 4:0 gegen Lyon aus dem Jahr 1999 nicht mit). Problem: Werder kann sich bei der Herstellung eines Wunders nicht auf sich selbst verlassen. Werder braucht Hilfe von Union Berlin, zum Beispiel vom dortigen Stürmer Anthony Ujah, der auch mal für Werder stürmte.

Auch an den Namen der Stürmer lässt sich Werders schleichender Abstieg ablesen, der nun womöglich in einem realen Abstieg endet. Nach der Klose-Klasnic-Zeit wurden die Namen kleiner, die Stürmer hießen nun Almeida, Rosenberg, di Santo oder Ujah, sehr okay für die Liga, aber nicht mehr okay für das, was Werder von sich selbst erwartete. Aber natürlich waren die Stürmer nicht schuld am schleichenden Abstieg dieses kleinen, großen Klubs, sie waren nicht die Ursache, nur die Folge. Sie waren das Symptom jener Fehlentwicklung, die so manche Traditionsmarke aus der Kurve trug: Teure, für den Europacup berechnete Kader verfehlen den Europacup, was den Kosten aber egal ist. Die Kosten bleiben - und zwingen die Hamburgs, Stuttgarts, Bremens zu erheblichen Etatkürzungen und immer auch ein paar Fehleinkäufen. Die Teams werden ein bisschen billiger und deutlich schlechter.

Bremen habe sich von Kruse emanzipiert, sagten Kohfeldt und Baumann noch vor der Saison

Was einen Abstieg der Bremer nun besonders dramatisch machen würde, ist dies: Sie schienen ja eigentlich schon raus zu sein aus dem Teufelskreis. Im Sommer 2016 haben sie den Nationalstürmer Max Kruse für sich gewinnen können, ein Hallodri auch er, gerissen, geschmeidig und immer gefährlich, und gemeinsam mit den Ideen des jungen Trainers Kohfeldt hat er Werders Offensive wieder auf ein ansehnliches Niveau gehoben. Und nun ist es wahrscheinlich nur Definitionssache, ob die Bremer ihn im vorigen Sommer nicht halten konnten oder nicht halten wollten. Womöglich hätten Kruses finanzielle Wünsche die Bremer überfordert, aber ein wenig haben sie die Geschichte auch für auserzählt gehalten. In spektakulärer Vorfreude auf die neue Saison haben Kohfeldt und Sportchef Frank Baumann im vorigen Sommer erklärt, wie sehr sich die Elf von Kruse emanzipiert habe und wie gut man seinen Abschied für eine weitere Verfeinerung des Offensivspiels nutzen könne. Wären die Abstandsregelungen nicht immer noch in Kraft, man müsste Kohfeldt und Baumann nun tröstend in den Arm nehmen. Es war ein sehr sympathischer Plan und sehr gut gemeint, aber er ist sehr, sehr schief gegangen.

Die Bremer haben sich der Romantik in Tateinheit mit Naivität schuldig gemacht, zur Wahrheit gehört aber auch eine groteske Verletztenserie. Auf den Kreuzbandriss des Stürmers Niklas Füllkrug war der Kader nicht vorbereitet, und je mehr sich Werder in dieser Saison fußballerisch verlor, desto mehr litten die, die am Ende der Nahrungskette die Tore schießen sollten.

Er denke im Moment nicht an Rücktritt, ihm liege Werder zu sehr am Herzen, hat der Aufsichtsratschef Marco Bode, 50, gerade gesagt. Er war übrigens mal ein großer Werder-Stürmer.

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