Süddeutsche Zeitung

Bundesliga:Wenn Männer Rot sehen

Lesezeit: 1 min

Wissenschaftlich ist bisher nicht erforscht, was Schiedsrichter empfinden, wenn sie einen Platzverweis verhängen. Und welches Gefühl hat der Referee, wenn er sich selbst vom Platz stellt?

Wissenschaftlich ist bisher nicht erforscht, was Schiedsrichter empfinden, wenn sie einen Platzverweis verhängen. Sie reden auch selten darüber. Es ist aber vorstellbar, dass mancher Schiedsrichter nicht ungern von der roten Karte Gebrauch macht, dass er später mit seinen Assistenten im ICE-Bistro ein Bier darauf trinkt und abends die Szene noch mal im Fernsehen anguckt. Schiedsrichter sind zwar Amtspersonen, sie sind aber - selbst die deutschen - immer noch Menschen, und der Platzverweis ist ein verführerisches Mittel der Macht. Aber welches Gefühl hat der Schiedsrichter, wenn er sich selbst vom Platz stellt?

Solche Fälle kommen vor. Eine englische Quelle berichtet vom Beispiel aus einer Sonntagsliga, bei der Peterborough North End auf Royal Mail AYL traf. Genervt über die ständigen Beschwerden beider Parteien war Spielleiter Andy Wain dem meckernden Torwart von Peterborough so nahe getreten, dass er sich für die Provokation selbst bestrafen musste. "Wenn ein Spieler so was macht, stelle ich ihn vom Platz - also musste auch ich gehen", sagte Wain, der nicht stolz auf sein resolutes Handeln, sondern untröstlich über sein Verhalten war.

Der Tatort in einem anderen Sonntagsligaspiel war das Stadion des Vereins Southampton Arms, zu Gast war das Team von Hurstbourne Tarrant British Legion. Schiedsrichter Melvin Sylvester hatte einen Spieler geschlagen, der ihn zuvor gerempelt und beschimpft hatte. Klarer Fall von Tätlichkeit. Der Fußballverband Hampshire sperrte den Referee für sechs Wochen und beschloss eine Geldstrafe von 20 Pfund, was Sylvester sehr verärgerte, weil er fand, er sei vom Schiedsrichter genug bestraft worden.

Auch Felix Brych musste sich am Samstag in Köln Mangel an Gefühl - zumindest in den Fingerspitzen - vorwerfen lassen, doch er hat nur den Regeln gehorcht und keine Macht missbraucht, als er dem FC-Verteidiger Yussef Mohamad nur 87 Sekunden nach Spielbeginn die rote Karte zeigte. Womöglich hat er später im ICE trotzdem ein Bier darauf gehoben, denn unter den mehr als 1000 Platzverweisen in der Bundesligageschichte ist keiner früher verhängt worden. Aber vielleicht hat Brych ja gar nicht die Eisenbahn benutzt. Philipp Selldorf

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.991268
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 23.08.2010
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.