2. Bundesliga:Warum Stuttgart kein FC Bayern der zweiten Liga ist

Jos Luhukay

Muss zunächst mit einem unfertigen Kader auskommen: Stuttgarts neuer Trainer Jos Luhukay.

(Foto: dpa)

Trotz des Abstiegs sind die Fans des VfB euphorisch wie lange nicht. Das Problem: Der Klub startet mit einer unfertigen Elf in die Saison.

Von Christof Kneer

Am Freitag um die Mittagszeit kam schon wieder eine Pressemeldung vom VfB. Diesmal ging es darum, dass drei große Unternehmen ihre Partnerschaft mit dem Klub verlängern, von "Leistungspaketen" und "Premiummarken" ist in der Mitteilung die Rede. Jochen Röttgermann, Marketingchef des VfB Stuttgart, wird mit ein paar freundlichen Worten zitiert, es waren aber andere freundliche Worte als am vorigen Sonntag. Da dankte Röttgermann, ebenfalls per Presseaussendung, "im Namen der Vereinsführung von ganzem Herzen für die großartige Treue und das Bekenntnis zu unserem Verein". Am vorigen Wochenende galt es einen Klubrekord zu feiern: Erstmals in seiner 123-jährigen Geschichte hat der VfB die Marke von 47 000 Mitgliedern überschritten. Seit Mai, meldet der Klub, seien 1500 neue Mitglieder dazu gekommen.

Seit Mai, das heißt auch: seit dem Abstieg in die zweite Bundesliga.

Der VfB Stuttgart ist ein Verein, den man nicht unbedingt verstehen muss. Zu den Merkmalen dieses Vereins gehörte bislang ja nicht nur seine einigermaßen ruhmreiche Erstliga-Geschichte, sondern auch eine einigermaßen berüchtigte Haupttribüne, die bruddelt (Schwäbisch für: motzen, meckern, mosern), wenn die Buben Fünfter sind. Weil: Die könnten ja auch Vierter sein. Diese Logik funktioniert selbstverständlich auch mit den Plätzen neun/acht, zwölf/elf oder siebzehn/sechzehn.

Ein selten kurioser Absteiger

Wobei, nein: Mit Platz siebzehn funktioniert sie nicht mehr. Der Abstieg hat in Stuttgart eine erstaunliche Gegenbewegung ausgelöst. Die Bruddler bruddeln nicht mehr, sie werden jetzt lieber Mitglied, der Klub hat schon 25 000 Dauerkarten verkauft, und fürs erste Zweitligaspiel erwarten sie mehr als 50 000 Zuschauer. Der VfB hat die vergangene Saison auf Platz 17 beendet, das war mindestens auch ein Klubrekord.

Seit Erfindung der Tabelle hat es wohl selten einen kurioseren Absteiger gegeben: eine Elf, deren Premiummarken und Leistungspakete (Didavi, Kostic, Rupp) an guten Tagen in der Champions League mitspielen könnten, ohne sich genieren zu müssen; eine Elf aber auch, die drumrum einen Haufen andere Spieler hatte, bei denen man nicht durchweg sicher war, ob sie es bei ambitionierten Drittligisten in den Kader schaffen würden. Nein, der VfB sei "nicht der FC Bayern der zweiten Liga", hat Kapitän Christian Gentner gerade gesagt. Das kann man so sehen, wenn man weiß, dass nicht nur diese drei Champions-League-Kandidaten den Klub verlassen haben, sondern auch Spieler wie Timo Werner oder Serey Dié.

Am Montagabend startet der VfB gegen den FC St. Pauli in seine erste Zweitliga-Saison seit 1976, und natürlich drucken sie in Stuttgart jetzt überall wieder die alten Bilder und erzählen die alten Geschichten. Vom Trainer Jürgen Sundermann, der sich damals den offiziellen Namenszusatz "Wundermann" erwarb, weil er den VfB aus der zweiten Liga direkt auf den vierten Platz der ersten Liga führte. Und von den "jungen Wilden", die alle ein liebevolles "i" aufgepappt bekamen, Hansi Müller, Kalli Förster, allerdings nicht Otti Hitzfeld.

Jan Schindelmeiser ist ein seriöser Norddeutscher und zum Glück kein junger Wilder mehr, er muss jetzt die ganze Last der schwäbischen Geschichte tragen. Schindelmeiser, 52, ist der neue Sportvorstand beim VfB, und im Moment gehört es zum Jobprofil, zumindest ein bisschen Wundermann zu sein. Schindelmeiser muss gerade einige Dinge tun, die sich im Grunde gegenseitig ausschließen. Was die Saison-Erwartungen anbelangt, muss er den verblüffend vorfreudigen Menschen in der Stadt zum Beispiel die Wahrheit sagen, ohne ihnen die Wahrheit zu sagen.

"Sagen wir es so: Ich halte unseren Kader auch jetzt schon für konkurrenzfähig", sagt Schindelmeiser, "aber wenn wir vor allem in der Offensive noch ein paar weitere Verstärkungen hätten, hätte ich ein deutlich besseres Gefühl, wenn ich auf den Wiederaufstieg angesprochen werde."

Stuttgarts Häusle hat immerhin einen stabilen Boden

Der VfB hat nach der Trennung von Robin Dutt viel Zeit verloren, Schindelmeiser ist erst seit kurzem im Amt, und er muss jetzt - auch das schließt sich eigentlich aus - sehr schnell und sehr langsam sein. "Es wäre kein Problem, bis morgen drei Spieler zu kaufen", sagt er, "aber das wäre Monopoly. Ich muss nicht nur an die Punkte denken, die wir gegen St. Pauli holen können, sondern auch an die Punkte, die wir in zwei oder drei Jahren holen wollen."

Das ist der Konflikt: Schindelmeiser weiß, dass sein VfB dringend noch mindestens drei neue Spieler braucht, zwei offensive Außen, einen Stürmer, vielleicht noch einen Verteidiger. Aber er weiß auch, dass es keine Frustkäufe sein dürfen, spontan besorgt und schlecht gescoutet, von denen hatte der Verein schon viel zu viele.

Plötzlich ist der Plan in Gefahr

Schaffe, schaffe, Mannschaft baue: So schnell wie Schindelmeiser ist selten ein Norddeutscher zum Schwaben geworden. Gut drei Wochen hat er noch, um bis Ende der Transferfrist ein Gebäude hinzustellen, um dessen Statik man sich keine Sorgen machen muss. Kurioserweise ist die bauliche Grundsubstanz fast besser als im Vorjahr: In der ersten Liga hatte das Haus zwar goldene Dachziegel, und drinnen gab's teure Bilder und eine Kaffeemaschine mit Turboantrieb, aber die Haustür hatte ein Loch, und das Fundament war schief. Der VfB hatte Kostic und Didavi, aber keine Achse.

Eine Liga tiefer hat das Häusle nun immerhin einen stabilen Boden: den coolen Keeper Langerak, die charakterfesten Sechser Hosogai und Gentner, den feinen Regisseur Maxim und vorn drin Torjäger Terodde, den neuen Stürmer aus Bochum. Der VfB hat jetzt eine Achse - allerdings (noch) fast nichts drumrum. Der Plan war eigentlich, dass diese Achse solide genug sein sollte, um die Elf ihre ersten Spiele auch halb fertig überstehen zu lassen, aber plötzlich ist der Plan in Gefahr.

Am Freitag meldete der VfB, dass Kevin Großkreutz (muskuläre Probleme), Timo Baumgartl (Schambein) und der neue Linksaußen Tobias Werner (privater Schicksalsschlag) erst mal ausfallen. Für den Neo-Schwaben Schindelmeiser bedeutet das noch mehr Arbeit. Denn wie man weiß, hat sein VfB zurzeit ja auch schon Personalsorgen, wenn alle gesund sind.

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