Bundesliga: VfL Wolfsburg:Der Schirm bleibt zu

In England beschimpft ihn die Presse als "Trottel mit dem Schirm", in Holland macht er Twente Enschede zum Meister: Steve McClaren wird Trainer beim VfL Wolfsburg.

Claudio Catuogno

Ohne die "Nacht der tausend Tränen" hätte Dieter Hoeneß jetzt nicht so viel zu lachen. Denn manchmal sind es ja die schaurigen Niederlagen, die einen Fußballtrainer erst für neue Aufgaben öffnen, und ganz bestimmt ist das bei Steve McClaren so der Fall gewesen, den Hoeneß am Dienstag als neuen Übungsleiter des VfL Wolfsburg präsentierte. Als ersten englischen Cheftrainer in der Bundesligageschichte.

McClaren Enschede, dpa

Steve McClaren, der "Trottel mit dem Regenschirm", feiert den Meistertitel in Holland.

(Foto: Foto: dpa)

"Menschliche Qualitäten, Fußball-Sachverstand und internationale Erfahrung", das alles habe für McClaren gesprochen, sagte der VfL-Manager gut gelaunt. McClarens Wirken sei "eine Erfolgsstory" und er selbst "ein guter Typ". Was man eben so sagt, wenn man nach monatelanger Suche einen neuen Trainer gefunden hat. In diesem Fall hörte man allerdings genauer hin. Wegen der alten Geschichten.

McClaren, 49, ist gerade auf Nil-Kreuzfahrt, aber schon vergangene Woche hatte er mitgeteilt, wie er zu der Sache von damals inzwischen steht: "Du musst im Leben auch scheitern, um stärker zu werden", sagte er. Da hatte er den holländischen Kleinstadtklub Twente Enschede gerade zum Überraschungs-Meister der Eredivisie gemacht und nannte das einen "Lohn für alles, was ich und meine Familie durchgemacht haben".

"Nutzlos, schwächlich, ohne Rückgrat"

Es gibt jetzt tatsächlich diese Bilder von ihm, wie er auf Schultern durch ein Stadion getragen wird und eine Silberschale in den Himmel reckt. Wer schon mal eine Trophäe in der Hand hatte, den nimmt man beim VfL gerne, das war schon vor der Machtübernahme des Managers Hoeneß die Trainer-Logik am Mittellandkanal; sie ist es offensichtlich geblieben. Aber ein Chefcoach mit einer derartigen Vorgeschichte, das ist selbst für Dieter Hoeneß ein Novum.

McClarens "Nacht der tausend Tränen" (Daily Telegraph), das war jenes Schockereignis im November 2007 in Wembley, als Englands Nationalelf in einer mutlos gecoachten Partie gegen Kroatien die EM-Teilnahme vergeigte. Das Boulevardblatt Sun, das sonst für alles und jeden eine griffige Bezeichnung ersinnt, fand den Vorgang teilweise unaussprechlich, sie titelte: "Nutzlos, schwächlich, ohne Rückgrat, verzweifelt, Dreck - und alle Worte, die wir nicht in der Zeitung schreiben können." Und weil der damalige Nationaltrainer McClaren nicht sofort zurücktrat, sondern fortgejagt werden musste wie ein serviler Hofhund, galt er fortan als einer der charakterärmsten Engländer des Planeten. Und als einer der meist verspotteten.

"Der Trottel mit dem Schirm"

Es hatte nämlich geregnet in jener Nacht, wie es hin und wieder regnet in London, aber anstatt sich dem Wetter zu stellen, hatte McClaren die nationale Blamage unter einem Regenschirm verfolgt. An der Seitenlinie! Weltweit live im TV! Unter einem rot-blau gemusterten Regenschirm von den Ausmaßen eines Kinderkarussells! Tags darauf war er "the wally with the brolly", und das ist er auf der Insel im Grunde geblieben: der Trottel mit dem Schirm.

Heute ahnt Steve McClaren, dass ihm nichts Besseres passieren konnte, als ein Neuanfang abseits des aufgeregten englischen Fußballkosmos. Und auch in den "guten Gesprächen", die Hoeneß mit dem Engländer schon geführt hat, bevor er in Holland als Meistertrainer feststand, "hat dieser Aspekt keine Rolle gespielt". Schließlich war McClaren nach der WM 2006 nur als hundertster Ersatzkandidat der tausendsten Notlösung ins englische Cheftraineramt gerutscht.

Als Spieler hatte er für Hull City, Derby County, Lincoln City, Bristol City und Oxford United gespielt, später wurde er Co-Trainer von Alex Ferguson bei Manchester United, 2001 schließlich Cheftrainer in Middlesbrough. Er gewann 2004 den Ligapokal und erreichte 2006 das Uefa-Cup-Endspiel, dümpelte ansonsten im Ligamittelfeld herum - im Grunde hatte er nie die Autorität, die er als Dompteur der Three Lions gebraucht hätte. Aber das muss in Wolfsburg jetzt nicht das Problem sein.

Begeistert von der niedersächsischen Provinz

In Enschede gab der Twente-Besitzer Joop Munsterman McClaren im Sommer 2008 eine zweite Chance, und heute lobt man in den Niederlanden an ihm jene Eigenschaften, die man in England an ihm vermisst hatte: Charakterfestigkeit, klare Ansprache, taktisches Geschick. Innerhalb von zwei Jahren formte McClaren das Low-Budget-Projekt zum Meister. Dass er seinen bis 2011 gültigen Vertrag danach nicht erfüllen würde, war klar: Auch der FC Porto und West Ham United bekundeten ihr Interesse. Doch McClaren entschied sich für Wolfsburg, wo der VW-Konzern bekanntlich nicht nur große Ziele hat, sondern diese auch finanziert. Er erhält einen Zwei-Jahres-Vertrag, ein Co-Trainer wird noch gesucht.

Der örtlichen Tageszeitung De Twente Courant Tubantia sagte Steve McClaren: "Ich hatte in Enschede zwei fantastische Jahre. Aber ich hatte meiner Frau und den Kindern versprochen, maximal zwei Jahre von ihnen getrennt zu sein." Bisher war die Familie McClaren in England geblieben, nun scheint Dieter Hoeneß sie für die niedersächsische Provinz begeistert zu haben. "Jetzt werden wir alle mal in Deutschland wohnen", sagte McClaren. Dann flog er in den Ägyptenurlaub.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: