Süddeutsche Zeitung

VfB Stuttgart:Noch viel Arbeit für Hitzlsperger

  • Der VfB Stuttgart spielt nach einer turbulenten Woche leicht verbessert, verliert aber dennoch 1:3 gegen RB Leipzig.
  • Thomas Hitzelsperger, der neue Sportvorstand, will zunächst einen Sportdirektor verpflichten.
  • Hier geht es zur Tabelle der Fußball-Bundesliga.

Von Matthias Schmid, Stuttgart

Thomas Hitzlsperger schlenderte vor der Partie als Letzter aus der Kabine, er lief ein paar Schritte hinter Markus Weinzierl zur Bank des VfB Stuttgart. Dass der neue Sportvorstand während der Spiele in unmittelbarer Nähe des Cheftrainers Platz nimmt, ist der ausdrückliche Wunsch von Weinzierl gewesen: Er sieht in Hitzlsperger einen Gleichgesinnten, von dem er in einer schwierigen und aufgeregten Lage profitieren kann.

Viele hatten sich vor dem Spiel am Samstag gegen RB Leipzig ja gefragt, wieviel Einfluss die neue starke Führungsfigur nach der Demission von Michael Reschke wohl auf die Aufstellung des VfB haben würde - ein paar Dinge hatte Weinzierl dann tatsächlich verändert nach dem leblosen Auftritt in Düsseldorf (0:3). Die taktische Grundordnung zum Beispiel, im Ballbesitz vertraute Weinzierl einer Dreierkette mit Weltmeister Benjamin Pavard in zentraler Rolle. Zudem verzichtete der VfB-Coach auf Kapitän Christian Gentner, der in den vergangenen Wochen arg mit sich selbst beschäftigt war.

Das Spiel ging trotzdem verloren, mit 1:3 - nach zuletzt einem Punkt aus sechs Partien hatte Hitzlsperger trotzdem viele erfreuliche Ansätze gesehen. "Wie wir aufgetreten sind, wie wir in den letzten Tagen gearbeitet haben und was heute in der Herangehensweise sehr gut war, das stimmt mich sehr positiv", urteilte Hitzlsperger bei Sky. Und sprach seinem umstrittenen Trainer sogar eine mittelfristige Jobgarantie aus: "Es hört sich nicht nur so an, dass Weinzierl in Bremen noch der Trainer sein wird, es ist auch so."

"Scheiß Timo Werner", singen die VfB-Fans

Den frühen Rückstand konnte die neue Abwehrformation, die sich gegen den Ball in eine Fünferreihe verwandelte, aber auch nicht verhindern. Bereits in der sechsten Minute musste Ron-Robert Zieler den Ball aus dem Tor holen, nachdem Yussuf Poulsen aus kurzer Distanz den Ball über die Linie gedrückt hatte. Er profitierte bei seinem elften Saisontor davon, dass die flache Hereingabe von Timo Werner VfB-Verteidiger Marc-Oliver Kempf durch die Beine geflutscht war.

Danach wirkten die Stuttgarter noch verunsicherter als vor dem Gegentor schon, einfachste Pässe zum Mitspieler misslangen, die Fehler waren sogar so grotesk, dass mancher Zuschauer Santiago Ascacibar am liebsten in die Arme genommen und getröstet hätte.

Und die Leipziger? Kombinierten sich flüssig und direkt durchs Mittelfeld und suchten immer wieder Werner, den Stuttgarter Buben. Nur ein paar Straßen von der Arena entfernt war der Nationalspieler in Bad Cannstatt aufgewachsen, der sich schon mit siebzehn Jahren zwei Einträge in die Klubgeschichte verdient hat, als jüngster Bundesligaspieler des VfB überhaupt und als jüngster Torschütze. Die Fans mögen ihn trotzdem nicht mehr, "Scheiß Timo Werner" tönte es aus der Cannstatter Kurve, wo die treuesten unter den Anhängern stehen, Werner bedankte sich auf seine Art für die Schmähgesänge: mit einem Kusshändchen.

Davor hatte er und seine Teamkollegen allerdings noch eine größere Demütigung hinnehmen müssen: ein Gegentor. Als alle schon nach einem Zweikampf zwischen Mario Gomez und Willi Orban mit einem Eckball für Stuttgart rechneten, malte Schiedsrichter Felix Zwayer das Zeichen für den Videobeweis in die Luft. Nach einem Signal vom Videoassistent machte er sich auf zum Monitor, wo er sich die Szene noch mal anschaute und schnell zu einem Ergebnis kam: Elfmeter für den VfB, nachdem Gomez Orban an den ausgestreckten Arm geköpfelt hatte. Steven Zuber verwandelte präszise zum 1:1, das den Stuttgartern guttat. Plötzlich waren sie präsenter, bissiger in den Zweikämpfen, selbstbewusster. Nach langer Zeit sah es hin und wieder sogar wie Fußball aus, mit hübschen Passstafetten und Torchancen. "Wir waren dem zweiten Tor näher als Leipzig", befand Weinzierl.

Die größte Möglichkeit vergab dabei Ascacibar in der 64. Minute, nachdem ihm Gomez im Fallen den Ball vorgelegt hatte, doch sein Drop-kick hielt Leipzigs Peter Gulacsi prächtig. Es war eine Szene, "über die ich mich aufgeregt habe", wie Gomez erklärte. Was er über den Zweikampf zwischen VfB-Verteidiger Ozan Kabak und Poulsen dachte, der zum Freistoß und zum 1:2-Rückstand führte (68.), behielt er dagegen für sich. "Zum Schiedsrichter sage ich nichts mehr", betonte der frühere Nationalspieler. Marcel Sabitzer war ein Traumtor aus 17 Metern gelungen, als er den Ball mit viel Gefühl und Effet über die Mauer gestreichelt hatte. Es war ein Kunstwerk von erhabener Schönheit. "Das war ein Freistoß, den nicht viele Schiedsrichter geben", kritisierte aber Weinzierl. Und auch Poulsen gab zu, dass man in der Situation nicht pfeifen muss: "Es hat in diesem Spiel viele Fouls gegeben, die man in anderen Spielen als normale Zweikämpfe hätte weiterlaufen lassen."

Der Däne war es dann auch, der das Spiel mit seinem zweiten Treffer nach einem schönen Konter entschieden hat (74.). "Wir haben schon bessere Spiele gezeigt als heute", fasste Leipzigs Cheftrainer Ralf Rangnick die Partie zusammen. Aber er freute sich natürlich über weitere drei Punkte, die die Wahrscheinlichkeit erhöht haben, dass Leipzig in der nächsten Saison in der Champions League mitmachen darf.

Die Stuttgarter machten sich stattdessen gegenseitig Mut, weil sie sich endlich gewehrt und angedeutet haben, dass sie gut genug für den Klassenverbleib sind, wenn sie sich gegenseitig helfen und "den Arsch aufreißen", wie es Alexander Esswein formulierte. "Wir hätten gegen einen saustarken Gegner das 2:1 machen müssen", haderte Gomez hingegen zunächst, um dann nach ein, zwei Sekunden des Nachdenkens forsch hinzuzufügen: "Ich bin aber 1000-prozentig davon überzeugt, dass wir so drinbleiben werden, wenn wir immer so spielen."

Dazu sind aber dringend Siege erforderlich. Und bei den Fans in der Cannstatter Kurve schwindet langsam die Hoffnung, dass sie diese noch miterleben dürfen. "Wir haben die Schnauze voll" und "Dietrich raus" skandierten sie schon während des Spiels. Sie hatten in dem Präsidenten Wolfgang Dietrich ihren Schuldigen gefunden. Auf Thomas Hitzlsperger wartet in den nächsten Wochen viel Arbeit, zügig will er einen Sportdirektor verpflichten, wie er am Samstag verriet: "Je früher, desto besser."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4333250
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 17.02.2019/ebc
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.