Bundesliga: VfB Stuttgart:Verein für Bewegungslosigkeit

Welche Liga, welcher Trainer, welcher Präsident? Beim VfB Stuttgart würden alle gerne was tun, aber niemand weiß genau, was. Im Verein ist mehr blockiert als nur die Mannschaft.

Christof Kneer

Jürgen Sundermann war nicht im Presseraum am vergangenen Samstag, nach dem Spiel gegen Kaiserslautern. Das war erstaunlich, denn normalerweise erscheint er dort so verlässlich wie der Mediendirektor, der die Pressekonferenz moderiert. Manchmal ist es sogar so, dass um Sundermann herum eine Art Gegenpressekonferenz entsteht, es scharen sich dann einige VfB-Journalisten um ihn, von denen er die meisten schon von früher kennt.

VfB Stuttgart - 1. FC Kaiserslautern 2:4

Verzweifelt an der Seitenlinie: Stuttgarts Trainer Bruno Labbadia.

(Foto: dpa)

Sundermann sagt meistens das Gleiche: dass er diese Leistung auch nicht verstehen könne, dass die Mannschaft offenbar verunsichert sei. Es liegt nicht an Sundermann, dass er sich ständig wiederholt. Es liegt an der Mannschaft, die so spielt, dass man immer das Gleiche sagen muss.

Jürgen Sundermann, 71, ist immer noch ein Held in der Stadt, aber im Moment sehen sie ihn nicht so gern. Sie müssen dann immer an die zweite Liga denken. In dieser Liga wurde Sundermann zum Wundermann, er führte den Klub 1977 aus der zweiten Liga zurück in die erste und gleich in den Uefa-Cup. Er formte Spieler ("entwickeln" sagte damals noch niemand) wie Hansi Müller, Karlheinz Förster oder Karl Allgöwer. Schöne Zeiten waren das. Aber zurückhaben möchte sie lieber niemand beim VfB.

In Stuttgart wissen sie, dass die zweite Liga nur vereinshistorisch zur Verklärung taugt. In der Gegenwart wäre ein Abstieg eine schwere Heimsuchung für den VfB. Fredi Bobic, der Klubmanager, ist ein alter VfBler, er stand zu Sundermanns Zeiten als Kind in der Fankurve, er könnte viel erzählen über die katastrophalen Auswirkungen eines Abstiegs. Allein: Er darf das nicht.

Er muss Sätze sagen, die so klingen, als sei er vom Klassenerhalt überzeugt. In Wahrheit zweifeln sie längst wieder, das 2:4 gegen Kaiserslautern haben die Bosse fassungslos zur Kenntnis genommen. "Nach unserer 2:1-Führung konnten wir reinrufen, wie wir wollten", sagt Bobic, "wir haben keinen mehr erreicht." Die Mannschaft, überfordert von der plötzlichen Aussicht auf Rettung, wehrte sich nicht mehr.

Eine rätselhafte Lähmung hat den VfB vor dem Spiel in Köln befallen, auf allen Ebenen. Aus dem "Verein für Bewegungsspiele" ist ein Verein für Bewegungslosigkeit geworden. Alle würden gerne was tun, aber niemand weiß genau, was. Sie müssen die Spieler kritisieren, aber nicht zu sehr, weil sie diese Spieler im Abstiegskampf noch brauchen. Sie müssen sie loben, aber sie wissen nicht recht, wofür. Und sie müssen für beide Ligen planen - aber niemand weiß, ob die jetzt verantwortlichen Planer auch künftig noch etwas zu sagen haben werden im Klub.

Verträge auf Champions-League-Niveau

Was den VfB umtreibt, ist mehr als die Ungewissheit, ob man in der nächsten Saison noch gegen Dortmund spielt oder gegen Paderborn. Es ist eine umfassende Unsicherheit über die Zukunft, von der der VfB nicht viel mehr weiß, als dass sie kommt. "Ich tue, was in meiner Verantwortung liegt und plane", sagt Bobic. Womöglich wird er seinen Job im Abstiegsfall behalten dürfte, sicher ist das nicht. Beim Trainer Labbadia ist das noch viel weniger sicher. Er müsste wohl gehen.

Es macht die Sache kompliziert, dass auch im Falle des Klassenerhalts vieles unklar ist. Präsident Erwin Staudt wird Amtsmüdigkeit nachgesagt, eine Mitgliederversammlung, die über einen neuen Präsidenten befindet, ist erst für Herbst geplant - gut möglich also, dass mitten in der Saison ein neuer Präsident kommt, der weder mit dem Manager Bobic noch mit dem Trainer Labbadia arbeiten will. Und eine Vorverlegung der Versammlung, etwa in den Mai, lehnt der Aufsichtsrat ab - Staudt soll noch in Amt und Würden erleben dürfen, wie im August das Stadion mit einem Länderspiel gegen Brasilien eingeweiht wird.

Für den kämpferischen Herzblut-VfBler Bobic eine unübersichtliche Situation; er müsste selbst nach Klassenerhalt damit rechnen, dass der Bau einer neuen Elf unter den diffusen Zukunftsaussichten leidet. Womöglich bewilligt ihm der legendär sperrige Aufsichtsrat weniger Euro, als er für einen dringend nötigen Umbruch im Team brauchen würde - mit dem Argument, dass ein neuer Präsident vielleicht ganz andere Vorstellungen habe.

So ist zurzeit vieles blockiert in Stuttgart, nicht nur die Mannschaft. In dieser Situation muss Bobic eine Vision von einem neuen VfB entwickeln, aber möglichst so, dass es der alte VfB nicht merkt. "Im Abstiegskampf kann man gut erkennen, auf welche Spieler man bauen kann und auf welche eher nicht", sagt er. Namen kann er nicht nennen, weil die, auf die er nicht bauen will, erstmal für den Klassenerhalt kämpfen sollen.

Ein großes Geheimnis ist es aber nicht, dass Profis wie Marica, Boulahrouz, womöglich auch Pogrebnjak keine Ära mehr prägen werden; auch Gelegenheitsgenies wie Kuzmanovic und Molinaro stehen unter strenger Beobachtung, ebenso ehemalige Größen wie Delpierre oder Gentner. "Ich weiß, wie der VfB der Zukunft aussehen soll", sagt Bobic. Ein Abstieg dürfte das Tempo des Umbruchs verschärfen, denn anders als Hertha könnte es sich der VfB kaum leisten, seinen Erstliga-Kader durch die zweite Liga zu schleppen. "Wir haben viele Verträge auf Champions-League-Niveau", sagt Bobic.

In zwei Jahren erwarten sie beim VfB einen Spitzenjahrgang aus der hochdekorierten eigenen Jugend. In zwei Jahren kommt die Zukunft, bis dahin müssen sie irgendwie durchhalten.

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