Süddeutsche Zeitung

VfB Stuttgart:Die Steigerung von Ratlosigkeit

Von Tobias Schächter, Sinsheim

Nach 60 Minuten Spielzeit setzte sich Markus Weinzierl mit versteinerter Miene auf die Ersatzbank. Gerade hatte der Algerier Ishak Belfodil nur zwei Minuten nach seinem 3:0 das 4:0 für die TSG Hoffenheim erzielt, das Spiel war endgültig verloren für den VfB-Stuttgart, Weinzierl wusste das. Nur hin und wieder versuchte der neue Trainer des VfB dann noch bis zum Abpfiff auf seine Mannschaft einzuwirken. Noch in der Halbzeitpause schien das baden-württembergische Derby für den VfB ja eines werden zu können, in dem er Moral, Selbstvertrauen und Punkte gewinnen hätte können.

Nach dem Platzverweis für Emiliano Insua schon nach acht Minuten verteidigten die Schwaben zunächst exzellent gegen unpräzise Hoffenheimer und gingen mit einem verdienten 0:0 in die Pause. Aber innerhalb von nur zwölf Minuten deklassierte die TSG dann einen nach dem ersten Gegentor zusammenbrechenden Gegner: Erst traf Joshua Brenet (48.), dann Joelinton (51.) und dann zweimal Belfodil, Stuttgarts Torwart Ron-Robert Zieler verhinderte mit einigen Paraden eine noch höhere Niederlage seiner Elf als dieses am Ende fast schmeichelhafte 0:4.

Vor drei Wochen hatte Markus Weinzierl Tayfun Korkut abgelöst. Doch statt Aufbruchsstimmung zu erzeugen, herrscht nach zwei derben 0:4-Klatschen gegen Dortmund und Hoffenheim nun nur noch mehr Ratlosigkeit in Stuttgart. "Das einzige Gute an unsere Situation ist, dass wir im ersten Drittel der Saison sind und nicht im letzten", sagte Mittelstürmer Mario Gomez, der in der Anfangsphase eine große Chance zur Führung ausgelassen hatte. "Im Moment kriegen wir die volle Breitseite, aber wir können noch reagieren."

Der Plan von Markus Weinzierl war schon nach 7 Minuten und 22 Sekunden nicht mehr umzusetzen: Aus dem Keller in Köln meldeten sich die Schiedsrichter-Assistenten und nach Ansehen der Bilder kam Referee Frank Willenborg zu der Überzeugung, Stuttgarts Linksverteidiger Emiliano Insua die Rote Karte zu zeigen: Der Argentinier schnellte mit dem Bein voraus auf Ohrenhöhe von Pavel Kaderabek in den Zweikampf. Der Platzverweis war eine harte, aber vertretbare Entscheidung.

"Es hat uns brutal getroffen, dass wir 82 Minuten in Unterzahl spielen mussten", sagt Weinzierl

Eindeutiger rotwürdig war ein Foul von VfB-Mittelfeldabräumer Santiago Ascacibar noch in der ersten Hälfte an Florian Grillitsch (37.), aber nach erneuter Intervention aus Köln und nach Ansehen der Videobilder ließ Willenborg die Rote Karte diesmal in seiner Hosentasche stecken. Dabei hatte Ascacibar Grillitsch brutal auf den rechten Fuß getreten, nachdem dieser den Ball gespielt hatte. Der Österreicher musste verletzt ausgewechselt werden, für ihn kam Kerem Demirbay und mit dem Techniker dann auch spielerische Klasse ins Hoffenheimer Spiel. "Es hat uns brutal getroffen, dass wir 82 Minuten in Unterzahl spielen mussten", klagte Weinzierl, der diese achte Minute als "Knackpunkt der Partie" bezeichnete. Er gab aber auch zu: "Nach dem ersten Gegentor haben wir es dann schlecht gemacht, wir dürfen nicht immer nach dem ersten Tor gleich ein zweites oder drittes kriegen." Generell fehlten seiner Auswahl Erfolgserlebnisse und Leichtigkeit, analysierte Weinzierl.

VfB-Sportvorstand Michael Reschke gestand ein, dass es nun zuvorderst um den Klassenerhalt für den mit ganz anderen Ambitionen gestarteten VfB gehe. Auch Torwart Zieler insistierte: "So langsam sollte auch dem Letzten klar sein, dass es für uns gegen den Abstieg geht." Es ist eine interessante Frage, ob der VfB in dieser Verfassung an einem Tiefpunkt angekommen ist, von dem aus es nur aufwärts gehen kann. Tabellarisch geht es nicht mehr schlechter, der VfB ist nun punkt- und torgleich mit Fortuna Düsseldorf Tabellenletzter. Er sei total überzeugt, mit Weinzierl den Klassenerhalt zu schaffen, sagte Reschke: "Uns war von vornherein bewusst, dass wir ein brutal schweres Auftaktprogramm haben. Uns bleibt nichts anderes übrig als nach vorne zu blicken auf die nächste Partie gegen Eintracht Frankfurt."

Hoffenheim, in dieser Saison bislang berüchtigt für Chancenwucher und Abwehrschwächen, entschied nach stotterndem Start erstmals in dieser Spielzeit frühzeitig eine Partie, konnte im zweiten Durchgang Kräfte für die kommenden Aufgaben in Pokal, Liga und Champions-League sparen - und den Anschluss an die Spitzengruppe herstellen. Die Hoffenheimer schossen sich den Frust der vergangenen Wochen von der Seele und spielten zum ersten Mal zu null in dieser Saison. Das freute Trainer Nagelsmann besonders, war aber am Ende nicht nur eine besondere Leistung seiner Mannschaft - denn der VfB schoss in der zweiten Halbzeit kein einziges Mal mehr auf das Tor der TSG.

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SZ vom 28.10.2018/schma
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