Süddeutsche Zeitung

VfB Stuttgart in der Bundesliga:Gefangener der eigenen Geschichte

Bislang werden die Verantwortlichen des VfB Stuttgart für ihre unaufgeregte Art gelobt. Doch in akuter Abstiegsgefahr braucht es wohl neue Reize.

Kommentar von Christof Kneer

Was die Kommentatoren wohl sagen werden, falls der Abstieg des VfB Stuttgart demnächst feststehen sollte? Gut möglich, dass sie dann immer noch die Spielidee des VfB rühmen und die Ruhe, die der Klub bis zuletzt ausgestrahlt habe. Nicht fehlen dürfte dann auch der Satz, dass der VfB ganz bei sich geblieben sei, vielleicht wird ihn sogar der Sportdirektor Mislintat sagen. Ja, und dann werden sie also bei sich und mit sich in die zweite Liga runtergehen, die Kommentatoren werden loben, und die Region wird weinen.

Der VfB Stuttgart ist die seltsamste Mannschaft der Bundesliga, und er wäre auch der seltsamste Absteiger seit langem. Selten war die Diskrepanz zwischen dem, was ist, und dem, was sein könnte, so groß wie bei dieser begabten, aber geplagten Elf. In der vorigen Saison war der freche VfB eine Art Lieblingsteam der neutralen Beobachter, und noch immer sind erhebliche Spuren dieser Sympathie nachweisbar, selbst bei gegnerischen Trainern und Managern.

Diese Anerkennung beruht auf der Erkenntnis, wie schwer das ist: vernünftig zu bleiben und sich nicht mitreißen zu lassen von der verrückten Dynamik des Betriebs. Davor hatte und hat die Branche Respekt: dass der VfB Stuttgart endlich versucht, nicht wie der VfB Stuttgart zu sein. Also nicht einfach den Trainer rauszuschmeißen, wenn es mal nicht läuft, nicht einen abgenutzten Routinier zu holen, wenn man doch eigentlich seinen Talenten vertraut.

Aber was, werden die Leute in der Region fragen, haben wir von dem ganzen Respekt, wenn wir deshalb in die zweite Liga absteigen und kein Mislintat uns versprechen kann, dass wir mit seinen tausend Talenten wieder aufsteigen?

Man kann dem Klub bei seinem rührenden Ringen um Kontinuität zusehen

Der VfB ist im Moment ein Gefangener seiner eigenen Geschichte. Vor drei Jahren sind Mislintat und der damalige Klubchef Thomas Hitzlsperger mit dem lobenswerten Vorsatz angetreten, den Teufelskreis eines Traditionsvereins zu durchbrechen. Seitdem kann man diesem Klub bei seinem rührenden Ringen um Kontinuität zusehen: Fragen nach dem Trainer werden (wohl zu Recht) überhört, niemand wird angebrüllt oder suspendiert, die Wochen werden ohne erkennbare Reize seriös runtergearbeitet. Dieser Ansatz ist vorbildlich, solange nicht eine unsichtbare Grenze überschritten wird, in der Kontinuität zum Selbstzweck und damit auch schon wieder radikal wird.

Mit dieser Art des Arbeitens nehmen die Stuttgarter in Kauf, dass sie im Abstiegskampf nun etwas unausgerüstet wirken. Das grobe Werkzeug fehlt im Rucksack, es fehlt übrigens auch der Mannschaft auf dem Platz. Nun aber, nach dem allzu ruhig hingenommenen 0:2 in Berlin, haben Mislintat und der Trainer Matarazzo den Tonfall verschärft und die Spieler unter Druck gesetzt. Das ist nicht nett. Aber möglicherweise ein gutes Zeichen.

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